VwGH Ra 2021/01/0086

VwGHRa 2021/01/008624.3.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des M N in N, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. November 2020, Zl. W175 2127994‑1/49E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021010086.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde ‑ nach Durchführung mehrerer mündlicher Verhandlungen ‑ in der Sache ein Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt und ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig sei.

2 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Mit Beschluss vom 18. Jänner 2021, E 4258/2020‑7, lehnte der VfGH die Beschwerde ab und trat diese über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 28. Jänner 2021, E 4258/2020‑9, gemäß Art. 144 Abs. 3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

3 Sodann erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 In der gesonderten Zulassungsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht und konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat (vgl. für viele etwa VwGH 22.2.2021, Ra 2021/01/0047, mwN).

8 Dem Gebot der gesonderten Darstellung der Gründe nach § 28 Abs. 3 VwGG wird insbesondere dann nicht entsprochen, wenn die zur Zulässigkeit der Revision erstatteten Ausführungen der Sache nach Revisionsgründe (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) darstellen oder das Vorbringen zur Begründung der Zulässigkeit der Revision mit Ausführungen, die inhaltlich (bloß) Revisionsgründe darstellen, in einer Weise vermengt ist, dass keine gesonderte Darstellung der Zulässigkeitsgründe im Sinne der Anordnung des § 28 Abs. 3 VwGG vorliegt (vgl. etwa VwGH 15.2.2021, Ra 2021/01/0040, mwN).

9 Soweit die Revision eine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht behauptet, wendet sie sich gegen die einzelfallbezogene Beweiswürdigung des BVwG.

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes soll sich das Revisionsmodell nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§ 500 ff ZPO orientieren (vgl. RV 1618 BlgNR 24. GP , 16). Ausgehend davon ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. für viele VwGH 11.12.2019, Ra 2019/01/0465, mwN). Derartiges kann die Revision nicht dartun.

11 Weiter behauptet die Revision, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, welches Gewicht einer Berufspflichtverletzung (vorliegend der vom BVwG angenommenen Verletzung der Standesregeln für Humanenergetiker durch die vom Revisionswerber mit einer Klientin geführte sexuelle Beziehung) bei der nach § 9 BFA‑VG vorzunehmenden Interessensabwägung zukomme.

12 Zu diesem Vorbringen ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, nach der eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist (vgl. für viele VwGH 18.3.2019, Ra 2019/01/0068, mwN).

13 Inwieweit die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung berücksichtigt werden, ist daher für sich genommen nicht revisibel und stellt auch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar.

14 So hat der Verwaltungsgerichtshof (zu einem mehr als fünfjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet) festgehalten, dass das persönliche Interesse zwar grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zunimmt, die bloße Aufenthaltsdauer jedoch nicht allein maßgeblich ist, sondern vor allem anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu prüfen ist, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Dabei hat der Verwaltungsgerichtshof erkannt, dass es sich dabei naturgemäß um fallspezifische Aspekte handelt, die somit schon von daher für sich betrachtet nicht den angesprochenen Klärungsbedarf zu begründen vermögen (vgl. zu allem etwa VwGH 28.9.2020, Ra 2020/20/0348, mwN).

15 Es ist daher auch nicht unvertretbar, dass das BVwG fallbezogen die berufliche Integration des Revisionswerbers angesichts der festgestellten Berufspflichtverletzung vermindert gewichtet hat.

16 Dies gilt ebenso für die Behauptung, das BVwG sei von (nicht näher zitierter) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 9 BFA‑VG abgewichen, da es im gegenständlichen Einzelfall der privaten Bindung des Revisionswerbers zu seiner Ziehmutter in Österreich kein „erkennbares“ Gewicht beigemessen habe.

17 Soweit die Zulässigkeitsbegründung das Unterbleiben einer weiteren Verhandlung rügt, gelingt es ihr nicht, die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels darzutun (vgl. VwGH 28.11.2019, Ra 2019/19/0328; 10.9.2018, Ra 2017/19/0431). Die von der Revision in diesem Zusammenhang zitierte Rechtsprechung (VwGH 18.12.2020, Ra 2019/08/0100) betrifft diese Frage nicht; ein Abweichen von dieser Rechtsprechung liegt insofern nicht vor.

18 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 24. März 2021

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