VwGH Ra 2020/22/0024

VwGHRa 2020/22/002420.2.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des Bürgermeisters der Stadt Wien gegen das am 15. Oktober 2019 mündlich verkündete und mit Datum vom 6. November 2019 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien, VGW-103/048/7103/2019-9, betreffend Versagung eines Reisepasses und Personalausweises sowie Entziehung eines Reisepasses (mitbeteiligte Partei: A A, vertreten durch Mag. Slavisa Zezelj, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Ferstelgasse 1/2), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
EURallg
PaßG 1992 §14 Abs1 Z3
PaßG 1992 §14 Abs1 Z3 litf
PaßG 1992 §15 Abs1
PaßG 1992 §19 Abs2
VwGG §30a Abs7
VwGG §34 Abs1
VwGG §36 Abs1
VwGG §51
12010E020 AEUV Art20
12010E021 AEUV Art21
32004L0038 Unionsbürger-RL
32004L0038 Unionsbürger-RL Art27
62010CJ0430 Hristo Gaydarov VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020220024.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Antrag der mitbeteiligten Partei auf Aufwandersatz wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Wien (Revisionswerber) vom 26. April 2019 wurde dem Mitbeteiligten gestützt auf § 14 Abs. 1 Z 3 lit. f in Verbindung mit § 19 Abs. 2 und § 15 Abs. 1 Passgesetz 1992 (im Folgenden PassG) die Ausstellung eines Reisepasses und eines Personalausweises jeweils versagt und ihm der bis zum 21. Juni 2017 gültige Reisepass entzogen.

Dabei stützte sich die belangte Behörde auf die Verurteilung des Mitbeteiligten durch das Landgericht Passau vom 10. Juli 2017, mit der der Mitbeteiligte auf Grund näher dargestellter Tathandlungen wegen der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit der Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (jeweils in nicht geringer Menge) zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt worden sei.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten statt, behob den bekämpften Bescheid und sprach aus, dass dem Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses und Personalausweises Folge zu geben sei. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für unzulässig erklärt.

Das Verwaltungsgericht stellte zunächst das der Verurteilung zugrunde liegende Tatgeschehen dar. Weiters legte es seiner Entscheidung im Wesentlichen die in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht untermauerten und als glaubwürdig angesehenen Angaben des Mitbeteiligten zugrunde. Der Mitbeteiligte (ein österreichischer Staatsbürger mit bosnischem Migrationshintergrund) habe angegeben, seine Verwandtschaft, insbesondere seinen seit längerer Zeit schwer erkrankten Großvater, in Bosnien besuchen zu wollen. Seit der Haftentlassung (im Februar 2019) wohne er bei seinen Eltern, die auch für seinen Lebensunterhalt aufkommen würden. Der Mitbeteiligte werde von seinem Großvater in dessen Testament mit der Erbschaft eines Hauses samt Ländereien in Bosnien bedacht, wobei der Erbantritt im Erbfall persönlich vorzunehmen sei und er das Erbe somit ohne Reisepass nicht antreten könnte. Bei der der Verurteilung zugrunde liegenden Tat habe es sich um einen einmaligen Vorfall gehandelt; der Mitbeteiligte habe sich dazu aus Geldmangel verleiten lassen, er habe aber keine Kontakte zu Kriminellen und sich seither wohlverhalten. Der (mittlerweile entschuldete) Mitbeteiligte sei beim AMS arbeitssuchend gemeldet.

Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der insbesondere der Vater des Mitbeteiligten die familiäre Situation und die enge Bindung des Mitbeteiligten zum Familienverband dargestellt habe, und unter Berücksichtigung der Konstellation betreffend das Testament des Großvaters und den insoweit drohenden finanziellen wie auch emotionalen Schaden gelangte das Verwaltungsgericht - ungeachtet der kurzen Zeit des Wohlverhaltens und der Art und Schwere des Verbrechens - zu einer von der belangten Behörde abweichenden Gefährdungsprognose nach § 14 Abs. 1 Z 3 lit. f PassG.

3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der belangten Behörde.

Seitens der mitbeteiligten Partei wurde - unaufgefordert - eine Stellungnahme erstattet.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 5 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit vor, das angefochtene Erkenntnis weiche von zwei näher bezeichneten Beschlüssen des Verwaltungsgerichtshofes ab, denen ähnliche Sachverhalte zugrunde gelegen seien.

6 Gemäß § 14 Abs. 1 Z 3 lit. f PassG ist die Ausstellung eines Reisepasses zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Passwerber den Reisepass benützen will, um entgegen den bestehenden Vorschriften Suchtgift in einer großen Menge zu erzeugen, einzuführen, auszuführen oder in Verkehr zu setzen. 7 Eine (somit gebotene) Gefährdungs- bzw. Zukunftsprognose stellt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine einzelfallbezogene Beurteilung dar, die im Allgemeinen - sofern sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. etwa VwGH 25.4.2019, Ra 2019/22/0049, mwN).

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat (im Zusammenhang mit der Gefährdungsprognose nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005) zwar allgemein festgehalten, dass Suchtgiftschmuggel ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist (vgl. VwGH 4.4.2019, Ra 2019/21/0060, mwN).

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat aber ebenso ausgesprochen, dass durch die Entziehung eines Reisepasses (und nichts anderes gilt für die Verweigerung der Ausstellung eines Reisepasses) gemäß § 14 Abs. 1 Z 3 PassG das unionsrechtlich zustehende Recht auf Freizügigkeit eingeschränkt wird und im Hinblick auf die Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Union in seinem Urteil vom 17. November 2011 in der Rs. C-430/10 , Gaydarov, eine Auseinandersetzung damit erfolgen müsse, inwieweit vom Betroffenen immer noch eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr im Sinn der Vorgaben der Richtlinie 2004/38/EG ausgehe (vgl. VwGH 19.6.2012, 2009/18/0094; 25.10.2017, Fe 2016/22/0001). Bloß allgemeine Aussagen hinsichtlich des Erfahrungswissens ohne das Anführen konkreter Tatsachen, auf welche die Annahme nach § 14 Abs. 1 Z 3 lit. f PassG gestützt wird, werden diesen Anforderungen an die Zukunftsprognose nicht gerecht (vgl. VwGH 6.9.2012, 2009/18/0159).

10 Dem Revisionswerber ist einzuräumen, dass ein Wohlverhalten von zehn Monaten für sich genommen nicht hinreichend wäre, um eine für den Antragsteller positive Zukunftsprognose zu erzielen. Allerdings sind bei Vornahme einer derartigen Prognose neben der Schwere des in der Vergangenheit gezeigten Fehlverhaltens und der Dauer des Wohlverhaltens auch die familiären und sonstigen persönlichen Verhältnisse des Betroffenen sowie die wirtschaftliche Perspektive zu berücksichtigen (vgl. erneut VwGH 2009/18/0094, wonach strafrechtliche Verurteilungen allein eine die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit beschränkende Maßnahme nicht ohne weiteres begründen können). Zudem muss bei einer Maßnahme wie der hier gegenständlichen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden (vgl. VwGH 6.9.2012, 2009/18/0168).

11 Dem Verwaltungsgericht kann daher nicht entgegengetreten werden, wenn es - gestützt u.a. auf den in der mündlichen Verhandlung erlangten Eindruck (vgl. zur besonderen Bedeutung der Gewinnung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in Bezug auf eine allenfalls erforderliche Gefährdungsprognose etwa VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0127) - die als besonders erachtete familiäre Situation und Einbindung des Mitbeteiligten, die im Hinblick auf das Testament des Großvaters in Bosnien und Herzegowina als gravierend angesehenen Folgen einer Verweigerung der Ausstellung eines Reisepasses sowie den Umstand, dass sich die angesprochene Wiederholungsgefahr beim Mitbeteiligten bislang nicht manifestiert hat, bei seiner Entscheidung berücksichtigt hat. Dass die insoweit zugrunde liegenden beweiswürdigenden Überlegungen unvertretbar wären, zeigt die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht auf und ist auch sonst nicht ersichtlich.

12 Zu der in der Revision behaupteten Abweichung des angefochtenen Erkenntnisses von den Beschlüssen VwGH 25.4.2019, Ra 2019/22/0049, sowie 7.6.2016, Ra 2016/22/0036, ist Folgendes festzuhalten: Da - wie dargestellt - für die Zukunftsprognose eine Mehrzahl von Kriterien heranzuziehen ist, kann mit dem bloßen Hinweis auf eine Vergleichbarkeit der Schwere des Fehlverhaltens noch kein Abweichen aufgezeigt werden. Anhaltspunkte dafür, dass die im vorliegenden Fall vom Verwaltungsgericht als relevant angesehenen (in Rn. 11 dargestellten) Aspekte bei den zitierten Beschlüssen (in denen etwa von instabilen bzw. ungewissen familiären Verhältnissen die Rede war) gegeben gewesen wären, sind nicht ersichtlich. Eine - für ein Abweichen des Verwaltungsgerichtes von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erforderliche - hinreichende Vergleichbarkeit der jeweils zugrunde liegenden Sachverhalte (siehe dazu etwa VwGH 19.4.2016, Ro 2015/22/0004) scheint im vorliegenden Fall somit nicht gegeben.

13 Ausgehend davon vermag die Revision weder eine Unvertretbarkeit der Gefährdungsprognose noch ein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufzuzeigen.

14 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

15 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

16 Somit erübrigt sich eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über den Antrag, der außerordentlichen Revision aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

17 Nach § 30a Abs. 7 in Verbindung mit § 36 Abs. 1 VwGG hat im Fall einer außerordentlichen Revision der Verwaltungsgerichtshof das Vorverfahren zu führen und die Parteien zur Einbringung einer Revisionsbeantwortung aufzufordern. Eine solche Aufforderung ist im vorliegenden Fall seitens des Verwaltungsgerichtshofes nicht ergangen, weil die außerordentliche Revision zurückgewiesen wird. Der Ersatz der Kosten für die seitens der mitbeteiligten Partei erstattete Stellungnahme konnte daher nicht zugesprochen werden (siehe VwGH 17.10.2016, Ra 2016/22/0024, mwN).

Wien, am 20. Februar 2020

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