VwGH Ra 2021/14/0079

VwGHRa 2021/14/007913.4.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofrätinnen Mag. Schindler und Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des X Y, vertreten durch Mag. Ingeborg Haller, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, Markus‑Sittikus‑Straße 9/2/7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. November 2020, L519 2150309‑1/20E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §25a Abs1
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §34 Abs1a

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140079.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger sunnitisch‑muslimischen Glaubens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe, stellte am 29. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.

2 Mit Bescheid vom 21. Februar 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung derselben mit Beschluss vom 18. Jänner 2021, E 4367/2020‑6, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Soweit zur Zulässigkeit der Revision zunächst vorgebracht wird, das BVwG habe nicht näher begründet, warum die Revision nicht zulässig sei, wird schon deshalb keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt, weil selbst das Fehlen einer näheren Begründung des Ausspruches nach § 25a Abs. 1 VwGG für sich betrachtet nicht dazu führt, dass die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG gegeben wären. Der Verwaltungsgerichtshof ist gemäß § 34 Abs. 1a VwGG an den nach § 25a Abs. 1 VwGG getätigten Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden, sondern überprüft die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision anhand der gemäß § 28 Abs. 3 VwGG dazu gesondert vorgebrachten Gründe. An der gesonderten Darlegung dieser Gründe, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird, war der Revisionswerber nicht gehindert (vgl. VwGH Ra 20.1.2021, Ra 2020/19/0323; 29.5.2020, Ra 2020/14/0190, jeweils mwN).

9 Weiters wendet sich die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung gegen die durch das Verwaltungsgericht durchgeführte Interessenabwägung im Sinn von Art. 8 EMRK. Aufgrund des langen Zeitraumes zwischen der Verhandlung am 18. Februar 2019 bis zur Entscheidung wäre die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung geboten gewesen, um sich ein aktuelles Bild von den Integrationsschritten des Revisionswerbers zu machen. Die Feststellungen zum Privat‑ und Familienleben seien unvollständig. Es fehle überdies eine Interessenabwägung, die bei der Aufenthaltsdauer von über fünf Jahren besonders relevant sei. Das Erkenntnis sei daher mit wesentlichen Verfahrensmängeln behaftet. Zudem habe das BVwG die Beweiswürdigung in einer unvertretbaren Weise vorgenommen und sei seiner Begründungspflicht nicht ausreichend nachgekommen.

10 Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel ist. Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG) genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA‑VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 7.10.2020, Ra 2020/14/0414, mwN).

11 Es entspricht weiters der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das persönliche Interesse zwar grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zunimmt, die bloße Aufenthaltsdauer jedoch nicht allein maßgeblich ist, sondern vor allem anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu prüfen ist, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 6.5.2020, Ra 2020/20/0093, mwN).

12 Entgegen dem Zulässigkeitsvorbringen hat das BVwG eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der relevanten Umstände vorgenommen und ist mit ausführlicher Begründung zum Ergebnis gekommen, dass die öffentlichen Interessen an der Wahrung eines geordneten Fremden‑ und Aufenthaltswesens überwögen. Dass die Interessenabwägung unvertretbar wäre oder dem BVwG fallbezogen ein relevanter Begründungsmangel unterlaufen wäre, zeigt die Revision mit ihrem bloß allgemein gehaltenen Zulässigkeitsvorbringen nicht auf.

13 Die Revision macht zwar eine Verletzung der Verhandlungspflicht geltend, legt aber mit der nicht weiter substantiierten Behauptung eines veralteten Sachverhalts nicht dar, warum die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gesetzlich geboten gewesen wäre. Insbesondere wird auch nicht ausgeführt, welche zugunsten des Revisionswerbers in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK sprechenden Umstände vom BVwG hätten ergänzend festgestellt werden müssen (vgl. VwGH 11.11.2020, Ra 2020/14/0401).

14 Inwiefern das BVwG die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. zu diesem Prüfungskalkül VwGH 19.11.2020, Ra 2020/14/0192 bis 0196, mwN), vermag die Revision mit ihren diesbezüglich nicht näher ausgeführten Beanstandungen nicht aufzuzeigen.

15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 14. April 2021

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