Normen
VStG §45 Abs1 Z1
VStG §45 Abs1 Z2
VStG §5 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §38
WettenG Wr 2016 §19 Abs2
WettenG Wr 2016 §19 Abs9
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020020281.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien vom 11. Dezember 2018 wurde die Erstmitbeteiligte folgender Übertretung schuldig erachtet:
„Sie haben als verantwortliche Beauftragte gemäß § 9 Abs. 2 VStG 1991 der [Zweitmitbeteiligten] zu verantworten, dass diese in der Betriebsstätte in [...] Wien, G[...]Straße [...], in der diese Gesellschaft die Tätigkeit als Wettunternehmerin, nämlich Buchmacherin, durch Wettterminals im Sinne des § 2 Z 8 Wiener Wettengesetz ausübt, am 03.11.2017, um 13:30 Uhr, insofern die Verpflichtung des § 19 Abs. 2 1. Satz Wiener Wettengesetz, wonach die Wettunternehmerin oder der Wettunternehmer einer Betriebsstätte mit Wettterminals jedenfalls in geeigneter Weise dafür sorgen muss, dass der Zutritt zu Räumen mit einem Wettterminal und die Teilnahme an einer Wette nur volljährigen Personen ermöglicht wird, die ihre Identität durch Vorlage eines gültigen amtlichen Lichtbildausweises gemäß Abs. 1 nachgewiesen haben und nicht gesperrt sind, nicht eingehalten hat, als sie keine geeigneten Maßnahmen getroffen hat, um den Zutritt zum Raum hinter der Glastür, in dem zumindest vier Wettterminals aufgestellt waren, nur volljährigen Personen zu ermöglichen, die ihre Identität durch Vorlage eines gültigen amtlichen Lichtbildausweises gemäß Abs. 1 leg. cit. nachgewiesen haben und nicht gesperrt sind, da bei Zutritt zu diesem Raum eine Kontrolle nur dann erfolgte, wenn eine Person als augenscheinlich zu jung angesehen wird, womit weder der Zutritt durch Minderjährige noch der Zutritt durch Personen, die gesperrt sind, verlässlich unterbunden werden kann.“
2 Die Erstmitbeteiligte habe mit dieser Übertretung § 19 Abs. 2 erster Satz Wr. Wettengesetz, LGBl. Nr. 26/2016 in der Fassung LGBl. Nr. 48/2016, verletzt, weshalb über sie gemäß § 24 Abs. 1 Z 12 Wr. Wettengesetz iVm § 9 Abs. 1 VStG eine Geldstrafe von € 2.000,‑ ‑ (Ersatzfreiheitsstrafe drei Tage und 20 Stunden) verhängt wurde. Weiters wurde der Erstmitbeteiligten die Zahlung von € 200,‑ ‑ als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens auferlegt. Die Zweitmitbeteiligte hafte für die Geldstrafe und die Verfahrenskosten gemäß § 9 Abs. 7 VStG zur ungeteilten Hand.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht der dagegen erhobenen Beschwerde der beiden Mitbeteiligten Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 und 2 VStG eingestellt.
4 Begründend hielt das Verwaltungsgericht zunächst fest, dass nach der mündlichen Verkündung des Erkenntnisses am 4. Juli 2019 zur Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts konträre Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Verweis auf VwGH 22.7.2019, Ra 2019/02/0107, 0108, VwGH 7.8.2019, Ra 2019/02/0091, u.a.) ergangen sei. Es sei aber in seiner schriftlichen Ausfertigung an den Inhalt der mündlichen Verkündung gebunden. Es sei die Feststellung zu treffen gewesen, dass durch die Implementierung von „Fingerprints“ und „Scan controls“ am Eingang zum Wettlokal bzw. bei der Bedienung eines Wettterminals der vom Gesetz geforderte Nachweis der Identitätsfeststellung durch die Erstmitbeteiligte im Sinne der zum Tatzeitpunkt geltenden Rechtslage in geeigneter Weise erfüllt gewesen sei. Unstrittig seien beim gegenständlichen Wettlokal ausschließlich Wettkunden durch Einscannen ihres „Fingerprints“ zu Wetten zugelassen worden. Es sei nicht festzustellen gewesen, dass dadurch Kinder oder Jugendliche Wetten hätten abschließen können oder nach dem Wettgesetz gesperrte Personen Zugang gehabt hätten. Diesbezügliche Wahrnehmungen des Meldungslegers würden fehlen, sodass nicht von fehlender Identitätsfeststellung auszugehen gewesen sei. Im gegenständlichen Lokal sei „Eigenpersonal“ anwesend gewesen. Unstrittig sei an jedem Wettautomaten eine Zugangssperre durch „Fingerprint“ angebracht und im Lokal geschultes Personal anwesend gewesen, das jeden Eintretenden visuell erfasst habe und, sofern die Person unbekannt oder jugendlich gewesen sei, identitätsmäßig kontrolliert habe.
5 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht aus, dass hinsichtlich der Schuldfrage in einem mehr als einjährigen Prozess keine Klarheit darüber geherrscht habe, welche Art der Zutrittskontrolle vom Magistrat verlangt werde. Selbst die Kontrollorgane hätten keine klare Aussage dazu treffen können. Vor Ort seien keine Bemängelungen ausgesprochen worden. Aus dieser Gesamtschau ergebe sich kein vorwerfbares Verschulden der Erstmitbeteiligten. Für mangelndes Verschulden der Erstmitbeteiligten spreche eine mehrjährige unbeanstandete Verwaltungspraxis und ein Universitätsgutachten, das eine solche Argumentation stütze. Weiter verträten die Richterinnen und Richter am Verwaltungsgericht mehrheitlich die Ansicht der Erstmitbeteiligten, was acht Einstellungen bis zum Entscheidungszeitpunkt bedingt hätte. Schließlich hätten die Mitbeteiligten fortgesetzt vergeblich versucht, vom Magistrat eine Auskunft zu erhalten, welche Art der Zutrittskontrolle durchzuführen sei. Im Fall der Erstmitbeteiligten sei die - nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - gebotene besondere Sorgfalt „minutiös und mit auffallender Detailgenauigkeit“ eingehalten worden. Nicht nur, dass über Jahre dieselbe Verwaltungspraxis des technisch kontrollierten Zugangs unbeanstandet ausgeübt worden sei, sei nachweislich seitens der Mitbeteiligten an den zuständigen Magistrat das Gesprächs- und Informationsangebot herangetragen worden. Überdies sei auf höchster fachlicher Ebene ein Rechtsgutachten eingeholt worden, welches ebenfalls die Rechtsanschauung der unbeanstandeten Beibehaltung der Verwaltungspraxis technischer Zugangskontrollen unterstütze. In Bezug auf die Erstmitbeteiligte werde der Sorgfaltsmaßstab überspannt, wolle man ihr eine Verletzung von Überwachungs‑ und Sorgfaltsregeln iSd Verschuldensprinzips vorwerfen. Die Erstmitbeteiligte habe daher glaubhaft gemacht, dass ihr die Einhaltung der objektiv verletzten Verwaltungsvorschriften ohne ihr Verschulden unmöglich gewesen sei. Aufgrund der Feststellungen sei auch in der kontrollierten Filiale Personal anwesend gewesen, das aufgrund der übereinstimmenden Aussagen der Mitarbeiter der Zweitmitbeteiligten als Eigenpersonal zu qualifizieren gewesen sei, sodass die rechtliche Beurteilung des Verschuldens nur subsidiär zum Tragen komme.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.
7 Die mitbeteiligten Parteien erstatteten eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Zurück‑ bzw. Abweisung der Revision beantragten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 In seiner Revision bringt der revisionswerbende Magistrat vor, dem angefochtenen Erkenntnis mangle es an einer ‑ die Rechtsverfolgung ermöglichenden ‑ Trennung der Begründungselemente, es weise Aktenwidrigkeiten auf und enthalte eine falsche rechtliche Beurteilung hinsichtlich der Notwendigkeit von Zutrittskontrollen. Das Verwaltungsgericht wäre gehalten gewesen, einen Günstigkeitsvergleich vorzunehmen und dementsprechende Feststellungen zu treffen. Schließlich gehe das Verwaltungsgericht zu Unrecht vom Vorliegen eines entschuldigenden Rechtsirrtums bei der Erstmitbeteiligten aus.
9 In ihrer Revisionsbeantwortung verneinten die mitbeteiligten Parteien das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Das angefochtene Erkenntnis sei ausreichend begründet und es liege keine Aktenwidrigkeit vor. Schließlich sei das Günstigkeitsprinzip anzuwenden und die Erstmitbeteiligte sei mangels Verschulden nicht zu bestrafen.
10 Die Revision erweist sich als zulässig und begründet.
11 § 19 Abs. 1 und 2 Wr. Wettengesetz in der (Stamm‑)Fassung LGBl. Nr. 26/2016 lauten:
„(1) Die Teilnahme an einer Wette darf nur volljährigen Personen ermöglicht werden. Bei Zweifel über das Alter der Wettkundin bzw. des Wettkunden hat die Wettunternehmerin oder der Wettunternehmer oder die verantwortliche Person sich einen amtlichen Lichtbildausweis, der den Anforderungen des § 40 Abs. 1 Bankwesengesetz ‑ BWG entspricht, vorlegen zu lassen und diesen zu kontrollieren.
(2) Die Wettunternehmerin oder der Wettunternehmer einer Betriebsstätte mit Wettterminals muss jedenfalls in geeigneter Weise dafür sorgen, dass der Zutritt zu Räumen mit einem Wettterminal und die Teilnahme an einer Wette nur volljährigen Personen ermöglicht wird, die ihre Identität durch Vorlage eines gültigen amtlichen Lichtbildausweises gemäß Abs. 1 nachgewiesen haben und nicht gesperrt sind. Die Wettunternehmerin oder der Wettunternehmer oder die verantwortliche Person hat die Identität (Name und Geburtsdatum) der Wettkundin oder des Wettkunden und die Daten des amtlichen Lichtbildausweises, mit dem die Identität nachgewiesen wurde, festzuhalten. Diese Informationen müssen sieben Jahre lang aufbewahrt werden.“
12 § 19 Abs. 2 Wr. Wettengesetz in der Fassung LGBl. Nr. 40/2018 (in Kraft getreten am 7. Jänner 2019) lautet:
„Die Wettunternehmerin oder der Wettunternehmer muss durch die Einrichtung eines geeigneten Kontrollsystems dafür sorgen, dass der Aufenthalt in Räumen einer Betriebsstätte nur volljährigen Personen ermöglicht wird, die ihre Identität durch Vorlage eines gültigen amtlichen Lichtbildausweises nachgewiesen haben. In Betriebsstätten ohne ständige Aufsicht durch verantwortliche Personen der Wettunternehmerin oder des Wettunternehmers oder durch diese oder diesen selbst muss durch geeignete Maßnahmen sichergestellt werden, dass bereits der Zutritt zur Betriebsstätte nur volljährigen und nicht selbstgesperrten Personen ermöglicht wird.“
13 Eine Betriebsstätte im Sinne des Wiener Wettengesetzes ist nach dessen § 2 Z 7 jede ortsfeste, öffentlich zugängliche Einrichtung, in der Wetten von einer Buchmacherin oder von einem Buchmacher gewerbsmäßig abgeschlossen und/oder in der Wetten von einer Totalisateurin oder einem Totalisateur gewerbsmäßig vermittelt und/oder in der Wettkundinnen und Wettkunden von einer Vermittlerin oder einem Vermittler gewerbsmäßig vermittelt werden.
14 Soweit das Verwaltungsgericht davon auszugehen scheint, dass im Revisionsfall § 19 Abs. 2 erster Satz Wr. Wettengesetz idF LGBl. Nr. 40/2018 anzuwenden gewesen sei, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach sich § 19 Wr. Wettengesetz idF LGBl. Nr. 48/2016 und § 19 Wr. Wettengesetz idF LGBl. Nr. 40/2018 vom Unwerturteil her in keiner Weise unterscheiden und somit die neuere Rechtslage nicht günstiger ist (VwGH 22.7.2019, Ra 2019/02/0107‑0108). Im vorliegenden Fall wäre für den Tatzeitpunkt am 3. November 2017 daher § 19 Wr. Wettengesetz idF LGBl. Nr. 48/2016 heranzuziehen gewesen.
15 Nach der zu dieser Rechtslage ergangenen Rechtsprechung ersetzt ein Fingerabdruckscanner an den Automaten keine Zutrittskontrolle (neuerlich VwGH 22.7.2019, Ra 2019/02/0107‑0108). Eine Zutrittskontrolle im Sinne der zitierten Rechtsprechung ergibt sich im vorliegenden Fall aus den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes nicht.
16 Zur Annahme des Verwaltungsgerichtes, es liege aus den oben angeführten Gründen kein Verschulden der Erstmitbeteiligten vor, ist auf VwGH 9.2.2021, Ra 2020/02/0219, zu verweisen, wonach die bloße „Nichtbeanstandung“ keinen entschuldbaren Rechtsirrtum begründet. Dasselbe gilt für uneinheitliche Rechtsprechung von Verwaltungsgerichten.
17 Angesichts dieser Ausführungen lagen die vom Verwaltungsgericht angenommenen Gründe für eine Verfahrenseinstellung nicht vor.
18 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 6. April 2021
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