VwGH Ra 2020/14/0535

VwGHRa 2020/14/053528.4.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. November 2020, W103 1414347‑3/25E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: A B), zu Recht erkannt:

Normen

BFA-VG 2014 §21 Abs3
BFA-VG 2014 §7 Abs1
BFA-VG 2014 §7 Abs2
FNG-AnpassungsG 2014
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020140535.L00

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und gehört der tschetschenischen Volksgruppe an. Mit Bescheid des Bundesasylamts vom 9. Februar 2005 wurde ihm der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Der Mitbeteiligte wurde später mehrfach strafgerichtlich verurteilt. Dies nahm das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im April 2018 (erneut) zum Anlass, ein Verfahren zur Aberkennung des dem Mitbeteiligten gewährten Status einzuleiten.

2 Mit Bescheid vom 15. Oktober 2018 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Mitbeteiligten den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ab und sprach aus, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Es erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Die Behörde erließ gegen ihn ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die vom Mitbeteiligten dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht ohne Durchführung einer Verhandlung mit Erkenntnis vom 1. Februar 2019 als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Dagegen erhob der Mitbeteiligte außerordentliche Revision.

5 Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Mai 2020, Ra 2019/19/0116, wurde das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Februar 2019 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof darin aus, dass nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts es sich bei den in Österreich begangenen Straftaten ausschließlich um Vergehen gehandelt habe. Im Hinblick auf die Verurteilung in Deutschland fehle es an ausreichenden Feststellungen, die eine Beurteilung ermöglichten, ob es sich bei der dort begangenen Tat um ein Verbrechen oder ein Vergehen handle. Die Feststellungen vermögen daher die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, fallbezogen läge ein besonders schweres Verbrechen vor, nicht zu tragen. Weiters seien die Voraussetzungen für das Absehen von der Durchführung einer Verhandlung nicht vorgelegen. Der Mitbeteiligte habe in der Beschwerde nicht nur die Beweiswürdigung und einige Feststellungen substantiiert bestritten, sondern das Bundesverwaltungsgericht habe sich zudem als Alternativbegründung auf einen von der Behörde nicht herangezogenen Aberkennungsgrund gestützt und im Hinblick darauf auch eine ergänzende Beweiswürdigung vorgenommen. Letztlich hätte sich das Bundesverwaltungsgericht auch in Bezug auf die Gefährdungsprogose aufgrund des dazu vom Mitbeteiligten erstatteten Vorbringens einen persönlichen Eindruck verschaffen müssen.

6 Mit dem in der Folge erlassenen Beschluss vom 9. November 2020 behob das Bundesverwaltungsgericht ohne Durchführung einer Verhandlung den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 15. Oktober 2018 und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) an die Behörde zurück und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei. Das Bundesverwaltungsgericht führte begründend aus, dass die vom Verwaltungsgerichthof konstatierten Feststellungs‑ und Ermittlungsfehler des Bundesverwaltungsgerichts auf das vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl durchgeführte Ermittlungsverfahren durchschlügen.

7 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Amtsrevision. Sie bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, es fehle Rechtsprechung dazu, ob das Bundesverwaltungsgericht einen Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufheben und die Sache zurückverweisen dürfe, wenn der Verwaltungsgerichtshof zuvor in derselben Sache ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts behoben habe. Gemäß § 7 Abs. 2 BFA‑VG habe das Bundesverwaltungsgericht in einer solchen Konstellation in der Sache selbst zu entscheiden. Dies habe der Verwaltungsgerichtshof bereits in einem obiter dictum in dem Erkenntnis vom 30. Juni 2016, Ra 2016/19/0072, ausgesprochen und weiter ausgeführt, dass die Verpflichtung des Bundesverwaltungsgerichts in der Sache selbst zu entscheiden nur dort ihre Grenze finde, wo der Gesetzgeber die Entscheidungsmöglichkeiten des Bundesverwaltungsgerichts selbst beschränke, wie etwa im Rahmen des § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA‑VG. Von dieser Rechtsprechung sei das Bundesverwaltungsgericht abgewichen.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Die Amtsrevision erweist sich als zulässig. Sie ist auch begründet.

10 Gemäß § 7 Abs. 2 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG) hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Revision oder der Verfassungsgerichtshof einer Beschwerde gegen ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes gemäß Abs. 1 leg. cit. stattgegeben hat.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat dies bereits in dem auch in der Revision zitierten Erkenntnis vom 30. Juni 2016, Ra 2016/19/0072, zum Ausdruck gebracht und festgehalten, dass diese Verpflichtung, in der Sache selbst zu entscheiden, aber dort ihre Grenze finde, wo der Gesetzgeber die Entscheidungsmöglichkeiten des Bundesverwaltungsgerichtes ‑ wie etwa in § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA‑VG, der insoweit auch kein Ermessen einräumt (arg.: „Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn...“) ‑ selbst beschränkt (vgl. VwGH 30.6.2016, Ra 2016/19/0072, Rn 50). Da es sich gegenständlich nicht um ein Zulassungsverfahren handelt, kommt die Anwendbarkeit dieser Bestimmung hier nicht in Betracht.

12 Im vorliegenden Fall hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 25. Mai 2020, Ra 2019/19/0116, der Revision des Mitbeteiligten gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Februar 2019 stattgegeben, weshalb das Bundesverwaltungsgericht in der Folge gemäß § 7 Abs. 2 BFA‑VG verpflichtet war, in der Sache selbst zu entscheiden.

13 In den Materialien zu § 7 Abs. 2 BFA‑VG hat der Gesetzgeber in Bezug auf die Zielsetzung dieser mit dem FNG-Anpassungsgesetz (BGBl. I Nr. 68/2013) eingeführten Regelung zu erkennen gegeben, dass sie „der Vermeidung von Kassationskaskaden dienen und insbesondere dem Gedanken der Verfahrensökonomie Rechnung tragen“ soll (RV 2144 BlgNR 24. GP , S. 9).

14 Da das Bundesverwaltungsgericht dies verkannte und eine Entscheidung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG traf, belastete es seinen Beschluss mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 28. April 2021

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