VwGH Ra 2019/18/0450

VwGHRa 2019/18/04502.3.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des E J, vertreten durch Dr. Christopher Stippl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Lothringerstraße 3/12, als bestellter Verfahrenshelfer, für diesen Mag. Sonja Scheed, Rechtsanwältin in 1220 Wien, Brachelligasse 16, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Oktober 2019, W253 2134130-1/15E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019180450.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, stellte am 17. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er zusammengefasst damit begründete, als Kind mit seiner Familie nach Pakistan geflohen zu sein. Dort sei die Sicherheitslage schlecht und es würden Angehörige der Volksgruppe der Hazara getötet werden. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte er, als schiitischer Hazara von den Taliban verfolgt zu werden. 2 Mit Bescheid vom 25. August 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und es legte eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4 Begründend führte das BVwG aus, es habe sich betreffend den Herkunftsstaat des Revisionswerbers keine asylrelevante Verfolgung ergeben. Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz hielt das BVwG fest, dass zwar die Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz des Revisionswerbers in Afghanistan (Ghazni) volatil sei. Es stünde ihm jedoch eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in der afghanischen Stadt Mazar-e Sharif zur Verfügung. Der Revisionswerber habe in Pakistan private Englisch- und Mathematikkurse besucht sowie den Pflichtschulabschluss in Österreich absolviert. Er verfüge über Berufserfahrung als Teppichknüpfer in Pakistan. Der gesunde Revisionswerber, der eine der Landessprachen Afghanistans spreche, könne auch bei Rückkehr nach Afghanistan einer Erwerbstätigkeit nachgehen und seine Existenz - etwa durch Gelegenheits- oder Hilfsarbeiten - sichern und eine einfache Unterkunft finden. Der Revisionswerber habe einen Teil seiner Kindheit in Afghanistan verbracht und er sei auch in Pakistan (Quetta) in einem engen afghanischen Familienverband aufgewachsen, sodass er mit der afghanischen Tradition und Lebensweise vertraut sei. Es stünde ihm zudem bei Rückkehr nach Afghanistan die Möglichkeit offen, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung kam das BVwG zu dem Ergebnis, dass eine Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK zu Lasten des Revisionswerbers ausfalle.

5 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, die im angefochtenen Erkenntnis herangezogenen Länderberichte hätten zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr die gebotene Aktualität aufgewiesen. Es fehle eine fundierte Auseinandersetzung mit den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 (im Folgenden: UNHCR-Richtlinien). Des Weiteren wendet sich die Revision gegen die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif sowie gegen die vom BVwG durchgeführte Interessenabwägung im Sinn von Art. 8 EMRK. Der Revisionswerber habe bereits als Kind mit seiner Familie Afghanistan verlassen und er sei in Pakistan aufgewachsen. Das BVwG sei auf seine konkrete Lage als einfacher Arbeiter ohne familiäre Verbindungen in Afghanistan sowie als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensgemeinschaft anhand der getroffenen Länderfeststellungen nicht konkret eingegangen.

6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 10 Das BVwG stützte sich zum Einen auf ausreichend aktuelle Berichte zur Lage in Afghanistan. Zum Anderen gelingt es der Revision mit dem Hinweis auf sicherheitsrelevante Vorfälle in der Provinz Ghazni und in der afghanischen Hauptstadt Kabul schon deshalb nicht, die Relevanz des im Zusammenhang mit den Länderfeststellungen des BVwG behaupteten Verfahrensmangels aufzuzeigen, weil das BVwG vom Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative in der Stadt Mazar-e Sharif ausging (zur erforderlichen Relevanzdarstellung vgl. VwGH 29.5.2019, Ra 2019/20/0062, mwN).

11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist den Richtlinien des UNHCR besondere Beachtung zu schenken ("Indizwirkung"; vgl. etwa VwGH 22.9.2017, Ra 2017/18/0166, mwN). Diese Indizwirkung bedeutet zwar nicht, dass die Asylbehörden in Bindung an entsprechende Empfehlungen des UNHCR internationalen Schutz gewähren müssten. Allerdings haben sich das BFA und im Beschwerdeverfahren das BVwG mit den Stellungnahmen, Positionen und Empfehlungen des UNHCR auseinanderzusetzen und, wenn sie diesen nicht folgen, begründet darzulegen, warum und gestützt auf welche entgegenstehenden Berichte sie zu einer anderen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat gekommen sind (vgl. VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0278, mwN).

12 Diesen Erfordernissen hat das BVwG im gegenständlichen Fall entsprochen. Das BVwG zog im Rahmen der Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative für den Revisionswerber die UNHCR-Richtlinien in seine Überlegungen nachvollziehbar mit ein. Es kann daher - entgegen den Behauptungen in der Revision - nicht gesagt werden, dass sich das BVwG ohne nähere Auseinandersetzung über die genannten UNHCR-Richtlinien hinweggesetzt hätte. Die Revision wirft auch hinsichtlich der einzelfallbezogenen Einschätzung des BVwG, wonach der Revisionswerber in Mazare Sharif auf eine innerstaatliche Fluchtalternative zurückgreifen könne, deren Inanspruchnahme ihm auch zumutbar sei, keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf.

13 Das BVwG hat die allgemeinen Gegebenheiten in dem in Aussicht genommenen Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative und die persönlichen Umständen des Revisionswerbers berücksichtigt. Es verwies diesbezüglich darauf, dass der gesunde Revisionswerber im erwerbsfähigen Alter, der Englisch- und Mathematikkurse besucht und in Österreich die Pflichtschule abgeschlossen habe, über Berufserfahrung verfüge, einen Teil seiner Kindheit in Afghanistan verbracht habe und mit der Landessprache und den gesellschaftlichen Gepflogenheiten in Afghanistan vertraut sei. Den diesbezüglichen Erwägungen des BVwG hält die Revision nichts Stichhaltiges entgegen.

14 Ferner ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 9.1.2020, Ra 2019/18/0523). Vor diesem Hintergrund lässt die Revision nicht erkennen, dass die Interessenabwägung des BVwG am Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes zu beanstanden wäre.

15 In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen. Wien, am 2. März 2020

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