VwGH Ra 2020/01/0194

VwGHRa 2020/01/019412.4.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des E I in S, vertreten durch Dr. Philipp Lettowsky, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Getreidegasse 50, als bestellter Verfahrenshelfer, dieser vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf‑Dietrich‑Straße 19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. April 2020, Zl. W252 2183883‑1/13E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §11
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020010194.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 13. Dezember 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers, eines afghanischen Staatsangehörigen, sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.) und stellte fest, dass gemäß § 9 Abs. 3 BFA‑VG eine Rückkehrentscheidung vorübergehend unzulässig sei (Spruchpunkt IV.).

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Spruchpunkte I., II., und III. als unbegründet ab, gab der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt IV. statt und behob diesen Spruchpunkt ersatzlos. Des Weiteren sprach es aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

3 Gegen die Spruchpunkte II. und III. dieses Erkenntnisses richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 In der gesonderten Zulassungsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht und konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat (vgl. für viele etwa VwGH 22.2.2021, Ra 2021/01/0047, Rn. 5, mwN).

8 Dem Gebot der gesonderten Darstellung der Gründe nach § 28 Abs. 3 VwGG wird insbesondere dann nicht entsprochen, wenn die zur Zulässigkeit der Revision erstatteten Ausführungen der Sache nach Revisionsgründe (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) darstellen oder das Vorbringen zur Begründung der Zulässigkeit der Revision mit Ausführungen, die inhaltlich (bloß) Revisionsgründe darstellen, in einer Weise vermengt ist, dass keine gesonderte Darstellung der Zulässigkeitsgründe im Sinne der Anordnung des § 28 Abs. 3 VwGG vorliegt (vgl. etwa VwGH 15.2.2021, Ra 2021/01/0040, Rn. 6, mwN).

9 Zum Vorwurf der Aktenwidrigkeit der Feststellungen des Verwaltungsgerichts, wonach sich der Revisionswerber, im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftststaat in Herat oder Mazar‑e Sharif ansiedeln könne, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, ist darauf zu verweisen, dass eine Aktenwidrigkeit nur dann vorliegt, wenn der Akteninhalt unrichtig wiedergegeben wurde bzw. wenn sich das Verwaltungsgericht bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts mit dem Akteninhalt hinsichtlich der dort festgehaltenen Tatsachen in Widerspruch gesetzt hat (vgl. VwGH 13.2.2020, Ra 2019/01/0232-0237, Rn. 8, mwN). Derartiges legt die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht dar. Vielmehr wendet sich die Revision mit ihren diesbezüglichen Ausführungen gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts.

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes soll sich das Revisionsmodell nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§ 500 ff ZPO orientieren (vgl. RV 1618 BlgNR 24. GP , 16). Ausgehend davon ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. für viele VwGH 11.12.2019, Ra 2019/01/0465, mwN). Derartiges zeigt die Revision nicht auf.

11 Soweit die Revision in diesem Zusammenhang Verfahrensmängel, und zwar Feststellungs-, Begründungs- und Ermittlungsmängel, als Zulassungsgründe ins Treffen führt, muss auch schon in der Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel dargelegt werden, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise, also fallbezogen, darzulegen (vgl. für viele VwGH 27.7.2020, Ra 2020/01/0130, mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Revision nicht gerecht.

12 Die Frage der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative (IFA) stellt eine ‑ von der Asylbehörde bzw. dem Verwaltungsgericht zu treffende ‑ Entscheidung im Einzelfall dar. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liegt nur vor, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt (vgl. für viele VwGH 22.1.2021, Ra 2020/01/0482, Rn. 10, mwN).

13 Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz‑ und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet allerdings nicht aus, um die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001, Rn. 21; bzw. jüngst VwGH 15.2.2021, Ra 2020/01/0351, Rn. 11, mwN).

14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrscht, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist und die Möglichkeit hat, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in bestimmten Gebieten Afghanistans zugemutet werden (vgl. etwa VwGH 18.12.2020, Ra 2020/19/0332, Rn. 12, mwN).

15 Wie der Verwaltungsgerichtshof in dem zitierten Erkenntnis Ra 2018/18/0001, klargemacht hat, handelt es sich bei der „Zumutbarkeit“ um ein eigenständiges Kriterium, dem neben Art. 3 EMRK Raum gelassen wird. Wird durch die Behörde nach entsprechender Prüfung die Zumutbarkeit einer IFA in Bezug auf ein Gebiet allgemein bejaht, so obliegt es aber dem Asylwerber, besondere Umstände aufzuzeigen, die gegen die Zumutbarkeit sprechen (vgl. VwGH 13.2.2020, Ra 2019/01/0005, Rn. 9).

16 Dass das Verwaltungsgericht von dieser Rechtsprechung zur Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative abgewichen ist, zeigt die Revision ebenso wenig auf wie konkrete besondere Umstände gegen die Zumutbarkeit im vorliegenden Einzelfall.

17 In Bezug auf die Covid‑19‑Pandemie und subsidiären Schutz ist darauf hinzuweisen, dass in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bereits klargestellt wurde, dass für sich nicht entscheidungswesentlich ist, wenn sich für einen Asylwerber infolge der seitens afghanischer Behörden zur Verhinderung der Verbreitung des SARS‑CoV‑2‑Virus und von Erkrankungen an Covid‑19 gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellte, weil es darauf bei der Frage, ob im Fall seiner Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, nicht ankommt, solange diese Maßnahmen nicht dazu führen, dass die Sicherung der existenziellen Grundbedürfnisse als nicht mehr gegeben anzunehmen wäre. Das gilt auch für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative (vgl. wiederum VwGH 15.2.2021, Ra 2020/01/0351, Rn. 10, mwN).

18 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 12. April 2021

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