VwGH Ra 2019/19/0411

VwGHRa 2019/19/041125.5.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des M H, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7‑11/15, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Oktober 2018, W122 2200584‑1/13E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs1
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019190411.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 1. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er sei beschuldigt worden, einen Jungen vergewaltigt zu haben, woraufhin ihn dessen Familie umbringen habe wollen.

2 Mit Bescheid vom 4. Juni 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Begründend führte das BVwG ‑ soweit hier maßgeblich ‑ hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten aus, dem Revisionswerber stehe eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar‑e Sharif oder Herat offen.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es im Zusammenhang mit der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation herangezogen und sich nicht mit den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 auseinandergesetzt habe. Auch habe das BVwG die persönlichen Umstände des Revisionswerbers nicht ausreichend berücksichtigt.

9 In diesem Zusammenhang ist einerseits auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach den Richtlinien des UNHCR besondere Beachtung zu schenken ist („Indizwirkung“). Diese Indizwirkung bedeutet zwar nicht, dass die Asylbehörden in Bindung an entsprechende Empfehlungen des UNHCR internationalen Schutz gewähren müssten. Allerdings haben sich die Asylbehörden (und dementsprechend auch das BVwG) mit den Stellungnahmen, Positionen und Empfehlungen des UNHCR auseinanderzusetzen und, wenn sie diesen nicht folgen, begründet darzulegen, warum und gestützt auf welche entgegenstehenden Berichte sie zu einer anderen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat gekommen sind. Dies gilt auch für die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533, mwN).

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben die Asylbehörden bei den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern die zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einzubeziehen. Das gilt ebenso für von einem Verwaltungsgericht geführte Asylverfahren. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat daher seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Es reicht aber nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen (vgl. VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0644, mwN).

11 Dies gelingt der Revision nicht. Das BVwG legte seiner Entscheidung aktuelle Länderinformationen zu Afghanistan zu Grunde und ging davon aus, dass es sich beim Revisionswerber um einen jungen, gesunden Mann im erwerbsfähigen Alter mit elfjähriger Schulbildung und Arbeitserfahrung u.a. in einer Schneiderei handle, der mit den kulturellen Gepflogenheiten und der in Afghanistan gesprochenen Sprache vertraut sei und Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen könne. Die Revision zeigt nicht auf, dass die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, dem Revisionswerber stehe ‑ auch ohne soziale und familiäre Anknüpfungspunkte ‑ jedenfalls in der Stadt Mazar‑e Sharif eine innerstaatliche Fluchtalternative offen, fallbezogen mit einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Rechtswidrigkeit belastet wäre (vgl. etwa VwGH 25.9.2019, Ra 2019/19/0408, mwN).

12 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit weiter vor, das BVwG habe das Bestehen eines Familienlebens iSd. Art. 8 EMRK zwischen dem Revisionswerber und seinen ebenfalls in Österreich befindlichen Eltern und Geschwistern nicht ermittelt.

13 Ob außerhalb des Bereiches des insbesondere zwischen Ehegatten und ihren minderjährigen Kindern ipso iure zu bejahenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK ein Familienleben vorliegt, hängt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte jeweils von den konkreten Umständen ab, wobei für die Prüfung einer hinreichend stark ausgeprägten persönlichen Nahebeziehung gegebenenfalls auch die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung sind. Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. VwGH 12.12.2018, Ra 2018/19/0521, mwN).

14 Das BVwG führt dazu im angefochtenen Erkenntnis aus, der erwachsene Revisionswerber sei nicht auf Grund besonderer Umstände auf die Unterstützung und Hilfe seiner Angehörigen in Österreich angewiesen, und verneinte damit das Bestehen eines Familienlebens iSd Art. 8 EMRK. Die Revision legt nicht dar, aus welchen Gründen das BVwG zu einer anderen Beurteilung hätte kommen sollen.

15 Ebenso wenig zeigt die Revision mit ihrem bloß allgemein gehaltenen Vorbringen, das BVwG habe sich bei der Gewichtung der Umstände der Interessenabwägung von den Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes entfernt, auf, dass die Interessenabwägung fallbezogen unvertretbar wäre.

16 Schließlich bringt die Revision zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG sei „von der ständigen Judikatur der Höchstgerichte zur Anwendung der Bestimmung des § 34 AsylG 2005“ abgewichen und habe „zu dieser Frage auch keine ausreichenden Feststellungen im Erkenntnis getroffen“. Der Revisionswerber sei zum Zeitpunkt der Antragstellung seiner Familienmitglieder noch minderjährig gewesen.

17 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in der gesonderten Zulassungsbegründung konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat (vgl. etwa VwGH 25.6.2019, Ra 2019/19/0188, mwN).

18 Diesen Anforderungen wird die Revision mit ihrem nicht näher konkretisierten Vorbringen zu § 34 AsylG 2005 nicht gerecht.

19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 25. Mai 2020

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