Normen
BauG Stmk 1995 §13
BauG Stmk 1995 §26 Abs1
BauG Stmk 1995 §4 Z30
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020060128.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark (in der Folge: LVwG) wurde die Beschwerde der Revisionswerberin gegen den im innergemeindlichen Instanzenzug ergangenen Bescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde B. W. vom 4. Juni 2019, mit welchem den mitbeteiligten Parteien die Baubewilligung für die Errichtung einer Terrasse zum bestehenden Zweifamilienwohnhaus auf einem näher bezeichneten Grundstück der KG W. erteilt worden war, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass „die Geländerausführung projektkonkretisierend nicht blickdicht und mit einem Geschlossenheitsgrad unter 20 % ausgeführt wird“ (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig sprach das LVwG aus, dass gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG unzulässig sei (Spruchpunkt II.).
5 Begründend führte das LVwG hierzu, soweit für den Revisionsfall von Relevanz, zusammengefasst aus, die gegenständliche Terrasse werde nicht als Gebäudefront wahrgenommen; die Terrasse sei nicht als Gebäude ausgeführt und es liege keine Grenzabstandsverletzung vor. Der der durchgeführten mündlichen Verhandlung beigezogene bautechnische Amtssachverständige habe insbesondere die Dimension der gegenständlichen Terrasse rechnerisch in Relation zur Gebäudefront gesetzt und sich als Ortsbildsachverständiger auch im Zuge eines Ortsaugenscheines einen Eindruck davon gemacht. Durch die lediglich 20%‑ige Blickdichtheit des Geländers werde die Gebäudefront des Erdgeschosses weiterhin als solche wahrgenommen und trete aufgrund der Terrassenhöhe für den Betrachter weit über 50 % in Erscheinung. Es liege daher keine vorgeschobene Gebäudefront (Verweis auf § 4 Z 30 Steiermärkisches Baugesetz ‑ Stmk. BauG und die einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) vor, und sei der Abstand sohin nicht von der Terrasse, sondern vom Gebäude selbst zu bewerten. Die Frage der Grundstücksgrenze sei für die vorliegende Entscheidung nicht von Bedeutung und zudem sei darüber rechtskräftig durch das zuständige Landesgericht entschieden worden. Die verfahrensgegenständliche Terrasse befinde sich demnach auf Eigengrund der mitbeteiligten Parteien und es bedürfe deren Errichtung daher keiner Zustimmung der Revisionswerberin.
6 In den zur Zulässigkeit der vorliegenden außerordentlichen Revision vorgetragenen Gründen bringt die Revisionswerberin unter Bezugnahme auf § 4 Z 30 Stmk. BauG (Anm.: in der anzuwendenden Fassung vor der Novelle LGBl. Nr. 11/2020) zusammengefasst vor, die Behörden und das LVwG hätten der Abstandsbestimmung des § 13 Stmk. BauG eine unvertretbare Auslegung gegeben. Es sei eine erhebliche Verkennung der Rechtslage durch das LVwG, „dass nicht eine Abstandsverletzung durch die abstandsbestimmende vorgeschobene Gebäudefront, nämlich die das gewöhnliche Ausmaß übersteigende Terrasse“ erkannt worden sei (Verweis auf näher bezeichnete Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes). „Zur erheblich unrichtigen Lösung der Vorfrage zur Grenze“ hätte sich das LVwG darüber hinaus nicht auf „eine von einer anderen Behörde oder anderen Gericht gelöste Vorfrage stützen“ dürfen, sondern dies im eigenen Anwendungsbereich materiell rechtlich beurteilen oder das Verfahren bis zur Rechtskraft der Grundbuchseintragung aussetzen müssen. Bei „entsprechend notwendiger Beurteilung durch Baubehörde und Landesverwaltungsgericht“ wäre hervorgekommen, dass „die Abschreibung des Trennstückes 1 als geringwertig im Sinne des § 13 Liegenschaftsteilungsgesetz nicht rechtskonform“ sei, was die Notwendigkeit einer Teilungsbewilligung nach § 45 Steiermärkisches Raumordnungsgesetz zur Folge habe; eine solche Teilungsbewilligung liege nicht vor.
7 Mit diesem Vorbringen wird keine Rechtsfrage dargelegt, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat ‑ worauf das LVwG im angefochtenen Erkenntnis zutreffend hinweist ‑ in seiner Rechtsprechung bereits mehrfach klargestellt, nach welchen Kriterien die Frage zu beurteilen ist, ob ein Bauteil als „vorspringender Bauteil im gewöhnlichen Ausmaß“ als abstandsrelevant anzusehen ist oder nicht. Demnach ist diese Frage vor dem im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. April 2012, 2012/06/0021, 0023, dargelegten Hintergrund nach den Umständen des Falles nicht nach der Bezeichnung des Bauteiles durch die Baubehörden oder die Parteien des Verfahrens zu beurteilen, sondern nach seiner Erscheinung und insbesondere seinen Dimensionen und deren Relation zur Gebäudefront. Es kommt dabei auch nicht darauf an, ob solche Bauteile im Prinzip ortsüblich sind, weil davon die Frage zu unterscheiden ist, ob solche Bauteile in den Grenzabstand ragen dürfen.
9 Bereits aus dem genannten Erkenntnis ergibt sich, dass die Frage, ob ein Bauteil als „vorspringender Bauteil im gewöhnlichen Ausmaß“ im Sinne des § 4 Z 30 Stmk. BauG anzusehen ist oder nicht, im Einzelfall anhand der oben dargelegten Kriterien zu beurteilen ist (vgl. dazu auch bereits VwGH 5.12.2000, 99/06/0112, mwN). Nach Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz unterliegt diese Frage grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes und läge eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung in diesem Zusammenhang nur vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. zu allem VwGH 20.4.2020, Ra 2019/06/0028, mwN).
10 Fallbezogen ist das LVwG unter Bedachtnahme auf die einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und unter Einholung des Gutachtens eines bautechnischen Amtssachverständigen, welcher die Dimension der gegenständlichen Terrasse rechnerisch in Relation zur Gebäudefront gesetzt hat, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu dem Ergebnis gelangt, dass die Terrasse unter der Voraussetzung der spruchgemäßen Projektkonkretisierung (Geländerausführung nicht blickdicht und mit einem Geschlossenheitsgrad unter 20 %) nicht als abstandsrelevant im Sinne des § 13 Stmk. BauG einzustufen ist. Eine krasse Fehlbeurteilung wird diesbezüglich in der Zulässigkeitsbegründung der Revision nicht dargestellt; insbesondere zeigt die Revision in ihren Zulässigkeitsgründen nicht auf, dass der vorliegende Fall, in welchem die Terrasse nach dem eigenen Vorbringen der Revisionswerberin die Gesamtlänge des Hauses der mitbeteiligten Parteien (nur) „mit zumindest 61%“ abdeckt, mit jenem Sachverhalt vergleichbar sein soll, der dem oben genannten Erkenntnis vom 10. April 2012, 2012/06/0021, 0023, zugrunde liegt (in welchem die dort zu beurteilende Terrasse länger als die dort zu beurteilende Gebäudeseite war).
11 Hinsichtlich der in der Zulässigkeitsbegründung weiters behaupteten unrichtigen Lösung der Grenzfrage ist auf Folgendes hinzuweisen:
12 Ob eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt, ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu beurteilen (vgl. für viele etwa VwGH 23.5.2018, Ra 2016/05/0106 oder auch 26.2.2020, Ra 2019/05/0046). Wenn sich die Revisionswerberin im Zusammenhang mit der Grenzfrage zwischen dem in ihrem Eigentum stehenden Grundstück und jenem der mitbeteiligten Parteien darauf beruft, das LVwG hätte sein Verfahren (im Hinblick auf einen gegen den Grundbuchsbeschluss zur Verbücherung des neuen Grenzverlaufes im Grundbuch eingetragenen Rekurs sowie einen Einspruch zu jeweils näher bezeichneten TZ) bis zur Rechtskraft der Grundbuchseintragung (des durch das Urteil des Landesgerichtes Graz vom 24. Mai 2018, GZ 3 R 64/18f, festgestellten Grenzverlaufes) aussetzen müssen, genügt es, darauf hinzuweisen, dass die von der Revisionswerberin angesprochene Rechtskraft des Grundbuchsbeschlusses durch den Beschluss des Landesgerichtes Graz vom 5. Juli 2019, GZ 4 R 85/19b, eingetreten ist und sowohl hinsichtlich des in der Revision angesprochenen Einspruches als auch des Rekurses eine Löschung im Grundbuch erfolgt ist. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liegt damit in diesem Zusammenhang jedenfalls im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes nicht mehr vor, womit auch das Vorbringen in der Zulässigkeitsbegründung hinsichtlich § 45 Steiermärkisches Raumordnungsgesetz ins Leere geht.
13 Soweit in den Zulässigkeitsgründen schließlich ausgeführt wird, durch die von den mitbeteiligten Parteien errichtete Terrasse und deren nachträgliche Baubewilligung trete der Zustand zu Lasten der Revisionswerberin ein, dass deren Wohnhaus nunmehr den baubehördlichen Mindestgrenzabstand unterschreite, ist dazu festzuhalten, dass eine Entscheidung über die Bewilligung eines Bauwerkes auf dem Grundstück der mitbeteiligten Parteien keinerlei Einfluss auf den Grenzabstand des Gebäudes der Revisionswerberin hat; ausschlaggebend hierfür sind vielmehr allein die bereits genannten rechtskräftigen zivilgerichtlichen Entscheidungen über den Grenzverlauf.
14 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 16. September 2020
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