Normen
AsylG 2005 §9 Abs1
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200154.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 25. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Mit Bescheid vom 29. September 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.
3 Die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das BFA zusammengefasst damit, dass der Revisionswerber, der an einer Anpassungsstörung leide und in medikamentöser Behandlung stehe, im Rückkehrfall in eine die Existenz bedrohende Notlage geriet. Im Herkunftsland mangle es an Behandlungsmöglichkeiten für psychisch Erkrankte und insbesondere im Hinblick auf Depressionen sei keine adäquate Behandlung verfügbar. Seine psychisch instabile Situation erschwere dem Revisionswerber den Zugang zum Arbeitsmarkt, wodurch auch die Existenzsicherung wesentlich beeinträchtigt wäre.
4 Über Antrag des Revisionswerbers verlängerte das BFA mit Bescheid vom 1. August 2017 die befristete Aufenthaltsberechtigung für weitere zwei Jahre.
5 Mit Bescheid vom 9. Oktober 2019 erkannte das BFA dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen ab, wies seinen neuerlichen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte das BFA mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
6 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer Verhandlung (mit einer für den Revisionsfall nicht relevanten Maßgabe) als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung dieses Schutzstatus (§ 8 Abs. 1 leg. cit.) nicht oder nicht mehr vorliegen. Die Anwendung des ‑ vom BVwG vorliegend herangezogenen ‑ zweiten Tatbestandes des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 setzt voraus, dass sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (die nur im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf) geändert hat (vgl. VwGH 18.3.2020, Ra 2019/20/0590, mwN).
11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dabei maßgeblich, dass es gerade in Bezug auf die Frage, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, sodass Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht, regelmäßig nicht allein auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses ankommt (vgl. VwGH 13.5.2020, Ra 2019/01/0164, mwN).
12 Bei Hinzutreten neuer Umstände (nach der Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung) dürfen im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbeurteilung alle für die Entscheidung maßgeblichen Elemente einbezogen werden, selbst wenn sie sich vor der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ereignet haben. Bei einer Beurteilung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 sind daher nicht isoliert nur jene Sachverhaltsänderungen zu berücksichtigen, die zeitlich nach der zuletzt erfolgten Bewilligung der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung eingetreten sind (vgl. VwGH 9.1.2020, Ra 2019/19/0496, mwN).
13 Das BVwG hielt zum gesundheitlichen Zustand des Revisionswerbers mit näherer Begründung fest, dass dieser seit Oktober 2019 (wieder) unter psychischen Problemen leide und in medikamentöser Behandlung stehe, wobei die von ihm eingenommenen Medikamente in seiner Herkunftsstadt verfügbar und leistbar seien. Der Revisionswerber sei seit Anfang Dezember 2017 diversen Beschäftigungen nachgegangen, habe „den Führerschein gemacht“ und sei auch nach Wiederaufleben seiner psychischen Probleme im Oktober 2019 weiterhin in der Lage gewesen, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und „den Staplerschein“ im Dezember 2019 „zu machen“. Unter Berücksichtigung der trotz psychischer Probleme bestehenden Arbeitsfähigkeit des Revisionswerbers, der Verfügbarkeit der notwendigen Medikamente im Herkunftsland, der gewonnenen Berufs- und Lebenserfahrung und seiner persönlichen Entwicklung gelangte das BVwG schließlich zu dem Ergebnis, dass es dem (im Jahr 1995 geborenen) Revisionswerber nun möglich sei, nach Mazar‑e Sharif, wo auch Verwandte des Revisionswerbers lebten, zurückzukehren und sich dort eine Existenz aufzubauen.
14 Ausgehend von den Erwägungen des BVwG vermag die Revision mit ihrem pauschal gehaltenen Zulässigkeitsvorbringen, wonach dem Erkenntnis eine ordnungsgemäße Feststellung des Sachverhaltes, entsprechende Beweiswürdigung sowie rechtliche Beurteilung fehle, und wonach keine wesentliche Änderung der Umstände, die zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt hätten, vorliege, weder ein Abweichen von der oben dargelegten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten noch ein Abweichen von der Rechtsprechung zur Begründungspflicht nach § 29 VwGVG aufzuzeigen.
15 Sofern der Revisionswerber zudem die Nichteinholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens aus dem Bereich der Psychiatrie rügt, ist darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob amtswegige Erhebungen erforderlich sind, regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darstellt, weil es sich dabei um eine einzelfallbezogene Beurteilung handelt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 28.1.2020, Ra 2019/20/0580, mwN). Derartiges wird in der Revision nicht dargetan.
16 Entgegen den Behauptungen des Revisionswerbers, wonach das BVwG zu seinem Gesundheitszustand ohne konkrete Sachverhaltsgrundlage bloß allgemeine Annahmen getätigt und Spekulationen angestellt habe, enthält die Beweiswürdigung des angefochtenen Erkenntnisses eine nähere Auseinandersetzung mit dem Vorbringen zu den psychischen Beschwerden des Revisionswerbers, der erforderlichen Behandlung, den vorgelegten medizinischen Unterlagen sowie der medizinischen Versorgung in seinem Herkunftsland. Inwiefern das BVwG diese Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. zu diesem Prüfungskalkül VwGH 18.5.2020, Ra 2020/20/0062, mwN), vermag die Revision nicht aufzuzeigen.
17 Der Revisionswerber beanstandet auch die vom BVwG im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung. Dazu ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel ist (vgl. VwGH 1.4.2020, Ra 2020/20/0072, mwN).
18 Mit dem pauschalen Vorbringen, das BVwG habe ‑ ohne Gesamtabwägung ‑ bloß einzelne „Integrationsgründe und Umstände“ herausgegriffen, um das Überwiegen des öffentlichen Interesses zu begründen, unterlässt es der Revisionswerber, konkret jene Umstände zu bezeichnen, die unberücksichtigt geblieben wären oder welchen zu viel Gewicht beigemessen worden wäre. Er vermag daher nicht aufzuzeigen, dass das BVwG seine Interessenabwägung in einer unvertretbaren Weise vorgenommen hätte oder dass die Gewichtung der einbezogenen Umstände den in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien widerspräche.
19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 5. August 2020
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