Normen
AVG §58 Abs1
AVG §58 Abs2
AVG §60
BauG Stmk 1995 §22
BauG Stmk 1995 §29
BauG Stmk 1995 §29 Abs6
BauG Stmk 1995 §38
BauRallg
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020060310.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Gemeinde Großsteinbach hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die mitbeteiligten Parteien betreiben auf einem näher bezeichneten Grundstück in K eine landwirtschaftliche Betriebsanlage zur Schweinehaltung. Die Liegenschaften der revisionswerbenden Parteien liegen in unmittelbarer Nachbarschaft dieser Betriebsanlage und sind ‑ den Aussagen des immissionstechnischen Amtssachverständigen Mag. Dr. Ö zufolge ‑ von den Emissionen der Anlage betroffen.
2 Am 23. Dezember 2013 stellten unter anderem die revisionswerbenden Parteien einen Antrag gemäß § 29 Abs. 6 Steiermärkisches Baugesetz (Stmk. BauG) auf Vorschreibung anderer oder zusätzlicher Auflagen für die landwirtschaftliche Betriebsanlage, weil von dieser Immissionen (Geruch, Lärm, Staub, Lästlinge) ausgingen, die das ortsübliche Ausmaß überstiegen und gesundheitliche Schäden verursachten. Darüber hinaus wurde gemäß § 39 Abs. 2 Stmk. BauG die Durchführung einer baupolizeilichen Überprüfung hinsichtlich der Nutzung der landwirtschaftlichen Betriebsanlage unter Berücksichtigung des Nutzungsänderungsbescheides vom 18. September 2007 beantragt.
3 Nachdem der Bürgermeister der Gemeinde G keine Entscheidung getroffen hatte, stellten die revisionswerbenden Parteien am 10. April 2019 einen Devolutionsantrag und erhoben am 17. Dezember 2019 ‑ aufgrund der Untätigkeit des Gemeinderates der Gemeinde G ‑ eine Säumnisbeschwerde an das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG).
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis erklärte das LVwG ‑ nach Durchführung einer Verhandlung ‑ die Säumnisbeschwerde für zulässig und begründet (Spruchpunkt I.), gab dem Antrag der revisionswerbenden Parteien vom 23. Dezember 2013 statt (Spruchpunkt II.), erteilte den mitbeteiligten Parteien zusätzliche Auflagen betreffend eine dauerhafte medienbeständige vollflächige gasdichte Abdeckung der offenen Güllegrube, deren Ausführung von einer Fachstelle innerhalb einer festgesetzten Frist bestätigt werden müsse (Spruchpunkt III.) und erklärte eine ordentliche Revision für unzulässig (Spruchpunkt IV.).
Begründend führte das LVwG ‑ soweit für das vorliegende Verfahren relevant ‑ zur Notwendigkeit der Erteilung zusätzlicher Auflagen aus, die Ergebnisse des Amtssachverständigen Mag. Dr. Ö in seinem Gutachten vom 12. November 2019 stünden im Einklang mit dem Vorbringen der revisionswerbenden Parteien zur Geruchsbelästigung aus der offenen Güllegrube; eine offene Güllegrube entspreche auch nicht mehr dem Stand der Technik. Da die Richtwerte der Richtlinie zur Beurteilung von Geruchsimmissionen aus der Schweinehaltung für Dorfgebiete in der Gemeinde G deutlich überschritten würden und die von der landwirtschaftlichen Betriebsanlage der mitbeteiligten Parteien ausgehenden Geruchsimmissionen aus der offenen Güllegrube zumindest beim Erstrevisionswerber einen erheblichen Anteil an der Gesamtimmissionsbelastung seiner Liegenschaft hätten, würden die Nachbarn nicht mehr ausreichend in ihren Rechten gemäß § 95 Abs. 1 Stmk. BauG geschützt, weshalb die im Spruch näher umschriebenen Auflagen vorzuschreiben gewesen seien. Darüber hinaus seien den mitbeteiligten Parteien keine zusätzlichen Auflagen vorzuschreiben, weil die weiteren angeführten Geruchsquellen mittlerweile anders oder gar nicht mehr genutzt würden. Für näher genannte Betriebsanlagenteile, deren Nutzung baubehördlich verboten sei, könnten keine zusätzlichen oder anderen Auflagen erteilt werden. Dass die revisionswerbenden Parteien durch die rechtmäßige Nutzung der Mastställe 1, 3, 5 und 10 unzumutbar oder ortsunüblich belästigt würden, lasse sich weder deren Schilderungen in der Verhandlung noch dem Gutachten des immissionstechnischen Sachverständigen entnehmen. Im Gutachten werde vielmehr aufgezeigt, dass die Geruchsimmissionen zu nicht unerheblichen Teilen von anderen landwirtschaftlichen Betrieben herrührten.
Das LVwG ging bei der Feststellung des Sachverhaltes davon aus, dass für die Güllegrube, auf die sich die zusätzlichen Auflagen in Spruchpunkt III. beziehen, eine aufrechte baubehördliche Bewilligung vorliege. Die Güllegrube sei zunächst mit Bescheid vom 18. September 2007 bewilligt, aber hinsichtlich des Durchmessers der Grube, der Höhe, des Inhaltes und der Lage nicht konsensgemäß errichtet worden. Die Baubehörde habe ‑ so das LVwG ‑ mit Bescheid vom 12. November 2012 eine Benützungsbewilligung erteilt, „wobei aus dem Spruchinhalt (Spruch in Verbindung mit der Begründung) auf der Grundlage des geführten Verfahrens der klare Wille der Baubehörde hervorgeht, mit der Benützungsbewilligung auch die Änderungen gegenüber der Baubewilligung im Sinne des § 38 Abs 5 Z 3 Stmk. BauG mit zu genehmigen.“ Der Bescheid vom 12. November 2012 sei in Rechtskraft erwachsen.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
6 Revisionsbeantwortungen wurden keine erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 In der Zulässigkeitsbegründung rügt die Revision zunächst ein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von der hg. Rechtsprechung insofern, als die nicht dem Baubescheid vom 18. September 2007 entsprechende Ausführung der Güllegrube nicht mit Bescheid vom 12. November 2012 betreffend die Benützungsbewilligung genehmigt worden sei (Hinweis auf VwGH 19.9.2006, 2005/06/0077); diesbezüglich habe das LVwG eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung vorgenommen. Die Vorschreibung anderer oder zusätzlicher Auflagen gemäß § 29 Abs. 6 Stmk. BauG setze jedoch eine aufrechte baubehördliche Bewilligung voraus.
8 Die Revision ist aufgrund dieses Vorbringens zulässig und auch begründet.
9 § 29 Abs. 6 Stmk. BauG idF LGBl. Nr. 78/2012, § 38 Abs. 5 Stmk. BauG idF LGBl. Nr. 87/2013, sowie § 39 Abs. 2 Stmk. BauG idF LGBl. Nr. 88/2008, lauten:
„§ 29
Entscheidung der Behörde
...
(6) Werden die Interessen gemäß § 95 Abs. 1 durch eine aufrechte baubehördliche Bewilligung im Rahmen der Landwirtschaft nicht mehr ausreichend geschützt, hat die Behörde ‑ insbesondere auf Antrag eines Nachbarn ‑ in begründeten Fällen andere oder zusätzliche Auflagen nach dem Stand der Technik vorzuschreiben. Bezogen auf landwirtschaftliche Tierhaltungsbetriebe ist diese Bestimmung erst ab einer Größe der Geruchszahl G = 20 anzuwenden. Die Verfahrenskosten hat die Gemeinde zu tragen.
(7) ...
§ 38
Fertigstellungsanzeige ‑ Benützungsbewilligung
...
(5) Die Benützungsbewilligung ist in den Fällen des Abs. 4 zu erteilen,
1. wenn die bauliche Anlage der Bewilligung entspricht,
2. bei Vorliegen geringfügiger Mängel unter der Vorschreibung von Auflagen oder
3. wenn die Ausführung vom genehmigten Projekt nur geringfügig abweicht.
(6) ...
§ 39
Instandhaltung und Nutzung
(1) ...
(2) Der Eigentümer hat eine bewilligungswidrige Nutzung zu unterlassen. Er trägt die Verantwortung, dass auch andere Verfügungsberechtigte keine bewilligungswidrige Nutzung ausüben.
(3) ...“
Gemäß § 95 Abs. 1 Z 2 Stmk. BauG sind landwirtschaftliche Betriebsanlagen so zu planen und auszuführen, dass unter anderem Nachbarinnen/Nachbarn durch Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung, Gestank oder Lästlinge nicht unzumutbar oder das ortsübliche Ausmaß übersteigend belästigt werden.
10 Nach der ständigen hg. Rechtsprechung wird durch eine Benützungsbewilligung ein bewilligungswidriger Zustand nicht saniert (vgl. VwGH 17.4.2007, 2003/06/0204). Auch das LVwG ging nicht davon aus, dass im Spruch des Benützungsbewilligungsbescheides vom 12. November 2012 auch über eine Baubewilligung für die abweichend errichtete Güllegrube abgesprochen wird. Zwar finden sich in der Begründung des Bescheides vom 12. November 2012 Ausführungen dazu, dass von der Baubewilligung in einem der Erteilung der Benützungsbewilligung nicht entgegenstehenden, bloß geringfügigen Ausmaß abgewichen worden sei, die Begründung eines Bescheides vermag einen fehlenden Abspruch jedoch nicht zu ersetzen. Eine Benützungsbewilligung kann nur dann auch als Baubewilligung gedeutet werden, wenn ihr (in welcher Form auch immer) Elemente einer Baubewilligung entnehmbar sind (vgl. nochmals VwGH 2003/06/0204). Mag sein, dass die Baubehörde anlässlich der Erteilung der Benützungsbewilligung auch die geänderte bauliche Ausführung bewilligen wollte, dies ist im Benützungsbewilligungsbescheid von 12. November 2012 jedoch nicht ausreichend normativ zum Ausdruck gekommen.
Das LVwG durfte somit nicht davon ausgehen, dass die Güllegrube in der bestehenden Ausführung als bewilligt anzusehen ist. Da eine Vorschreibung anderer oder zusätzlicher Auflagen gemäß § 29 Abs. 6 Stmk. BauG das Vorliegen einer aufrechten baubehördlichen Bewilligung voraussetzt, scheidet diese Maßnahme im vorliegenden Fall somit aus. Die vom LVwG ‑ auf Basis des Gutachtens des immissionstechnischen Amtssachverständigen ‑ festgestellte Überschreitung der Geruchsimmissionen aus der Schweinehaltung in Dorfgebieten und damit der unzureichende Schutz zumindest des Erstrevisionswerbers vor den Emissionen der landwirtschaftlichen Betriebsanlage der mitbeteiligten Parteien kann daher mit dieser Maßnahme nicht hintangehalten werden.
11 Bereits aus diesem Grund war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Auf das weitere Revisionsvorbringen war somit nicht mehr einzugehen.
12 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf die §§ 47 VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 25. Juni 2021
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