Normen
BFA-VG 2014 §9 Abs2
FrPolG 2005 §52
MRK Art8
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020140491.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist ein in Österreich geborener Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo. Sein Vater stellte für ihn am 19. Februar 2001 einen Antrag auf Asylerstreckung. Mit Bescheid vom 6. März 2001 wies das Bundesasylamt diesen Antrag ab. Der dagegen erhobenen Berufung gab der Unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 2. August 2004 statt und erkannte dem Revisionswerber den Status des Asylberechtigten gemäß §§ 10, 11 Asylgesetz 1997 zu.
2 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17. April 2020 wurde dem inzwischen mehrfach straffällig gewordenen Revisionswerber der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 (gemeint: Z 2) Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) aberkannt, gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme, der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt sowie ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen. Weiters wurde festgestellt, dass seine Abschiebung in die Demokratische Republik Kongo zulässig sei, die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt und ein auf zehn Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde ‑ ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof erfolgt daher ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulässigkeitsbegründung. Der Verwaltungsgerichtshof ist weder verpflichtet, Gründe für die Zulässigkeit einer Revision anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen (vgl. VwGH 5.11.2020, Ra 2020/14/0363, mwN).
9 Die vorliegende Revision macht in der Zulassungsbegründung ausschließlich eine Verletzung der Verhandlungspflicht geltend und bringt zusammengefasst vor, das BVwG hätte nach den in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Kriterien nicht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen dürfen. Der Revisionswerber sei in der Beschwerde den von der Behörde herangezogenen Länderberichten zur Lage im Herkunftsstaat und dem Ermittlungsergebnis zur Verfolgungsgefahr in Zusammenhang mit der früheren Tätigkeit seines Vaters entgegengetreten. In Bezug auf die Gefährdungsprognose und die Abwägung nach Art. 8 EMRK hätte sich das BVwG einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber machen müssen. Diesbezüglich sei auch das behördliche Ermittlungsverfahren zum Gesundheitszustand des Revisionswerbers mangelhaft geführt worden. So hätten sich aus den strafrechtlichen Verurteilungen Hinweise auf eine Verhaltensstörung „im Sinne eines ADHS-Syndroms“ ergeben. Zu Unrecht seien sowohl die Behörde als auch das BVwG vom Vorliegen familiärer Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat ausgegangen. Der Revisionswerber sei noch nie im Herkunftsstaat gewesen.
10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA‑VG geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA‑VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa 6.5.2020, Ra 2020/14/0051, mwN).
11 Die Revision vermag mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht aufzuzeigen, dass das Bundesverwaltungsgericht von diesen Leitlinien abgewichen wäre:
12 Es liegt hier weder ein Fall vor, in dem das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unwesentlich ergänzte, noch stellte der Revisionswerber selbst in seiner Beschwerde solche Behauptungen auf, die die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich gemacht hätten. So trat er in der Beschwerde weder den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat, noch den Ermittlungsergebnissen zur Verfolgungsgefährdung, zu seinem Gesundheitszustand oder den angenommenen familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat substantiiert entgegen. Ebensowenig zeigt die Revision eine Mangelhaftigkeit des verwaltungsbehördlichen Verfahrens auf, welche die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erfordert hätte.
13 Dem Revisionswerber ist insoweit zuzustimmen, dass der Verwaltungsgerichtshof wiederholt darauf hingewiesen hat, dass bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zukommt, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. Allerdings kann in eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden (vgl. erneut VwGH 6.5.2020, Ra 2020/14/0051; 31.7.2020, Ra 2020/19/0252, jeweils mwN).
14 Weshalb das BVwG vor dem Hintergrund der kontinuierlichen und massiven Straffälligkeit des Revisionswerbers (zehn rechtskräftige Verurteilungen wegen Eigentums- und Körperverletzungsdelikten in den fünf Jahren seit der Strafmündigkeit des Revisionswerbers) sowie dem Umstand, dass ihn weder offene Probezeiten noch die aufrechte Haft, ein anhängiges Strafverfahren oder die Anordnung von Bewährungshilfe von der Begehung weiterer gravierender Straftaten abgehalten hätten, er rasch rückfällig geworden sei und sogar in Strafhaft, wo er sich zum Entscheidungszeitpunkt befinde, straffällig geworden sei, nicht vom Vorliegen eines derartigen eindeutigen Falles hätte ausgehen dürfen, wird von der Revision nicht dargetan.
15 Es ist im Übrigen auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen hinzuweisen, wonach ein Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich ‑ nach dem Vollzug einer Haftstrafe ‑ in Freiheit wohlverhalten hat, wobei dieser Zeitraum umso länger anzusetzen ist, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden, etwa im Hinblick auf einen raschen Rückfall, was im gegenständlichen Fall gegeben ist, manifestiert hat (vgl. VwGH 7.9.2020, Ra 2020/20/0184, mwN).
16 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 26. Jänner 2021
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