VwGH Ra 2020/02/0219

VwGHRa 2020/02/02199.2.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer‑Kober als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 15. Juli 2020, 1. VGW‑002/091/3370/2020/E-14, 2. VGW‑002/091/3372/2020/E, 3. VGW‑002/091/3375/2020/E, 4. VGW‑002/091/3371/2020/E, 5. VGW‑002/091/3374/2020/E und 6. VGW‑002/091/3376/2020/E, betreffend Übertretungen des Wiener Wettengesetzes und Verfall (mitbeteiligte Parteien: 1. A GmbH und 2. M P, beide in G und beide vertreten durch die SHMP Schwartz Huber‑Medek Pallitsch Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Hohenstaufengasse 7), zu Recht erkannt:

Normen

VStG §45 Abs1 Z2
VStG §5 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §38
WettenG Wr 2016 §25 Abs1 Z4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020020219.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis des revisionswerbenden Magistrats vom 23. Oktober 2018 wurde die Zweitmitbeteiligte als verantwortliche Beauftragte der erstmitbeteiligten Partei gemäß § 9 Abs. 2 VStG schuldig erachtet, es zu verantworten, dass die erstmitbeteiligte Partei in einer näher genannten Betriebsstätte, in der diese ihre Tätigkeit als Wettunternehmerin, nämlich als Buchmacherin, ausübe, am 4. März 2018 um 15:14 Uhr und am 10. März 2018 um 16:20 Uhr jeweils insofern gegen § 25 Abs. 1 Z 5 Wiener Wettengesetz, wonach die Ausübung der Tätigkeit als Wettunternehmerin oder Wettunternehmer während eines laufenden Ereignisses (Livewetten), ausgenommen Livewetten auf Teilergebnisse oder das Endergebnis, verboten sei, verstoßen habe, als diese laut Wettticket vom 4. März 2018 die Wette „Wer gewinnt die verbleibende Spielzeit? (Spielstand 2:0 Düsseldorf)“ und laut Wettticket vom 10. März 2018 die Wette „Wer gewinnt die verbleibende Spielzeit? (Spielstand 0:3) - FC Zbrojovka Brno“ zugelassen habe. Über die Zweitmitbeteiligte wurde gemäß § 24 Abs. 1 Z 16 Wiener Wettengesetz eine Geldstrafe von € 4.400,‑ ‑ (Ersatzfreiheitsstrafe: 8 Tage und 10 Stunden) verhängt. Die erstmitbeteiligte Partei wurde zur Haftung für die Geldstrafe verpflichtet und 14 näher genannte Wettannahmeterminals wurden samt Kasseninhalt für verfallen erklärt.

2 Der revisionswerbende Magistrat ging dabei im Wesentlichen davon aus, dass es sich bei den genannten Wetten um „Restzeitwetten“ handle, welche nach dem Wiener Wettengesetz unzulässige Livewetten darstellten, weil solche Wetten nicht auf das zahlenmäßige Endergebnis abstellten, sondern darauf, welche Mannschaft in der verbleibenden Zeit für sich betrachtet gewinnen würde. Daher hätten diese Livewetten nichts mit einem Teil- oder Endergebnis zu tun und seien deshalb verboten.

3 Mit Erkenntnis vom 17. Juli 2019 gab das Verwaltungsgericht der dagegen erhobenen Beschwerde Folge, hob das Straferkenntnis vom 23. Oktober 2018 auf und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG ein.

4 Dieses Erkenntnis hob der Verwaltungsgerichtshof über Revision des (auch hier) revisionswerbenden Magistrats mit Erkenntnis vom 4. März 2020, Ro 2019/02/0018, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf, weil die ‑ für Livewetten zulässigen ‑ Teil- und Endergebnisse eines Liveereignisses nach dem klaren Wortlaut nur solche sein können, die nach den Regeln des jeweiligen Spiels als solche vorgesehen sind (z.B.: Halbzeit im Fußball oder Satz im Tennis). „Restzeitergebnisse“ fallen jedenfalls nicht darunter. Sie stellen weder ein Teilergebnis noch ein Endergebnis im Sinne des § 25 Abs. 1 Z 5 (bzw. nunmehr Z 4) Wiener Wettengesetz dar. Es handelt sich bei Restzeitwetten somit um unzulässige Wetten gemäß § 25 Abs. 1 Z 5 (Z 4) Wiener Wettengesetz.

5 Im fortgesetzten Verfahren gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde der Mitbeteiligten mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis erneut Folge, hob das Straferkenntnis vom 23. Oktober 2018 in seinem gesamten Umfang auf und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG ein. Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte es für nicht zulässig.

6 In seiner Begründung erläuterte das Verwaltungsgericht, dass die Zweitmitbeteiligte einem Rechtsirrtum unterlegen sei. Die Mitbeteiligten hätten für einen Zeitraum von 15 Jahren unbeanstandet Live- und auch Restzeitwetten angeboten, in anderen Bundesländern würden diese weiterhin angeboten werden. Die erstmitbeteiligte Partei würde seit ca. 20 Jahren im Bereich des Wetten- und Glücksspielrechts von der einschreitenden Rechtsanwaltskanzlei vertreten werden. In dieser seien drei Juristen zu einem großen bis überwiegenden Teil mit dieser Rechtsmaterie beschäftigt und könnten diese daher als absolute Fachleute hinsichtlich dieser Materie angesehen werden. Vor dem gegenständlichen Tatzeitpunkt hätten mehrere Besprechungen zu näher genannten Terminen mit dem revisionswerbenden Magistrat stattgefunden, bei denen - unter anderem - auch die Restzeitwetten besprochen worden seien. Es seien von der Behörde keinerlei Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit solcher Wetten geäußert worden.

7 Als Grundlage für diese Feststellungen führte das Verwaltungsgericht in seiner Beweiswürdigung aus, dass sich die Besprechungstermine (und deren Inhalt) aus einer Stellungnahme der Mitbeteiligten ergäben und unbeanstandet geblieben seien. Auch den Inhalt der Besprechungen hätten die Mitbeteiligten glaubhaft wiedergeben können und sei diesem vom revisionswerbenden Magistrat nicht entgegengetreten worden. Die Feststellung zu der Fachexpertise der Vertretung ergebe sich aus dem Vorbringen und sei im Übrigen unbestritten geblieben. Es liege im vorliegenden Fall daher ein tatbestandsmäßiges und rechtswidriges Verhalten der Mitbeteiligten vor. Zur subjektiven Tatseite führte das Verwaltungsgericht weiter aus, dass im vorliegenden Fall feststehe, dass die Mitbeteiligten nicht nur fachkundigen Rat bei einem berufsmäßigen Parteienvertreter, der auf die gegenständlichen Normen spezialisiert sei, eingeholt hätten, sondern auch bei der Behörde nachgefragt hätten, sodass sie einem entschuldbaren Rechtsirrtum unterlegen seien.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision mit dem Antrag, dieses wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

9 Die mitbeteiligten Parteien erstatteten eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 Als zulässig erachtet der revisionswerbende Magistrat die Revision, weil das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung, ob die Zweitmitbeteiligte einem entschuldbaren Rechtsirrtum unterlegen ist, von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei. Die Unkenntnis über die gegenständliche Bestimmung sei nicht unverschuldet.

11 In ihrer Revisionsbeantwortung verneinten die Mitbeteiligten ein Verschulden hinsichtlich der Unkenntnis der Rechtslage und beantragten die kostenpflichtige Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision.

12 Die Revision ist zulässig und berechtigt:

13 Gemäß § 5 Abs. 2 VStG entschuldigt Unkenntnis der Verwaltungsvorschrift, der der Täter zuwidergehandelt hat, nur dann, wenn sie erwiesenermaßen unverschuldet ist und der Täter das Unerlaubte seines Verhaltens ohne Kenntnis der Verwaltungsvorschrift nicht einsehen konnte.

14 Nach der Rechtsprechung setzt ein Rechtsirrtum im Sinne des § 5 Abs. 2 VStG voraus, dass dem Betroffenen das Unerlaubte seines Verhaltens trotz Anwendung der nach seinen Verhältnissen erforderlichen Sorgfalt unbekannt geblieben ist. Auch eine irrige Gesetzesauslegung entschuldigt den Betroffenen nur dann, wenn sie unverschuldet war. Um sich darauf berufen zu können, bedarf es einer Objektivierung der eingenommenen Rechtsauffassung durch geeignete Erkundigungen. Die bloße Argumentation im Verwaltungsstrafverfahren mit einer ‑ allenfalls sogar plausiblen ‑ Rechtsauffassung vermag ein Verschulden am objektiv unterlaufenen Rechtsirrtum bei einer derartigen Konstellation nicht auszuschließen. Selbst guter Glaube stellt den angeführten Schuldausschließungsgrund dann nicht dar, wenn es Sache der Partei ist, sich mit den einschlägigen Vorschriften vertraut zu machen und im Zweifel bei der Behörde nachzufragen (vgl. VwGH 4.3.2020, Ro 2019/02/0018, mwN).

15 Gerade in Fällen, in denen die Möglichkeiten der Rechtsordnung im Wirtschaftsleben bis aufs Äußerste ausgenützt werden sollen, ist eine besondere Sorgfalt bei der Einholung von Auskünften über die Zulässigkeit einer beabsichtigten Tätigkeit an den Tag zu legen (vgl. VwGH 21.9.2018, Ra 2017/17/0933, mwN).

16 Im Falle nicht erteilter Auskünfte durch die Behörde ist der Betroffene vom Vorwurf des Verschuldens hinsichtlich eines Rechtsirrtums nicht befreit, wenn er aus der Tatsache der unterbliebenen Auskunftserteilung für sich das Recht ableitet, einen Gesetzesverstoß zu riskieren (vgl. VwGH 20.4.1995, 94/09/0377 und 0378).

17 Eine bloße „Nichtbeanstandung“ rechtswidrigen Handelns stellt noch keine Verwaltungsübung dar, auf die der Betroffene vertrauen darf (VwGH 11.11.2019, Ra 2018/08/0195).

18 In seinen Feststellungen hielt das Verwaltungsgericht fest, dass vor dem Tatzeitpunkt mehrere Gespräche zwischen den Mitbeteiligten und dem revisionswerbenden Magistrat stattgefunden hätten, bei denen auch die Restzeitwetten besprochen worden seien und von Seiten der Behörde keinerlei Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit solcher Wetten geäußert worden seien. Dem Inhalt der Besprechungen sei vom revisionswerbenden Magistrat auch nicht entgegengetreten worden.

19 Aus den Vorbringen in der Revision und in der Revisionsbeantwortung sowie aus dem Akteninhalt (insbesondere der Stellungnahme der mitbeteiligten Parteien im Beschwerdeverfahren, eingelangt beim Verwaltungsgericht am 9. Juni 2020, und des Verhandlungsprotokolls der mündlichen Verhandlung am 15. Juli 2020) ist Übereinstimmung der Parteien dahin erkennbar, dass die Mitbeteiligten zwar um eine Auskunft zur Zulässigkeit von Restzeitwetten beim revisionswerbenden Magistrat angesucht (Restzeitwetten wurden daher be- bzw. angesprochen), aber zu dieser Frage keine Auskunft erhalten haben. Dieser Umstand wurde von den Mitbeteiligten auch mehrmals in ihrer Stellungnahme und in der mündlichen Verhandlung angesprochen („Im vorliegenden Fall haben wir mehrfach nachgefragt, jedoch keine Antworten erhalten“, Mitbeteiligtenvertreter laut Verhandlungsprotokoll vom 15. Juli 2020, S 5).

20 Die Feststellung, wonach die Behörde keinerlei Bedenken zur Zulässigkeit von Restzeitwetten geäußert hatte, kann daher nur so verstanden werden, dass damit festgehalten wird, dass sich die Behörde gar nicht über die Zulässigkeit von Restzeitwetten - weder bejahend noch verneinend - geäußert hatte.

21 Die rechtliche Folgerung, nach welcher ein Rechtsirrtum dann entschuldbar sei, wenn sich die Behörde über die Zulässigkeit von Restzeitwetten gar nicht äußert - somit die Zulässigkeit weder bejaht noch verneint -, erweist sich nach der zitierten Rechtsprechung ebenso als rechtswidrig wie die Annahme, eine bloße „Nichtbeanstandung“ begründe einen entschuldbaren Rechtsirrtum.

22 Aus den Feststellungen des Verwaltungsgerichts (an die der Verwaltungsgerichtshof bei der Prüfung der angefochtenen Entscheidung gemäß § 41 VwGG gebunden ist) ergibt sich somit nicht, dass die Zweitmitbeteiligte einem schuldbefreienden Rechtsirrtum unterlegen ist, weshalb die Einstellung des Strafverfahrens zu Unrecht erfolgte.

23 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 9. Februar 2021

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