VwGH Ra 2020/21/0476

VwGHRa 2020/21/047625.3.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des M V, vertreten durch Rast & Musliu, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 23/14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 8. Oktober 2020, W192 2234725‑1/2E, betreffend Rückkehrentscheidung samt Begleitaussprüchen und Einreiseverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §21 Abs7
BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210476.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein serbischer Staatsangehöriger, weist in Österreich fünf rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen auf.

2 Nachdem gegen ihn 2003, 2005, 2009 und 2015 Strafurteile im Wesentlichen wegen Vermögensdelikten ergangen waren, verhängte das Landesgericht St. Pölten über ihn mit rechtskräftigem Urteil vom 12. Oktober 2016 wegen des Vergehens der Körperverletzung, der Verbrechen der Vergewaltigung sowie des Vergehens der gefährlichen Drohung eine Freiheitsstrafe von acht Jahren. Gemäß § 21 Abs. 2 StGB wurde die Einweisung des Revisionswerbers in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ausgesprochen.

Dem Schuldspruch lag (zusammengefasst) zugrunde, dass der Revisionswerber seine damalige Lebensgefährtin am 13. und 21. September 2015 am Körper verletzt hatte, indem er ihr durch näher beschriebene Tätlichkeiten verschiedene Hämatome und Platzwunden zugefügt hatte. Im Zeitraum zwischen 19. Oktober und 7. November 2015 hatte er sie in zumindest sechs Angriffen mit Gewalt, durch Entziehung der persönlichen Freiheit und durch gefährliche Drohung zur Vornahme und Duldung des Beischlafs sowie einer diesem gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, wobei die Tathandlungen eine schwere Körperverletzung, nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung bzw. Berufsunfähigkeit, zur Folge hatten. Weiters hatte er sie im Oktober und November 2015 wiederholt, etwa durch die Äußerung, dass er sie „abstechen werde“, ihr neuerlich wehtun und sie büßen lassen werde, mit zumindest einer Verletzung am Körper bzw. ihrer sexuellen Integrität bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Das einer Strafberufung des Revisionswerbers nicht Folge gebende Oberlandesgericht Wien verwies in seiner Begründung insbesondere auf die mehrfache, teils brutale und auf Machtdemonstration ausgerichtete Art der Tatbegehung, die den guten Willen und die immer wieder vorhandene Bereitschaft des Opfers, auf Veränderungsbeteuerungen und die versprochene Besserung ihres Freundes zu hoffen, einerseits ausnutzte, andererseits missachtete.

3 Mit Bescheid vom 28. Juli 2020 erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005. Das BFA erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 1 Z 1 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Serbien zulässig sei, und sprach aus, dass einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA‑VG die aufschiebende Wirkung aberkannt und (demzufolge) gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt werde. Schließlich erließ das BFA gegen den Revisionswerber gemäß § 53 Abs. 1 und 3 Z 5 sowie Abs. 6 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot.

4 Dabei ging das BFA insbesondere davon aus, der Revisionswerber sei im Alter von acht Jahren mit seinen (serbischen) Eltern nach Österreich eingereist. Hier habe er vier Jahre lang die Volksschule und dann zwei Klassen der Hauptschule absolviert. Als er die zweite Hauptschulklasse zum zweiten Mal besucht habe, sei er im Alter von 14 Jahren der Schule ferngeblieben und habe sich mit Freunden „herumgetrieben“. Seine Eltern hätten sich zu diesem Zeitpunkt getrennt, weshalb er mit seiner Mutter nach Serbien zurückgekehrt sei und dort im elterlichen Obst‑ und Gemüsehandel ausgeholfen habe. Im Alter von 17 Jahren sei er wieder nach Österreich zurückgekehrt. Er spreche Deutsch, sei arbeitsfähig und auch der serbischen Sprache mächtig. In Österreich sei er zuletzt im Jahr 2004 berufstätig gewesen, von 2004 bis 2013 habe er Notstandshilfe bezogen. Weiters habe er ‑ neben Einkünften aus einem selbständigen Autohandel ‑ finanzielle Zuwendungen von seiner Mutter, aber auch Geldzuwendungen seiner letzten Lebensgefährtin (des Opfers laut der strafgerichtlichen Verurteilung vom 12. Oktober 2016 ‑ Rn. 2) erhalten.

Bis zum 9. Juli 2018 habe er über einen Aufenthaltstitel „Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte plus“ verfügt, sei danach aber nicht mehr in Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels gewesen. Er sei für drei Kinder aus drei verschiedenen Beziehungen sorgepflichtig, habe jedoch keine Unterhaltszahlungen geleistet. Intensive Bindungen zu den Kindern oder aus den jeweils eingegangenen Partnerschaften seien zu verneinen.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 8. Oktober 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) eine dagegen vom Revisionswerber erhobene Beschwerde als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

6 Begründend teilte das BVwG ‑ soweit im Revisionsverfahren von Bedeutung ‑ die Ausführungen des BFA zur Gefährdungsprognose und Interessenabwägung. Der Revisionswerber sei zurechnungsfähig, habe aber (jedenfalls) die der letzten strafgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegenden Taten unter dem Einfluss einer geistig‑seelischen Abartigkeit höheren Grades, nämlich einer schweren Persönlichkeitsstörung in Form eines beträchtlichen Narzissmus und einer dissozialen Persönlichkeitsstörung, begangen. Analoge Taten mit schweren Folgen seien auch künftig mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Angesichts der massiven Straftaten im Bereich der Gewalt‑ und Sexualdelikte seien die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung zum Schutz der Rechte anderer Personen jedenfalls höher zu bewerten als die persönlichen Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich. Bindungen zu seinen Kindern seien nur sehr gering ausgeprägt. Die Trennung von weiteren Angehörigen (Mutter und drei Geschwister) sei aufgrund des hohen öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung in Kauf zu nehmen, zumal der lange Inlandsaufenthalt zu keiner ausgeprägten Integration geführt habe. Eine Aufrechterhaltung von ‑ aktuell ohnehin durch den aufrechten Maßnahmenvollzug eingeschränkten ‑ Kontakten sei auch über Telefon und Internet möglich.

Die Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA‑VG unterbleiben können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine. Klärungsbedürftige Sachverhaltselemente seien in der Beschwerdeschrift nicht konkretisiert dargelegt worden. Im Hinblick auf die massiven Straftaten hätte im Übrigen auch ein (positiver) persönlicher Eindruck vom Revisionswerber zu keinem anderen Verfahrensergebnis führen können.

7 Die gegen dieses Erkenntnis ausgeführte Revision erweist sich als unzulässig.

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (unter anderem) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG „nicht zur Behandlung eignen“, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

9 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

10 Insoweit wendet sich die Revision vor allem gegen die vom BVwG im Einklang mit dem BFA vorgenommene Gefährdungsprognose und die Interessenabwägung.

11 Dem ist allerdings zu entgegnen, dass der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung judiziert, dass die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen ‑ wenn sie (wie auch hier, siehe noch Rn. 15) auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel ist. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose (vgl. etwa VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0232, Rn. 12, mwN).

12 Was die Gefährdungsprognose anlangt, vermisst der Revisionswerber aber letztlich lediglich eine nähere Befassung mit seiner Persönlichkeitsstörung; das BVwG habe sich insbesondere nicht mit der „Notwendigkeit der weitergehenden (nach der Haftentlassung hinausgehenden) psychiatrischen Behandlung“ auseinandergesetzt.

Dass es einer „weitergehenden“ Behandlung bedürfe, könnte allerdings die vom Revisionswerber ausgehende Gefahr für sich betrachtet nicht entscheidend mindern. Insoweit wird daher nicht aufgezeigt, dass die vom BVwG angestellte Gefährdungsprognose unvertretbar sei.

13 Bei der im Zusammenhang mit der Interessenabwägung erstmals in der Revision aufgestellten Behauptung, dass der (unbestritten erst im Alter von acht Jahren mit seinen serbischen Eltern von Serbien nach Österreich eingereiste Revisionswerber, der im Alter von 14 bis 17 Jahren in Serbien lebte und arbeitete) „nur rudimentär Serbisch spreche“, handelt es sich um eine unzulässige Neuerung. Die Beschwerde ist der bereits vom BFA getroffenen Feststellung, der Revisionswerber sei der serbischen Sprache mächtig, nicht entgegengetreten.

Von daher ist auch der Einwand, die nach der Haftentlassung weiterhin erforderliche Behandlung des Revisionswerbers sei in seinem Herkunftsstaat insbesondere wegen fehlender Sprachkenntnisse nicht möglich, nicht zielführend. Im Übrigen hat der Revisionswerber in seiner von einem Rechtsanwalt verfassten Beschwerdeschrift an das BVwG weder die Notwendigkeit einer weiteren psychologischen oder eine psychiatrischen (in Serbien aber nicht abdeckbaren) Behandlung nach einer Aufenthaltsbeendigung konkret dargelegt oder ‑ wie jetzt in der Revision angesprochen ‑ das Fehlen einer Wohnmöglichkeit bzw. von Verwandten in Serbien thematisiert.

Insoweit durfte das BVwG daher vom Fehlen einer Notwendigkeit weiterer Ermittlungen ausgehen, zumal zu erwartende Schwierigkeiten bei einer Wiedereingliederung aufgrund der hohen vom Revisionswerber ausgehenden Gefährdung öffentlicher Interessen in Kauf zu nehmen sind.

14 Eine Einvernahme näher bezeichneter Zeugen (etwa der Mutter oder von Geschwistern des Revisionswerbers), welche die Revision vermisst, wurde im Verfahren vor dem BVwG nicht einmal beantragt, sodass auch insoweit kein Verfahrensfehler des BVwG zu erkennen ist.

15 Unter Berücksichtigung der hohen vom Revisionswerber ausgehenden Gefährdung und seiner geringen im Bundesgebiet erreichten Integration durfte das BVwG insgesamt sogar von einem eindeutigen Fall ausgehen, der es ihm ausnahmsweise erlaubte, von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung zur Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber abzusehen (vgl. dazu etwa VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0139, Rn. 9, mwN).

16 In der Revision werden somit insgesamt keine entscheidungswesentlichen grundsätzlichen Rechtsfragen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG aufgezeigt, sodass sie gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen war.

Wien, am 25. März 2021

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