VwGH Ra 2019/22/0154

VwGHRa 2019/22/015423.1.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, die Hofrätin Mag.a Merl und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache 1. der U I und 2. des H M N M, beide vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts Wien vom 21. Juni 2019, 1. VGW- 151/064//3749/2019-10 und 2. VGW-151/064/3752/2019-10, jeweils betreffend Aufenthaltstitel Daueraufenthalt - EU (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

ARB1/80 Art6 Abs1
AuslBG §1 Abs2 liti
AuslBG §3 Abs8
AuslBG §4c
B-VG Art133 Abs4
EURallg
NAG 2005 §2 Abs3
NAG 2005 §45 Abs1
NAG 2005 §62
NAG 2005 §69 Abs2
NAG 2005 §8
VwGG §34 Abs1
VwRallg
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Art3 Abs2 lita

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019220154.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in

nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer

außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 4 Die revisionswerbenden Parteien sind ein Ehepaar mit pakistanischer Staatsangehörigkeit. Der Erstrevisionswerberin wurde erstmals am 11. April 2013 ein Aufenthaltstitel "Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit" gemäß § 62 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) erteilt, der mehrmals - zuletzt am 24. März 2017 - verlängert wurde. Zweck des Aufenthalts der Erstrevisionswerberin war die Absolvierung eines über den Österreichischen Austauschdienst (OeAD GmbH) organisiertes Doktoratsstudiums an der Universität für angewandte Kunst in Wien, in dessen Rahmen ein Forschungsprojekt durchgeführt werden sollte; dafür erhielt sie ab 1. März 2013 ein mehrmals verlängertes Stipendium in Höhe von monatlich EUR 1.000,--, das zuletzt im Mai 2019 ausbezahlt wurde und zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wien (VwG) ausgelaufen war. Seit 15. März 2018 erhält die Erstrevisionswerberin ein Stipendium von einem pakistanischen Verlag in Höhe von EUR 400,-- für den Abschluss ihres Forschungsprojektes.

Dem Zweitrevisionswerber wurde erstmals am 11. April 2013 ein Aufenthaltstitel "Familiengemeinschaft" gemäß § 69 NAG erteilt, der mehrmals - zuletzt am 24. März 2017 - verlängert wurde. Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice (AMS) vom 20. August 2013 wurde gemäß § 3 Abs. 8 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) bestätigt, dass er gemäß § 1 Abs. 2 lit. i AuslBG nicht dem Geltungsbereich dieses Gesetzes unterliege.

5 Mit Anträgen vom 1. März 2018 stellten beide revisionswerbenden Parteien die verfahrensgegenständlichen Zweckänderungsanträge auf Erteilung jeweils eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EU".

6 Der Landeshauptmann von Wien (Behörde) wies mit Bescheiden jeweils vom 7. Februar 2019 die Anträge der revisionswerbenden Parteien ab, weil sie die Erteilungsvoraussetzung des § 45 Abs. 1 NAG, nämlich eine Niederlassung, nicht erfüllten. 7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das VwG die dagegen erhobenen Beschwerden ab und erklärte eine ordentliche Revision für unzulässig.

Begründend führte das VwG aus, gemäß § 2 Abs. 3 NAG gelte ein Aufenthalt aufgrund einer Aufenthaltsbewilligung für einen vorübergehenden befristeten Aufenthalt zu einem bestimmten Zweck, unter anderem zur Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit im Sinn des § 62 NAG, nicht als Niederlassung. Die Erstrevisionswerberin verfüge über einen Aufenthaltstitel "Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit" gemäß § 62 NAG. Das Beweisverfahren habe ergeben, dass ihre Tätigkeit an der Universität für angewandte Kunst ausschließlich der Absolvierung eines Doktoratsstudiums diene. Auch wenn das Abfassen einer Dissertation zweifelsohne eine wissenschaftliche Arbeit im Sinn des fallbezogen relevanten Curriculums darstelle, werde sie jedoch nicht im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses mit der Universität für angewandte Kunst verfasst, sondern sei Hauptbestandteil des Doktoratsstudiums. Die Tätigkeit der Erstrevisionswerberin lasse sich somit nicht unter § 1 Abs. 2 lit. i AuslBG subsumieren.

Die Behörde habe die Verlängerungen der Aufenthaltsbewilligung der Erstrevisionswerberin an das (Fort)Bestehen des Stipendiums der OeAD GmbH geknüpft. Daraus sei zu schließen, dass sie die Aufenthaltsbewilligung offenbar auf § 1 Z 5 Ausländerbeschäftigungs verordnung (AuslBVO: ausländische Studenten oder Absolventen im Rahmen eines auf Gegenseitigkeit beruhenden Austauschprogrammes, sofern der Austausch über Vereine, bei denen entweder eine österreichische Hochschule Mitglied ist oder welche in Zusammenarbeit mit einer österreichischen Hochschule tätig sind, abgewickelt wird) gestützt habe. Ungeachtet der Frage, ob die Erteilung zu Recht erfolgt sei - der Österreichische Austauschdienst sei nicht mehr als Verein konstituiert -, habe die Erstrevisionswerberin stets Aufenthaltsbewilligungen gemäß § 62 NAG iVm § 1 Z 5 AuslBVO innegehabt, welche gemäß § 8 Abs. 1 Z 12 NAG als "Aufenthaltsbewilligungen - Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit" weitergälten. Daran ändere auch nichts, dass ihre Tätigkeit unter § 1 Abs. 2 lit. i AuslBG subsumiert worden sei, weil gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG ausgestellte Bestätigungen des AMS im Niederlassungsverfahren keine Bindungswirkung entfalteten.

Zum Urteil des EuGH vom 18. Oktober 2012, C-502/10 , Singh, und der darauf replizierenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 19.4.2016, (Ro) 2015/22/0010; 7.6.2016, (Ro) 2016/22/0008; 20.7.2016, (Ro) 2016/22/0011, jeweils betreffend eine beantragte Zweckänderung von einer Aufenthaltsbewilligung "Künstler" auf "Daueraufenthalt - EU", sowie VwGH 17.10.2016, (Ro) 2016/22/0012; 27.7.2017, (Ra) 2016/22/0057, betreffend eine beantragte Zweckänderung von einer Aufenthaltsbewilligung "Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit" auf "Daueraufenthalt - EU") führte das VwG aus, der Gesetzgeber habe als Reaktion auf diese Rechtsprechung im Fremdenrechtsänderungsgese tz 2017 die Aufenthaltsbewilligungen für Künstler (§ 61 NAG) und Forscher (§ 67 NAG) als "Niederlassungsbewilligung - Künstler" (§ 43a NAG) und "Niederlassungsbewilligung - Forscher" (§ 43c NAG) in die bestehende Systematik überführt. Die bisherige Aufenthaltsbewilligung "Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit" sei aufgesplittet worden. Für jene Personen, deren Aufenthalt nicht bloß als vorübergehend angesehen werden könne, sei die "Niederlassungsbewilligung - Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit" (§ 43b NAG) geschaffen worden. Unterliege der Aufenthalt aufgrund des verfolgten Zweckes einer zeitlichen Beschränkung (beispielsweise Au-Pairs oder Drittstaatsangehörige, die im Rahmen eines Austauschprogramms nach Österreich kämen), könne weiterhin eine Aufenthaltsbewilligung gemäß § 62 NAG beantragt werden; diese Personen seien gemäß Art. 3 Abs. 2 lit. e der Richtlinie 2003/109/EG (Daueraufenthaltsrichtlini e) von deren Anwendungsbereich ausgenommen. Auch Studenten seien gemäß Art. 3 Abs. 2 lit. a vom Anwendungsbereich der Daueraufenthaltsrichtlinie ausgenommen, weshalb der Verweis der revisionswerbenden Parteien auf die oben angeführte Rechtsprechung des EuGH und des Verwaltungsgerichtshofes nicht zielführend sei. Da der Aufenthalt der Erstrevisionswerberin von jeher dem Zweck des Studiums gedient habe, falle sie unter die Ausnahmebestimmung des Art. 3 Abs. 2 lit. a der Daueraufenthaltsrichtlinie; ihr komme somit kein Recht auf Erteilung einer Daueraufenthaltsberechtigung zu.

Auch der Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" gemäß § 69 NAG des Zweitrevisionswerbers begründe keine Niederlassung, weshalb ihm ebenfalls kein Recht auf Erteilung einer Daueraufenthaltsberechtigu ng zukomme.

8 In ihrer Zulässigkeitsbegründung bringen die revisionswerbenden Parteien zunächst vor, es fehle an hg. Rechtsprechung zu der Frage, ob die Niederlassungsbehörde an die Bestätigung des AMS gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG, dass der Zweitrevisionswerber gemäß § 1 Abs. 2 lit. i AuslBG nicht dem Ausländerbeschäftigungsgesetz unterliege, gebunden sei; diese Bindung sei bereits aus § 43b Z 2 und 3 NAG abzuleiten.

Zum Verhältnis zwischen einer Berechtigung oder einer Bestätigung nach dem AuslBG und einem Aufenthaltsrecht gemäß NAG sprach der Verwaltungsgerichtshof bereits aus, dass ein türkischer Staatsangehöriger, dem ein Befreiungsschein ausgestellt worden sei, obwohl er nicht die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 dritter Spiegelstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation erfülle, daraus kein Aufenthaltsrecht ableiten könne (vgl. VwGH 17.6.2019, Ro 2019/22/0001, Rn. 9, mwN). Es wurde auch klargestellt, dass zuerst die aufenthaltsrechtliche Stellung eines Drittstaatsangehörigen geklärt werden müsse, bevor über die daraus abgeleitete Frage der Ausstellung (Unterstreichung nicht im Original) einer Bestätigung nach § 3 Abs. 8 AuslBG entschieden werden könne (vgl. VwGH 28.3.2017, Ra 2017/09/0010, Rn. 9). Daraus ergibt sich, dass eine allenfalls fehlerhaft ausgestellte Bewilligung oder Bestätigung nach dem AuslBG keinen Einfluss auf das Bestehen oder die Art eines Aufenthaltsrechts hat. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wurde diesbezüglich somit nicht aufgezeigt.

Darüber hinaus kann der Bestätigung des AMS, wonach eine Tätigkeit gemäß § 1 Abs. 2 lit. i AuslBG nicht dem Ausländerbeschäftigungsgesetz unterliege, gerade nicht entnommen werden, die Erstrevisionswerberin sei als Forscherin gemäß § 2 Abs. 17 AuslBG tätig. In diesem Fall hätte das AMS die Ausnahme nämlich auf § 1 Abs. 2 lit. h AuslBG stützen müssen. 9 Die Revision rügt weiter, es fehle an hg. Rechtsprechung, ob Forschung und Lehre auch selbständig unter Anleitung der Universität erfolgen dürfe, oder ob es zu einem (dauernden?) Beschäftigungsverhältnis mit der Forschungsstätte kommen müsse. Weiter fehle hg. Rechtsprechung zum "Splitting" der bisherigen Aufenthaltsbewilligung "Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit" (gemeint) in "Niederlassungsbewilligung - Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit" (§ 43b NAG) und Aufenthaltsbewilligungen gemäß § 62 NAG, und ob ausländische Studenten oder Absolventen gemäß § 1 Z 5 AuslBVO, die eine Aufenthaltsbewilligung gemäß § 62 NAG erhalten hätten, nicht auch nach einem fünfjährigen, jeweils verlängerbaren Aufenthalt das Recht auf Daueraufenthalt erwerben könnten. Es liege eine unionsrechtliche Frage grundsätzlicher Bedeutung vor betreffend die Wertung des Aufenthalts aufgrund einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 62 NAG "als Studienaufenthalt iSd Daueraufenthaltsrichtlini

e. Der Eingriff in rechtskräftig erteilte Aufenthaltstitel abseits von § 69 AVG erscheint uns grob fehlerhaft, ...".

Zunächst ist nicht ersichtlich, inwiefern im vorliegenden Fall in rechtskräftig erteilte Aufenthaltstitel eingegriffen werde.

Dass Studienaufenthalte vom Anwendungsbereich der Daueraufenthaltsrichtlinie ausgenommen sind, ergibt sich bereits aus deren Art. 3 Abs. 2 lit. a (vgl. auch VwGH 17.9.2019, Ra 2019/22/0153, Rn. 7).

Darüber hinaus wird angemerkt, dass aufgrund des vom VwG festgestellten Zwecks des Aufenthaltes der Erstrevisionswerberin (Absolvierung eines Doktoratsstudiums) und der von den revisionswerbenden Parteien ebenfalls nicht bestrittenen Bindung des Aufenthaltstitels an das (Fort)Bestehen des Stipendiums klar ist, dass die Aufenthaltsgenehmigung der Erstrevisionswerberin als förmlich begrenzt im Sinn des Art. 3 Abs. 2 lit. e der Daueraufenthaltsrichtlinie anzusehen ist (vgl. zum Nichtvorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG, wenn die Rechtslage nach den in Betracht kommenden Normen klar und eindeutig ist, etwa VwGH 17.9.2019, Ra 2019/22/0108, Rn. 7, mwN). Insofern wurde nicht aufgezeigt, welche konkrete Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof nach Ansicht der Revisionswerberin beantworten sollte (vgl. VwGH 4.7.2019, Ra 2019/06/0105, mwN).

Zum "Splitting" der bisherigen Aufenthaltsbewilligung "Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit" in "Niederlassungsbewilligung - Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit" (§ 43b NAG) und Aufenthaltsbewilligungen gemäß § 62 NAG zitierte das VwG die Erläuterungen zum Initiativantrag betreffend das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017 (2285/A XXV. GP , 40). Die Revision bringt dazu inhaltlich nichts vor. Insofern wurde nicht aufgezeigt, welche konkrete Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof nach Ansicht der Revisionswerberin beantworten sollte (vgl. VwGH 4.7.2019, Ra 2019/06/0105, mwN). 10 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme; sie war daher zurückzuweisen.

Wien, am 23. Jänner 2020

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