Normen
AsylG 2005 §3 Abs1
EURallg
FlKonv Art1 AbschnA Z2
32011L0095 Status-RL Art9 Abs1
62011CJ0071 Y und ZVORAB
62017CJ0056 Fathi VORAB
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180017.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte am 13. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, zum Christentum konvertiert zu sein und deshalb im Iran verfolgt zu werden.
2 Mit Bescheid vom 30. Juni 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Iran zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG aus, der Revisionswerber habe sich im Jahr 2016 im protestantisch‑evangelischen Glauben taufen lassen und sei im Jahr 2018 aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten. Es sei jedoch nicht glaubhaft, dass der Revisionswerber im Iran ernsthaft mit dem christlichen Glauben in Kontakt gekommen sei, diesen christlichen Glauben nunmehr aus innerer Überzeugung lebe und ihn im Falle einer Rückkehr in den Iran leben würde. Es stehe somit fest, dass es sich um eine Scheinkonversion handle. Aus den Länderfeststellungen ergebe sich, dass vor allem missionierende Christen und den Glauben ausübende Konvertiten willkürlichen Festnahmen ausgesetzt wären. Dies wäre beim Revisionswerber nicht der Fall.
5 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit und in der Sache (unter anderem) geltend macht, dass die Beweiswürdigung des BVwG nur „Scheinbegründungen“ enthalte. Auch übergehe das BVwG stillschweigend Beweisergebnisse, nämlich insbesondere die Aussage des Zeugen W.D., die überhaupt nicht in die Beweiswürdigung eingeflossen sei. Es werde somit auch nicht dargetan, warum die Aussage dieses Zeugen, der die Angaben des Revisionswerbers im Wesentlichen bestätigt habe, nicht gefolgt werde.
6 Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Revision ist zulässig und begründet.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat unter Hinweis auf das Urteil des EuGH vom 5. September 2012, Y und Z, C‑71/11 und C‑99/11, bereits erkannt, dass eine begründete Furcht des Antragstellers vor asylrelevanter Verfolgung vorliegt, sobald nach Auffassung der zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Antragstellers vernünftigerweise anzunehmen ist, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen. Die Tatsache, dass einem Asylwerber im Herkunftsstaat etwa aufgrund eines Gesetzes über Apostasie eine Todes‑ oder Freiheitsstrafe droht, kann für sich genommen ‑ wie der EuGH in seinem Urteil vom 4. Oktober 2018, Bahtiyaar Fathi, C‑56/17, Rn. 94 bis 96, präzisiert hat ‑ eine „Verfolgung“ im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie darstellen, sofern eine solche Strafe in dem Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0350, mwN).
10 Der EuGH hat in der zitierten Entscheidung in den Rechtssachen Y und Z auch ausdrücklich hervorgehoben, dass die Behörden bei der individuellen Prüfung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling dem Antragsteller nicht zumuten können, auf diese religiöse Betätigung zu verzichten, um eine Verfolgung zu vermeiden (Rn. 78 f). Das setzt freilich voraus, dass die Konversion nicht bloß ‑ aus opportunistischen Gründen ‑ zum Schein erfolgt ist. Läge nämlich eine sogenannte Scheinkonversion vor, wäre im Allgemeinen nicht zu erwarten, dass der Revisionswerber bei Rückkehr in den Herkunftsstaat ihn gefährdende religiöse Betätigungen vornehmen würde und könnte auch nicht davon ausgegangen werden, dass ihn der Verzicht auf das Bekenntnis zu der neuen Glaubensgemeinschaft bzw. zu (weiteren) religiösen Betätigungen unzumutbar belasten würde (vgl. dazu etwa VwGH 12.6.2020, Ra 2019/18/0440, Rn. 27).
11 Im gegenständlichen Fall scheint das BVwG davon auszugehen, dass dem Revisionswerber aufgrund einer Konversion vom Islam zum Christentum im Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung im Sinne des bisher Gesagten drohen könnte, wenn er den christlichen Glauben tatsächlich ausüben würde. Das Verwaltungsgericht meint jedoch ausschließen zu können, dass Letzteres im vorliegenden Fall geschehen könnte, und stützt sich dabei auf seine von der Revision bekämpften beweiswürdigenden Überlegungen, wonach die Konversion des Revisionswerbers zum Christentum nur zum Schein erfolgt sei.
12 Der Verwaltungsgerichtshof ist zwar zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG liegt ‑ als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ‑ allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat.
13 Die Beweiswürdigung ist damit nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges (nicht aber die konkrete Richtigkeit) handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat (vgl. dazu etwa VwGH 21.3.2018, Ra 2018/18/0075, mwN).
14 Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist.
15 Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens‑ bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. auch dazu etwa jüngst VwGH 12.6.2020, Ra 2019/18/0440, Rn. 28 bis 32, mwN).
16 Im gegenständlichen Fall macht die Revision zu Recht geltend, dass sich das BVwG in seiner Beweiswürdigung mit den Angaben des in der mündlichen Verhandlung vom 15. November 2019 einvernommenen Zeugen W.D., der dem Ältestenrat der evangelikalen Freikirche angehört, die der Revisionswerber besucht, und der zu den religiösen Tätigkeiten des Revisionswerbers in dieser religiösen Gemeinschaft sowie zu dessen religiösen Einstellungen, soweit sie für ihn erkennbar gewesen seien, ausgesagt hatte, überhaupt nicht auseinander gesetzt hat.
17 Hinzu kommt, dass das Verwaltungsgericht in seiner Beweiswürdigung Erfahrungssätze anwendet, ohne deren unterstellte generelle Geltung näher zu begründen. So hält es dem Revisionswerber, der sein Interesse am Christentum näher dargelegt hatte, beispielsweise entgegen, dieses sei für das Gericht nicht nachvollziehbar, weil davon auszugehen sei, „dass eine innere Konversion ein schleichender Prozess [sei], in welchem der potentielle Konvertit langsam zu seinem neuen Glauben [finde]“. An anderer Stelle der Begründung führt das BVwG aus, dass ein Taufvorbereitungskurs in der vom Revisionswerber dargestellten Dauer dem erkennenden Gericht zu kurz erscheine, um einen Konvertiten auf seine Erwachsenentaufe vorzubereiten. Woher der erkennende Richter all diese Erfahrungen bezieht, wird in der angefochtenen Entscheidung nicht ausgeführt.
18 Nicht nachvollziehbar sind auch beweiswürdigende Erwägungen des BVwG wie etwa jene, dass der Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung angegeben habe, einer „evangelisch freien“ Religionsgemeinschaft anzugehören statt die korrekte Bezeichnung seiner Bekenntnisgemeinschaft (Evangelikale Gemeinde Jauntal) anzugeben. Diesem beweiswürdigenden Argument kommt schon deshalb kein ausreichender Begründungswert zu, weil die evangelikale Gemeinde, die der Revisionswerber aufsucht, zu den (evangelikalen) Freikirchen in Österreich gehört, womit die vom Revisionswerber verwendete Bezeichnung durchaus Sinn ergab und keinen Rückschluss auf die Intensität seiner Beschäftigung mit dem Glauben zuließ.
19 Die Beweiswürdigung des BVwG hält aus allen diesen Gründen einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof an dessen Prüfungsmaßstab nicht Stand und erweist sich deshalb als mangelhaft. Da nicht auszuschließen ist, dass das BVwG bei Vermeidung dieser Verfahrensmängel zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können, erweist sich dieser Verfahrensmangel als wesentlich, weshalb das angefochtene Erkenntnis keinen Bestand haben kann.
20 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
21 Von der beantragten mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abzusehen.
22 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 6. August 2020
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