VwGH Ra 2020/18/0158

VwGHRa 2020/18/015810.8.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des M G, vertreten durch Dr. Michael Brand, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Schüttelstraße 55, Carré Rotunde, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. April 2020, W138 2192316‑1/10E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §11
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180158.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 3. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, von den Taliban aufgefordert worden zu sein, Sprengstoff in der Firma, in der er gearbeitet habe, zu platzieren. Nach seiner Flucht nach Europa hätten die Taliban und ein Verwandter seinen Vater ermordet. Bei einer Rückkehr befürchte er, dass sein Verwandter ihn aus Angst vor einer Blutrache töten würde.

2 Mit Bescheid vom 9. März 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

4 Begründend führte das BVwG aus, es habe sich betreffend den Herkunftsstaat des Revisionswerbers keine asylrelevante Verfolgung ergeben. Die Befürchtung des Revisionswerbers, dass sein Verwandter ihn aus Angst vor einer Blutrache töten würde, beruhe bloß auf Spekulationen und sei nicht glaubhaft. Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz hielt das BVwG fest, dass dem arbeitsfähigen Revisionswerber, der über eine überdurchschnittlich gute Schulbildung sowie mehrjährige Berufserfahrung verfüge, eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Kabul, Herat und Mazar‑e Sharif offenstehe. Im Rahmen der Rückkehrentscheidung führte das BVwG eine näher begründete Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA‑VG durch und kam zu dem Ergebnis, dass auch unter Miteinbeziehung integrativer Merkmale, wie etwa der erworbenen Deutschkenntnisse, im Hinblick auf die Zeitspanne, während derer sich der Revisionswerber bereits in Österreich aufhalte, eine von Art. 8 EMRK geschützte Aufenthaltsverfestigung noch nicht angenommen werden könne.

5 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vorbringt, die vom BVwG zitierten Entscheidungen seien auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil sich diese auf andere Sachverhalte bezögen. Es fehle daher an einer gefestigten einschlägigen fallbezogenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters verweist die Revision für die weiteren revisiblen Rechtsfragen auf die Revisionsgründe und erhebt diese zum Inhalt der Zulässigkeitsbegründung.

6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in der gesonderten Zulassungsbegründung konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat (vgl. VwGH 29.5.2020, Ra 2020/14/0190, mwN). Das pauschale Zulässigkeitsvorbringen, wonach für den konkreten Fall keine vergleichbare Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vorliege, wird den Anforderungen an die Darlegung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung in der gesonderten Zulässigkeitsbegründung nicht gerecht. Die Revision zeigt nicht konkret auf die vorliegende Rechtssache bezogen auf, zu welcher Rechtsfrage, von deren Lösung das rechtliche Schicksal der Revision abhängt, Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt. Überdies führt die Revision auch nicht an, welche konkreten vom BVwG zitierten Entscheidungen sie vor Augen hat und aus welchen Gründen diese von anders gelagerten Sachverhalten ausgingen.

11 Soweit die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung auf das Vorbringen in den Revisionsgründen verweist, ist darauf hinzuweisen, dass ein Verweis auf die sonstigen Ausführungen der Revision nicht genügt, um dem Erfordernis, gesondert die Gründe zu nennen, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird, Rechnung zu tragen (vgl. VwGH 15.4.2020, Ra 2019/20/0287, mwN).

12 Schon aus diesen Gründen zeigt die Revision daher keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf.

13 Im Übrigen lässt sich auch aus den Ausführungen in den Revisionsgründen keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG erkennen.

14 Die Frage der Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative stellt letztlich eine von der Asylbehörde bzw. dem Verwaltungsgericht zu treffende Entscheidung im Einzelfall dar. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liegt nur vor, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt (vgl. etwa VwGH 27.5.2020, 2020/01/0140, mwN).

15 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits erkannt, dass eine schwierige Lebenssituation (bei der Arbeitsplatz‑ und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht), die ein Asylwerber bei Rückführung in das als innerstaatliche Fluchtalternative geprüfte Gebiet vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001).

16 Das BVwG traf fallbezogen Länderfeststellungen zur Sicherheits- und Versorgungslage in Mazar‑e Sharif und Herat, berücksichtigte die Vorgaben der UNHCR‑Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 (im Folgenden: UNHCR‑Richtlinien) sowie der EASO‑Richtlinien für Afghanistan (EASO Country Guidance: Afghanistan, June 2018) und setzte sich mit den persönlichen Umständen des Revisionswerbers auseinander. Dem angefochtenen Erkenntnis lagen die ‑ unbestritten gebliebenen ‑ Feststellungen zugrunde, dass es sich beim Revisionswerber um einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann mit mehrjähriger Schulbildung sowie einem angefangenen Informatikstudium handle. Im Rahmen der Prüfung subsidiären Schutzes führte das BVwG aus, dass der Revisionswerber aufgrund seiner überdurchschnittlich guten Schulbildung, seiner mehrjährigen Berufstätigkeit und seiner Arbeitsfähigkeit die Möglichkeit habe, sich in den als innerstaatliche Fluchtalternative in Betracht kommenden Städten allenfalls durch Gelegenheitstätigkeiten aus eigenem eine Existenzgrundlage zu sichern. Darüber hinaus könne er von seiner in Kabul lebenden Familie finanziell unterstützt werden und Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Vor diesem Hintergrund vermag die Revision mit ihrem ‑ nicht näher begründeten ‑ Vorbringen der Unzumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative für den Revisionswerber nicht darzulegen, dass der Revisionswerber in Mazar‑e Sharif und Herat keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative vorfände (zum lediglich pauschalen Vorbringen der Revision gegen deren sichere Erreichbarkeit vgl. VwGH 24.6.2020, Ra 2020/20/0195, mwN).

17 Soweit die Revision moniert, dass dem Revisionswerber im Lichte der UNHCR‑Richtlinien eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul keinesfalls zumutbar wäre, ist darauf zu verweisen, dass es sich hierbei lediglich um eine Alternativbegründung handelt. Auf die auf eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul Bezug nehmenden Ausführungen war daher nicht weiter einzugehen (vgl. zur Unzulässigkeit einer Revision bei einer tragfähigen Alternativbegründung etwa VwGH 27.4.2020, Ra 2019/20/0242, mwN).

18 Soweit die Revision das Ergebnis der vom BVwG vorgenommenen Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK für unzutreffend erachtet, ist festzuhalten, dass diese nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel ist (vgl. erneut VwGH 24.6.2020, Ra 2020/20/0195). Das BVwG setzte sich im Rahmen seiner Interessenabwägung mit allen entscheidungswesentlichen, insbesondere auch den zu Gunsten des Revisionswerbers sprechenden, Umständen auseinander und kam zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegenüber den privaten Interessen des Revisionswerbers überwiege. Die Revision vermag nicht aufzuzeigen, dass diese Abwägung mit den Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung im Widerspruch stünde (vgl. VwGH 8.1.2020, Ra 2019/18/0329, mwN).

19 Wenn die Revision in den Revisionsgründen schließlich weiters ins Treffen führt, das BVwG hätte weitergehende Ermittlungen zur Ausübung von Blutrache in Afghanistan treffen müssen, ist auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung zu verweisen, wonach die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, einer einzelfallbezogenen Beurteilung unterliegt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 10.6.2020, Ra 2020/18/0068, mwN).

20 Dies ist im Revisionsfall jedoch nicht ersichtlich. Das BVwG hielt nämlich bereits das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers, wonach er befürchte, dass sein Verwandter ihn aus Angst vor einer Blutrache töten würde, für spekulativ und nicht glaubhaft, weil die erwachsenen Brüder des Revisionswerbers seit Jahren unbehelligt in Kabul lebten und keiner Bedrohung durch den Verwandten ausgesetzt seien. Es sei daher nicht davon auszugehen, dass sich dieser vor einer Blutrache durch die Familie des Revisionswerbers oder den Revisionswerber selbst fürchte. Dass diese Beweiswürdigung unvertretbar wäre (vgl. zum diesbezüglichen Prüfmaßstab VwGH 10.1.2020, Ra 2019/20/0579, mwN), zeigt die Revision nicht auf.

21 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 10. August 2020

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