VwGH Ra 2019/21/0402

VwGHRa 2019/21/040225.5.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel, die Hofrätin Dr. Julcher und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. November 2019, G314 2216960‑1/5E, betreffend Einreiseverbot (mitbeteiligte Partei: D R, vertreten durch Mag. Stefan Errath, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Untere Viaduktgasse 6/6), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53
FrPolG 2005 §53 Abs2
FrPolG 2005 §53 Abs2 Z7
MRK Art8 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019210402.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein serbischer Staatsangehöriger, wurde am 21. Februar 2019 von Beamten der Landespolizeidirektion Wien auf einer Baustelle in Arbeitskleidung beim Einbau von Fenstern ohne arbeitsmarktrechtliche Bewilligung angetroffen.

2 Daraufhin leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Aufenthaltsbeendigungsverfahren ein und sprach mit Bescheid vom 25. Februar 2019 aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (von Amts wegen) nicht erteilt werde (Spruchpunkt I.). Weiters wurde gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung nach Serbien festgestellt (Spruchpunkt III.). Unter einem wurde gemäß § 53 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Z 6 und 7 FPG ein auf eineinhalb Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA‑VG einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.). Begründet wurde die Entscheidung im Wesentlichen mit dem ‑ aus dem Ausüben einer unerlaubten Beschäftigung folgenden ‑ unrechtmäßigen Aufenthalt des Mitbeteiligten in Österreich, der Betretung bei dieser Beschäftigung (§ 53 Abs. 2 Z 7 FPG) und den fehlenden ausreichenden Mitteln, die dem Mitbeteiligten zur Verfügung stünden (§ 53 Abs. 2 Z 6 FPG).

3 Gegen Spruchpunkt IV. des Bescheides erhob der ‑ am 1. März 2019 freiwillig nach Serbien ausgereiste ‑ Mitbeteiligte Beschwerde, in der er darauf hinwies, für ein slowakisches Unternehmen tätig gewesen zu sein, das in Österreich einen Werkvertrag erfüllt habe. Der Mitbeteiligte lebe in der Slowakei und habe dort auch bereits einen Aufenthaltstitel beantragt. Er habe auf die Zusicherung seines Arbeitgebers vertraut, wonach er sich bereits ab der Antragstellung rechtmäßig in der Slowakei aufgehalten habe und zur Arbeitsaufnahme berechtigt gewesen sei. Die Ausübung einer unerlaubten Erwerbstätigkeit, der er nicht zugestimmt hätte, sei für ihn nicht erkennbar gewesen.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 14. November 2019 gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde statt und behob Spruchpunkt IV. des Bescheides ersatzlos. Unter einem sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

5 Das Bundesverwaltungsgericht stellte im Wesentlichen fest, dass der Mitbeteiligte ledig sei und keine Obsorgepflichten habe. In Serbien würden Familienangehörige des Mitbeteiligten leben. Der Mitbeteiligte sei in Österreich ohne arbeitsmarktrechtliche Bewilligung für einen näher genannten serbischen Staatsangehörigen, der in der Slowakei ein Bauunternehmen betreibe, tätig geworden. Eine EU‑Entsendebestätigung sei nicht vorgelegt worden. Abgesehen von der Zeit der Anhaltung in Schubhaft (vom 21. Februar bis 1. März 2019) weise der Mitbeteiligte im Bundesgebiet keine Wohnsitzmeldung auf. Am 15. April 2019 sei dem Mitbeteiligten ein bis 28. Jänner 2021 gültiger slowakischer Aufenthaltstitel erteilt worden.

6 In rechtlicher Hinsicht begründete das Bundesverwaltungsgericht die Aufhebung des Einreiseverbotes zusammenfassend damit, dass den öffentlichen Interessen an der Einhaltung fremdenrechtlicher Bestimmungen und der Verhinderung von Schwarzarbeit zwar eine erhebliche Bedeutung zuzugestehen sei, jedoch sei bei der Erstellung der Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden und insbesondere das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr in Betracht zu ziehen. Der unbescholtene Mitbeteiligte sei im Bundesgebiet einmal bei einer unerlaubten Beschäftigung angetroffen worden und ihm sei wenig später ein slowakischer Aufenthaltstitel erteilt worden. Es gebe keine Hinweise darauf, dass er vorgehabt habe, sich hier für längere Zeit unrechtmäßig aufzuhalten oder wiederholt gegen fremden- und beschäftigungsrechtliche Vorschriften zu verstoßen. Es sei daher keine nennenswerte Wiederholungsgefahr anzunehmen, zumal das erstmalige Fehlverhalten des Mitbeteiligten angesichts „der komplexen Rechtslage bei grenzüberschreitenden Entsendungen nicht überbewertet werden solle“. Da fallbezogen nur eine vergleichsweise geringe Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens vorliege, sei das Einreiseverbot zusätzlich zur Rückkehrentscheidung nicht notwendig, um der vom Mitbeteiligten ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit wirksam zu begegnen. Die Erlassung eines Einreiseverbotes sei unter Berücksichtigung der bloß einmaligen Verfehlung des Mitbeteiligten und der mit der Erteilung eines slowakischen Aufenthaltstitels und der Erwerbstätigkeit dort verbundenen positiven Zukunftsprognose nicht gerechtfertigt.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dem der Mitbeteiligte keine Revisionsbeantwortung erstattete, erwogen hat:

8 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bringt zur Begründung der Zulässigkeit der Revision unter anderem vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von den vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten Grundsätzen zum Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 2 Z 7 FPG abgewichen. Im Revisionsfall sei aufgrund der Erfüllung des Tatbestandes des § 53 Abs. 2 Z 7 FPG ein Einreiseverbot zu erlassen gewesen, wenn nicht besondere einzelfallbezogene Umstände dagegengesprochen hätten. Die Umstände, auf die das Bundesverwaltungsgericht die Aufhebung des Einreiseverbotes stütze, seien nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht geeignet, eine nicht (mehr) gegebene Gefährdung der öffentlichen Ordnung zu begründen. Der Umstand, dass die Rechtslage bei der grenzüberschreitenden Entsendung von Arbeitnehmern komplex sei, könne nicht für den Mitbeteiligten sprechen, weil von einem eine Beschäftigung in Österreich aufnehmenden Drittstaatsangehörigen verlangt werden müsse, sich mit den dafür einschlägigen Rechtsnormen vertraut zu machen. Auch die Begründung, dass es keine Hinweise darauf gebe, dass der Mitbeteiligte wiederholt gegen fremden‑ und beschäftigungsrechtliche Vorschriften verstoßen habe, könne die Aufhebung des Einreiseverbotes nicht rechtfertigen. Die Gefährdungsannahme sei nämlich beim Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 7 FPG bereits bei einmaliger Verwirklichung berechtigt. Die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts greife außerdem zu kurz, weil der Mitbeteiligte vor der Betretung bei der Beschäftigung, die er nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) nicht hätte ausüben dürfen, bereits ca. 25 Tage dieselbe Beschäftigung ausgeübt habe. Der Umstand, dass der Mitbeteiligte unbescholten sei, sei neutral zu bewerten. Es sei überdies nicht ersichtlich, warum aus der Erteilung eines slowakischen Aufenthaltstitels eine positive Zukunftsprognose folge. Sollte das Bundesverwaltungsgericht mit seinem Abstellen auf den slowakischen Aufenthaltstitel vor Augen haben, dass das Einreiseverbot grundsätzlich im gesamten Schengenraum gelte, sei auf Art. 25 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) zu verweisen, der in dieser Konstellation eine Einschränkung des Einreiseverbotes auf Österreich vorsehe.

9 Die Revision ist im Hinblick darauf, dass das Bundesverwaltungsgericht ‑ was die revisionswerbende Behörde (auch) im Rahmen der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit ihrer Revision darlegt ‑ in entscheidungsmaßgeblicher Weise von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die nach § 53 Abs. 2 FPG vorzunehmende Beurteilung, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft, abgewichen ist, zulässig und auch begründet.

10 Bei der Frage der Erlassung eines Einreiseverbotes nach § 53 FPG ist eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, bei der die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen zu beurteilen und zu berücksichtigen hat, ob (bzw. inwieweit über die im unrechtmäßigen Aufenthalt als solchem zu erblickende Störung der öffentlichen Ordnung hinaus) der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Eine derartige Gefährdung ist nach der Gesetzessystematik insbesondere in den Fällen der Z 1 bis 9 des § 53 Abs. 2 FPG anzunehmen. Die Erfüllung eines Tatbestandes nach § 53 Abs. 2 FPG indiziert, dass der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit nicht nur geringfügig gefährdet (vgl. etwa VwGH 20.9.2018, Ra 2018/20/0349, Rn. 35; VwGH 24.5.2018, Ra 2017/19/0311, Rn. 12 und 19, mwN). Diese Gefährdungsannahme ist beim Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 7 FPG auch bereits bei einmaliger Verwirklichung berechtigt (vgl. erneut VwGH 24.5.2018, Ra 2017/19/0311, Rn. 19, mwN).

11 Bei der Beurteilung der Gefährdung nach § 53 Abs. 2 Z 7 FPG stützte sich das Bundesverwaltungsgericht tragend darauf, dass der Mitbeteiligte lediglich einmal bei einer unerlaubten Beschäftigung angetroffen worden sei und es keine Hinweise gebe, dass er vorgehabt hätte, sich hier für längere Zeit unrechtmäßig aufzuhalten oder wiederholt gegen fremden- und beschäftigungsrechtliche Vorschriften zu verstoßen, weshalb von keiner nennenswerten Wiederholungsgefahr auszugehen sei.

12 Zutreffend zeigt die Revision auf, dass diese Beurteilung in Widerspruch zu den Angaben des Mitbeteiligten in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl steht, in der er angab, er sei ca. 25 Tage vor der Betretung durch die Landespolizeidirektion Wien in die Slowakei eingereist und ab diesem Zeitpunkt jeden Tag wegen der Arbeit zwischen der Slowakei und Österreich hin‑ und hergereist.

13 Zu Recht macht die Revision weiters geltend, dass sich der Begründung des Erkenntnisses nicht eindeutig entnehmen lässt, inwiefern sich der Umstand der Erteilung eines slowakischen Aufenthaltstitels positiv auf die Gefährdungsprognose auswirkt.

14 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits festgehalten, dass eine vorsätzliche Vorgehensweise keine Voraussetzung der Erfüllung des Tatbestandes nach § 53 Abs. 2 Z 7 FPG ist. Auf die subjektive Sicht des Drittstaatsangehörigen kommt es nicht an. Von einem eine Beschäftigung in Österreich aufnehmenden Drittstaatsangehörigen muss verlangt werden, sich mit den dafür einschlägigen Rechtsnormen vertraut zu machen. Dabei genügt es etwa auch nicht, sich auf die Auskunft des Arbeitgebers zu verlassen (vgl. abermals VwGH 24.5.2018, Ra 2017/19/0311, nunmehr Rn. 18, mwN). Das Bundesverwaltungsgericht durfte daher die „komplexe Rechtslage bei grenzüberschreitenden Entsendungen“ nicht zu Gunsten des Mitbeteiligten in Anschlag bringen.

15 Zum anderen hat das Bundesverwaltungsgericht verkannt, dass sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl für die Erlassung des Einreiseverbotes (auch) auf einen weiteren der in § 53 Abs. 2 FPG (demonstrativ) ausgezählten Tatbestände gestützt hat. Demzufolge hätte sich das Bundesverwaltungsgericht näher damit befassen müssen, ob aufgrund der von der Behörde ins Treffen geführten ‑ aber vom Verwaltungsgericht keinen Feststellungen unterworfenen ‑ Umstände von der Erfüllung des in § 53 Abs. 2 Z 6 FPG angeführten Tatbestandes auszugehen ist.

16 Die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts vermochte daher ‑ bezogen auf seinen Entscheidungszeitpunkt ‑ die ersatzlose Behebung des Einreiseverbotes nicht zu tragen.

17 Nach dem Gesagten hat das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung über die Beschwerde gegen die Erlassung eines Einreiseverbotes mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit und mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Das angefochtene Erkenntnis war daher aus dem erstgenannten ‑ vorrangig wahrzunehmenden ‑ Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Im fortzusetzenden Verfahren wird aber einerseits die weitere sachverhaltsmäßige Entwicklung ‑ insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Gefährdungsprognose die Frage, ob dem Mitbeteiligten ein neuerliches Fehlverhalten im mittlerweile verstrichenen Zeitraum zur Last liegt ‑ einzubeziehen und andererseits darauf Bedacht zu nehmen sein, dass die mit eineinhalb Jahren bemessene Dauer des vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erlassenen Einreiseverbotes ausgehend von der Ausreise des Mitbeteiligten am 1. März 2019 nunmehr bereits abgelaufen wäre und sich damit die Frage der aktuell noch gegebenen Notwendigkeit eines Einreiseverbotes gegen den Mitbeteiligten stellt.

Wien, am 25. Mai 2021

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte