VwGH Ra 2019/20/0582

VwGHRa 2019/20/058210.1.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie den Hofrat Dr. Schwarz und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, in der Rechtssache der Revision des A N, vertreten durch Mag. Dr. Ralf Heinrich Höfler, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Untere Viaduktgasse 6/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. November 2019, W279 2207552-1/10E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8
MRK Art3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019200582.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am 8. Februar 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen mit der schlechten Sicherheitslage in Afghanistan begründete. Im Laufe des Verfahrens brachte er zudem vor, zum Christentum konvertiert zu sein.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 12. September 2018 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. 3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab. Unter einem sprach es aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 7 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab und verstoße gegen Art. 6 EMRK, weil das BVwG dem Revisionswerber keine Möglichkeit zur Stellungnahme zu den herangezogenen Länderberichten eingeräumt habe. 8 Werden Verfahrensmängel - wie hier die Verletzung von Parteiengehör - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden (vgl. etwa VwGH 31.10.2019, Ra 2019/20/0479, mwN). Eine solche Relevanzdarlegung ist der Revision nicht zu entnehmen. 9 Soweit zur Zulässigkeit der Revision vorgebracht wird, das BVwG habe sich nicht ausreichend mit der behaupteten Konversion des Revisionswerbers auseinandergesetzt und das Fehlen einer inneren Überzeugung beim Revisionswerber lediglich darauf gestützt, dass der Glaubenswechsel erst kürzlich erfolgt sei, so trifft dies am Boden des Inhalts der angefochtenen Entscheidung nicht zu. Das BVwG setzte sich mit der behaupteten Konversion des Revisionswerbers detailliert auseinander und gelangte nach Durchführung einer Verhandlung mit näherer Begründung zu der Auffassung, dass eine innere Überzeugung des Glaubwechsels nicht vorliege und der Revisionswerber sein erst seit Oktober 2019 bestehendes Interesse für das Christentum im Falle der Rückkehr nach Afghanistan nicht nach außen tragen würde. Dabei stützte es sich bei seiner Einschätzung unter anderem auch darauf, dass der Revisionswerber nur über ein rudimentäres Grundwissen über das Christentum verfüge, insbesondere nur drei der zehn Gebote aufzählen sowie kein einziges Gebet habe wiedergeben können. Im Hinblick auf notwendige Vorbereitungskurse stehe noch kein Termin für eine Taufe fest. Der Revisionswerber habe auch nicht substantiiert beschreiben können, wie sich sein christlicher Glaube im Alltag äußere. Eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Mangelhaftigkeit der Beweiswürdigung kann ausgehend davon nicht erblickt werden.

10 Die Revision macht weiters geltend, das BVwG habe die Feststellung unterlassen, dass der Revisionswerber in seinem Herkunftsstaat über keine familiären und sozialen Anknüpfungspunkte verfüge. Bei einer Rückkehr in seine Heimatprovinz würde dem Revisionswerber die reale Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK drohen. Auch eine "Übersiedlung in andere Landesteile Afghanistans, insbesondere Kabul", sei nicht zumutbar, zumal der Revisionswerber über kein soziales Netzwerk verfüge, keine Unterstützung von seiner Familie erhalten könne, einer ethnischen und religiösen Minderheit angehöre, aufgrund seines Akzents als Fremder im eigenen Land wahrgenommen werden würde und es sich beim Revisionswerber um einen alleinstehenden Mann handle, weshalb er einer besonders vulnerablen Personengruppe angehöre. Zudem sei der Revisionswerber im Zeitpunkt der Flucht bzw. Antragstellung noch minderjährig gewesen und halte sich seit viereinhalb Jahren ununterbrochen in Österreich auf. Der Umstand, dass der Revisionswerber die "ganz wesentlichen altersbedingten Zeiten" in Österreich verbracht habe, sei nicht berücksichtigt worden.

11 Mit diesem Vorbringen entfernt sich die Revision jedoch vom festgestellten Sachverhalt. Das BVwG stellte nämlich fest, dass der Revisionswerber in Kabul geboren und aufgewachsen sei und dort noch über familiäre Anknüpfungspunkte verfüge. Das greift die Revision nicht an. Dass die einzelfallbezogene Beurteilung des BVwG, das ausgehend von aktuellen Länderberichten und einem bestehenden Unterstützungsnetzwerk in Kabul die Möglichkeit einer Rückkehr des Revisionswerbers in seine Heimatstadt Kabul bejahte und keine reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK annahm, unvertretbar erfolgt wäre, wird von der Revision nicht aufgezeigt. 12 Darüber hinaus ging das BVwG auch vom Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den Städten Herat und Mazare Sharif aus. Vor dem Hintergrund der Erwägungen des BVwG, dass es sich bei dem Revisionswerber um einen gesunden und jungen Mann im erwerbsfähigen Alter handle, der über eine jahrelange Schulausbildung und eine Berufsausbildung als Schneider verfüge, der mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei und auch auf das vorhandene Vermögen seiner Familie zurückgreifen könne, ist diese Beurteilung im Licht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes nicht zu beanstanden. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass - auch nach dem EASO-Leitfaden vom Juni 2018 und den UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 - das Vorhandensein eines sozialen Netzwerkes in Mazar-e Sharif für einen - wie im vorliegenden Fall - alleinstehenden, gesunden, erwachsenen Mann keine Voraussetzung für die Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative ist (vgl. etwa VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0546, mwN).

13 Wenn die Revision vermeint, dem Revisionswerber hätte aufgrund seines im Zeitpunkt der Antragstellung jugendlichen Alters und der langen Verfahrensdauer ein "humanitärer Aufenthaltstitel" erteilt werden müssen, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. VwGH 29.5.2019, Ra 2019/20/0035, mwN). Mit dem bloßen Hinweis auf das Alter des Revisionswerbers und die Verfahrensdauer legt die Revision eine solche Unvertretbarkeit der Interessenabwägung nicht dar. 14 Soweit die Revision schließlich vorbringt, die Rechtsprechung sei uneinheitlich, weil das BVwG in einem anderen Fall auf vergleichbarer Sachverhaltsgrundlage einem afghanischen Staatsangehörigen den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt habe, genügt es darauf hinzuweisen, dass eine uneinheitliche Rechtsprechung eines Verwaltungsgerichts für sich genommen nicht den Tatbestand des Art. 133 Abs. 4 B-VG erfüllt, wenn es zu der betreffenden Frage eine (einheitliche) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gibt (vgl. VwGH 21.5.2019, Ra 2019/19/0146, mwN).

15 Insofern sich die Revision gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten wendet, ist darüber hinaus anzumerken, dass sich der Revisionswerber im Abschnitt "Revisionspunkte" lediglich in seinen Rechten auf "Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Ziffer 1 Asylgesetz 2005" und "auf Ausstellung eines humanitären Aufenthaltstitels" verletzt erachtet. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hängt eine Revision aber nur dann von der Lösung einer Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG ab, wenn sich die Rechtsfrage innerhalb des Revisionspunktes, also des vom Revisionswerber selbst definierten Prozessthemas, stellt (vgl. VwGH 2.7.2018, Ra 2017/20/0186, mwN).

16 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 10. Jänner 2020

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