VwGH Ra 2020/20/0195

VwGHRa 2020/20/019524.6.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision des S J M in S, vertreten durch Mag. Thomas Loos, Rechtsanwalt in 4400 Steyr, Schönauerstraße 7, gegen das am 10. März 2020 mündlich verkündete und am 22. April 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, W114 2202885‑1/17E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200195.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 6. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005, den er zusammengefasst damit begründete, in seinem Herkunftsstaat von den Taliban verfolgt zu werden.

2 Mit Bescheid vom 27. Juni 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Die Revision wendet sich zur Begründung ihrer Zulässigkeit gegen die ‑ im Rahmen der Prüfung der Gewährung von subsidiärem Schutz erfolgte ‑ Annahme des BVwG, dass die als Gebiete einer innerstaatlichen Fluchtalternative ins Auge gefassten Städte Herat und Mazar‑e Sharif über den Luftweg sicher erreichbar seien. Sie bringt dazu vor, dass aufgrund der vom BVwG in Übereinstimmung mit den Richtlinien des UNHCR getroffenen Feststellungen die afghanische Hauptstadt Kabul als unsicher einzustufen sei, sodass auch eine sichere Erreichbarkeit der Städte Herat und Mazar‑e Sharif über den Flughafen Kabul nicht gegeben sei. Ferner stelle sich die Frage, ob die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei, wenn zwar eine innerstaatliche Fluchtalternative vorliege, die Abschiebung aber nicht „direkt“ in das Gebiet der als innerstaatliche Fluchtalternative bezeichneten afghanischen Städte, sondern nur über unsichere Gebiete (nämlich Kabul) erfolgen könne.

8 Zunächst wird, wenn der Revisionswerber ‑ sowohl hinsichtlich der Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz, als auch betreffend die Feststellung der Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Afghanistan ‑ das Vorliegen einer für ihn sicheren (Durch‑)Reisemöglichkeit über den Flughafen Kabul in die Städte Mazar‑e Sharif und Herat bestreitet, mit dem pauschalen Vorbringen zur allgemeinen Sicherheitslage in der afghanischen Hauptstadt nicht aufgezeigt, dass das BVwG fallbezogen bei der Bejahung einer sicheren Erreichbarkeit der im angefochtenen Erkenntnis als innerstaatliche Fluchtalternative angeführten afghanischen Städte zu einem unvertretbaren Ergebnis gelangt wäre (vgl. zu der im Einzelfall auf der Grundlage ausreichender Feststellungen vorzunehmenden Prüfung der sicheren und legalen Erreichbarkeit des für eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in Frage kommenden Gebiets VwGH 27.4.2020, Ra 2019/20/0242, mwN;betreffend eine Reiseroute über Kabul vgl. auch VwGH 30.10.2019, Ra 2019/14/0451).

9 So werden in dem Bericht von EASO (Country Guidance: Afghanistan, Guidance note and common analysis, Juni 2019, S 130) im Zusammenhang mit der Prüfung der sicheren Erreichbarkeit eines als innerstaatliche Fluchtalternative in Betracht zu ziehenden Gebiets sicherheitsrelevante Bedenken betreffend Reiserouten, die über die Flughäfen der Städte Kabul, Mazar‑e Sharif und Herat in die jeweiligen Stadtgebiete führen, im Allgemeinen nicht geteilt. Hinsichtlich der Frage einer sicheren (Durch‑)Reisemöglichkeit über den Flughafen in Kabul ist den in der Zulässigkeitsbegründung ins Treffen geführten Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 nichts Gegenteiliges zu entnehmen (vgl. die zuletzt genannten Richtlinien, S 125, wonach zur Feststellung, ob das betreffende Gebiet einer innerstaatlichen Fluchtalternative für den Antragsteller praktisch und sicher erreichbar sei, die Verfügbarkeit von Lufttransport zum nächstgelegenen Flugplatz und die Sicherheit einer Weiterreise auf der Straße zum endgültigen Bestimmungsort zu prüfen seien).

10 Im Übrigen übergeht die Revision die Feststellungen des BVwG zu den nach Afghanistan bestehenden internationalen Flugverbindungen, wonach u.a. der internationale Flughafen der Stadt Mazar‑e Sharif am Luftweg über mehrere internationale Flugstrecken direkt erreichbar sei (vgl. dazu auch den EASO‑Bericht, Key socio‑economic indicators, Focus on Kabul City, Mazar‑e Sharif and Herat City, Country of Origin Information Report, April 2019, S 19; zur ausreichend sicheren Erreichbarkeit des Stadtgebiets von Mazar‑e Sharif ausgehend vom Flughafen dieser Stadt vgl. z.B. VwGH 27.8.2019, Ra 2019/14/0351). Dass für den Revisionswerber bei Nutzung einer direkten internationalen Flugverbindung nach Mazar‑e Sharif eine legale Reiseroute unter Bedachtnahme auf sicherheitsrelevante Risikofaktoren nicht in Betracht käme, wird in der Zulässigkeitsbegründung nicht dargelegt.

11 Soweit die Revision das Ergebnis der vom BVwG vorgenommenen Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK für unzutreffend erachtet, ist festzuhalten, dass diese nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel ist (vgl. VwGH 28.1.2010, Ra 2020/20/0010, mwN).

12 Entgegen dem Vorbringen des Revisionswerbers berücksichtigte das BVwG bei seiner Interessenabwägung nicht nur dessen ca. viereinhalbjährige Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet und seine fortgeschrittenen Deutschkenntnisse, sondern auch seine in beruflicher Hinsicht erfolgten Integrationsbemühungen, gelangte jedoch ‑ im Lichte der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vertretbar (vgl. VwGH 2.12.2019, Ra 2019/20/0537, sowie 5.6.2019, Ra 2019/18/0078) ‑ zu dem Schluss, dass die Abwägung der im Sinne des Art. 8 EMRK geschützten Interessen des Revisionswerbers an einem weiteren Verbleib in Österreich gegenüber den gegenläufigen öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung zu seinen Ungunsten ausfalle. Auch der Einwand, es sei bei der Interessenabwägung die Minderjährigkeit des Revisionswerbers bei Antragstellung zu berücksichtigen gewesen, führt nicht zu der Beurteilung, dass die Gewichtung der durch das BVwG in die Interessenabwägung einbezogenen Umstände gemessen am Prüfkalkül des Verwaltungsgerichtshofes zu beanstanden wäre.

13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 24. Juni 2020

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