VwGH Ro 2019/13/0001

VwGHRo 2019/13/000127.8.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski sowie die Hofräte MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des Finanzamts Hollabrunn Korneuburg Tulln in 2100 Korneuburg, Laaerstraße 13, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 24. September 2018, Zl. RV/7102101/2013, betreffend u.a. Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatzsteuer für das Jahr 2008 (mitbeteiligte Partei: P GmbH in B, vertreten durch die BRAND TREUHAND Wirtschaftsprüfungs‑ und Steuerberatungsgesellschaft mbH in 1010 Wien, Opernring 4), zu Recht erkannt:

Normen

UStG 1994 §12 Abs1 Z2 litb
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art168 lite
62014CJ0187 DSV Road VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RO2019130001.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Bei der mitbeteiligten Partei, einer am 11. Juli 2008 errichteten Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die in der Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2008 Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von insgesamt 303.015,10 € als Vorsteuer geltend machte (§ 12 Abs. 1 Z 2 lit. b UStG 1994), wurde eine Außenprüfung durchgeführt. Befragt zur Geschäftstätigkeit der Mitbeteiligten gab deren Alleingesellschafter und Geschäftsführer, TF, zu Protokoll, über FZ, einen Mitarbeiter der Spedition X, habe er VC kennengelernt. FZ und VC hätten ihm angeboten ‑ mit einer erst zu gründenden Gesellschaft ‑ ein Zucker‑Tee Gemisch aus Kroatien zu importieren. Über VC sei TF zu den kroatischen Gesellschaften Y und Z, den Erzeugern der Ware, gekommen. Deren Verantwortliche habe er in Wien kennengelernt. Bei der ersten Lieferung sei es auf Antrag von TF (namens der inzwischen errichteten Mitbeteiligten) zu einer Untersuchung und entsprechenden Tarifierung der Ware gekommen. Die weiteren Aufträge seien wie folgt abgewickelt worden: VC habe TF die Menge gemeldet, die er direkt in Kroatien bestellt habe. Anlässlich der Verzollung habe sich die Ware an der Adresse der Spedition X in Wien befunden. VC habe TF auch jeweils eine (meist tschechische) Adresse bekanntgegeben, an welche die Ware weitergeliefert werden sollte. TF habe die Ausgangsrechnungen an VC erstellt und den Rechnungen die entsprechende CMR beigeheftet. Der tatsächliche Warenwert der jeweiligen Lieferung sei direkt zwischen VC und den kroatischen Gesellschaften abgerechnet worden. TF habe einen Aufschlag von 7 oder 8 € je Tonne und die verausgabten Zollspesen erhalten.

2 Zu den angeführten Geschäften wurden der Prüferin eine zwischen VC und der mitbeteiligten Partei geschlossene „Vereinbarung über Geschäftsgeheimnis und anderen Verpflichtungen“ sowie Rahmenverträge zwischen den kroatischen Lieferanten des Zucker‑Tee Gemisches, der mitbeteiligten Partei und VC vorgelegt.

3 In der „Vereinbarung über Geschäftsgeheimnis und anderen Verpflichtungen“ ist von einer funktionierenden Geschäftsstrategie für den Import von Lebensmitteln aus Saccharose und Extrakt aus einem „Nicht‑EU‑Land nach EU mit günstigerer zolltariflicher Einreihung als herkömmliche Importe“ die Rede, die VC entwickelt habe. Die mitbeteiligte Partei verpflichtete sich, für die Dauer von fünf Jahren derartige Importe nur unter Einbeziehung von VC abzuwickeln und im Falle eines Zuwiderhandelns eine „Vertragsstrafe von € 500.000 für jeden einzelnen Verstoß“ an VC zu bezahlen.

Die vorgelegten Rahmenverträge zwischen den kroatischen Lieferanten, der mitbeteiligten Partei und VC lauten auszugsweise wie folgt:

RAHMENVERTRAG

geschlossen zwischen den Parteien

1) [jeweilige kroatische Gesellschaft](weiter ‚Verkäufer‘ genannt)

2) [mitbeteiligte Partei](weiter ‚Käufer‘ genannt)

3) [VC](weiter ‚Folgekäufer‘ genannt)

[...]

II.) 1. Die konkrete Menge der zu liefernden Ware wird bezogen auf die Einzellieferungen vom Käufer in Abstimmung mit dem Folgekäufer bestimmt und dem Verkäufer mitgeteilt [...]

3. Der Kaufpreis wird für jede Lieferung getrennt durch mündliche oder telefonische Abmachung der Parteien bestimmt.

III.) Der Verkäufer verpflichtet sich, auf seine Kosten die Ausfuhr‑Zollabfertigung der Ware bei einem kroatischen Zollamt sicherzustellen. Bestandteil der Einzellieferungen der Ware werden folgende Belege:Rechnung im Original 4x, Spezifikation des Produkts Zollunterlagen der Ausfuhr an EU Grenzübergang [...]. CMR Frachtpapier ‑ von Verkäufer nach Anweisungen des Käufers ausgefüllt.

IV.) Der Käufer die [mitbeteiligte Partei] verpflichtet sich, auf ihre Kosten die Freigabe der Ware, samt Zollabgaben in der Höhe von 6% des Zollwertes, in den freien Verkehr der Europäischen Gemeinschaft bei einem EU Zollamt sicherzustellen.Eventuell anfallende zusätzliche Kosten welche durch eine Untersuchung der Ware durch die EU‑Zollbehörde anfallen werden dem Folgekäufer in Rechnung gestellt und müssen von diesem beglichen werden.Ergeben sich aufgrund dieser Untersuchungen abweichende Abgabenfestsetzungen auf Grund anderer zolltarifarischer Einreihungen im Zollkodex, verpflichtet sich der Folgekäufer diese Mehrbelastungen dem Käufer, auch nachträglich, zu ersetzen.

V.) 1.) Der Käufer verpflichtet sich, die gemäß Punkt II.) 1. in Auftrag gegebene Ware dem Verkäufer laut dem in Punkt II.) 3. geregelten Preisübereinkommen abzunehmen. Der Folgekäufer verpflichtet sich wiederum die Ware dem Käufer zu unten angeführten Preisvereinbarungen abzunehmen.

2.) Der Kaufpreis für den Folgekäufer wird so zusammengestellt, dass zum ursprünglichen Verkaufspreis des Verkäufers (Lieferanten) die Marge von 273,00 EURO je LKW‑Lieferung hinzugerechnet wird. Weiters werden je Lieferung die für die Ware anfallenden EU‑Zollabgaben hinzugerechnet. Auf Aufforderung des Folgekäufers hat der Käufer (Importeur) die Aufwendungen jederzeit nachzuweisen.Ergeben sich, auch nachträglich, Änderungen der Zollabgaben oder treten weitere Kosten auf, tritt Punkt IV in Kraft.

3.) Sämtliche Vertragsparteien vereinbaren hiermit die ‚PRIVATIVE SCHULDÜBERNAHME‘ des Folgekäufers, [VC], bezüglich sämtlicher Lieferungen, die ihn betreffen, hinsichtlich der Verbindlichkeit des Käufers gegenüber dem Verkäufer.Dementsprechend stimmt der Verkäufer, [kroatische Gesellschaft], unwiderruflich bereits mit diesem Vertrag dieser privativen Schuldübernahme zu.

Der Folgekäufer, [VC], übernimmt dadurch unwiderruflich alle Zahlungsverpflichtungen und Verbindlichkeiten des Käufers gegenüber dem Verkäufer, dies alle Einzellieferungen betreffend.Als Zeitpunkt der privativen Schuldübernahme wird der Abgang der Einzellieferungen nach erfolgter Verzollung in Österreich an die tatsächliche Bestimmungsstelle laut CMR‑Frachtpapier festgelegt. Ab diesem Zeitpunkt kann der Verkäufer seine Forderungen nur noch an [VC] stellen. Der Folgekäufer verpflichtet sich die gegenständliche Ware sofort nach Einlangen der Lieferungen am Bestimmungsort an den Verkäufer zu bezahlen. Bei Nichtbezahlung durch den Folgekäufer kann die Verbindlichkeit keinesfalls wieder an den Käufer [mitbeteiligte Partei] zurückgehen.

4.) Der Folgekäufer hat für die Lieferung der Ware, die Gegenstand dieses Vertrages ist seine Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Käufer bis zur Höhe der Verbindlichkeiten des Käufers gegen seinem Verkäufer (Lieferanten) erfüllt, wenn die Lieferung gegenständliche Ware tatsächlich an den Verkäufer bezahlt ist und der Zahlungsnachweis des Folgekäufers an den Verkäufer in geeigneter Form beim Käufer, der [mitbeteiligten Partei] eint[r]ifft. Der Folgekäufer bezahlt den Restbetrag des Rechnungsbetrages (Marge und Zollabgaben) der [mitbeteiligten Partei] (Käufer) durch Banküberweisung auf das Konto des Käufers laut seiner Anweisung. Nach Tätigung beider Zahlungen je Geschäftsfall gilt die Zahlungsverpflichtung als zur Gänze erfüllt.

5.) Für buchhaltäre Zwecke des Käufers hat der Folgekäufer dafür Sorge zu tragen, dass sämtliche CMR‑Frachtpapiere mit Originalübernahmebestätigung, das bedeutet, Firmenstempel und Unterschrift einer zeichnungsberechtigten Person der übernehmenden Firma am Bestimmungsort, an den Käufer, die [mitbeteiligte Partei], rückgesandt werden.

VI.) Der Verkäufer bestellt und bezahlt die Verfrachtung bis zur angegebenen Bestimmungsstelle laut CMR Frachtpapier. Für Zwecke dieses Vertrages wird die Lieferparität CPT [...], laut Incoterms 2000 vereinbart.

VII.) 1.) [...]

2.) In Folge der privativen Schuldübernahme des Folgekäufers wird das Reklamationsrecht an diesen weitergegeben, der Verkäufer erteilt dazu sein Einverständnis.

Im Falle, dass die oben genannten Parameter der Ware nicht eingehalten werden, ist der Folgekäufer verpflichtet, die Ware dem Verkäufer direkt zurückzugeben. Der Verkäufer verpflichtet sich die Ware zu empfangen und auf seine Kosten Abhilfe zu schaffen.

Der Folgekäufer verpflichtet sich gegenüber dem Käufer umgehend die erhaltene Ware zu überprüfen, fristgerecht eine allfällige Mängelrüge zu tätigen und alles vorzukehren, was notwendig ist, falls die Ware nicht den vereinbarten Kriterien entspricht.

3.) der Folgekäufer verpflichtet sich im Hinblick auf Punkt VII.) 2.) den Käufer, die [mitbeteiligte Partei], diesbezüglich schad‑ und klaglos zu halten. [...]“

4 Die Prüferin vertrat den Standpunkt, dass es sich bei der eigens für die gegenständlichen Warenlieferungen gegründeten Mitbeteiligten um eine Scheinfirma und ein reines Fakturierungsunternehmen handle, das zur Verschleierung des wahren Sachverhaltes und zur Erlangung zoll‑ und finanzrechtlicher Vorteile zwischengeschaltet worden sei. Die Mitbeteiligte sei nie operativ tätig gewesen und nur zum Schein in die Geschäftsabläufe zwischen den kroatischen Verkäufern und VC eingeschaltet worden, der bereits wegen Zollvergehen auffällig geworden sei. Da für das Unternehmen der mitbeteiligten Partei keine Gegenstände eingeführt worden seien, stehe ihr gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 UStG 1994 für die allenfalls entrichtete Einfuhrumsatzsteuer kein Vorsteuerabzug zu.

5 Zudem würden die Eingangs‑ und Ausgangsrechnung auf ein Zucker‑Tee Gemisch lauten, obwohl es sich tatsächlich im Ausmaß von 99,8 % um Zucker gehandelt habe. Die handelsübliche Bezeichnung müsse den Liefergegenstand hinreichend bezeichnen. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt, wenn die in der Rechnung gewählte Beschreibung des Liefergegenstandes eine Vorstellung vom Liefergegenstand hervorrufe, die mit dem tatsächlich gelieferten Gegenstand nicht in Einklang zu bringen sei (Hinweis auf VwGH 28.5.1998, 96/15/0220). Die Rechnungen wiesen nicht die erforderliche handelsübliche Bezeichnung auf, weshalb der Vorsteuerabzug auch deswegen zu verwehren sei.

6 Das Finanzamt folgte der Prüferin, verfügte die Wiederaufnahme des Umsatzsteuerverfahrens für das Jahr 2008 und setzte die Umsatzsteuer unter Außerachtlassung der geltend gemachten Vorsteuerbeträge fest.

7 Die mitbeteiligte Partei berief gegen den Wiederaufnahme‑ und Sachbescheid und führte begründend aus, dass ihre Qualifizierung als „Scheinfirma“ und „Fakturierungsunternehmen“ eine beweislose Vermutung darstelle. Es sei nicht berücksichtigt worden, dass der fakturierte Warenverkehr tatsächlich stattgefunden habe und die Verzollung der jeweiligen Warenlieferungen von der Mitbeteiligten veranlasst worden sei. Es sei somit eine operative Tätigkeit der Mitbeteiligten gegeben gewesen, die eine nachhaltige gewerbliche Tätigkeit darstelle. Sie sei als Unternehmerin iSd § 2 UStG 1994 zu qualifizieren. Im abgabenrechtlichen Zusammenhang sei es ohne Relevanz, ob die importierte und wieder exportierte Ware zollrechtlich richtig tarifiert oder die Einfuhrabgaben in zutreffender Höhe bezahlt worden seien. Der Mitbeteiligten stehe der Abzug der Einfuhrumsatzsteuer zu, weil sie im Jahr 2008 unternehmerisch tätig gewesen sei und über sie Warenimporte und ‑exporte tatsächlich durchgeführt worden seien.

8 Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung als unbegründet ab, woraufhin die mitbeteiligte Partei die Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz beantragte.

9 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Berufung (nunmehr Beschwerde) gegen den Bescheid betreffend Wiederaufnahme des Umsatzsteuerverfahrens 2008 Folge, hob diesen auf und erklärte die gegen den neuen Umsatzsteuerbescheid 2008 gerichtete Berufung (nunmehr Beschwerde) für gegenstandslos.

10 Begründend führte das Bundesfinanzgericht aus, die Mitbeteiligte habe im Jahr 2008 Verträge mit Dritten über die Lieferung und den Weiterverkauf von Waren geschlossen. Vertreten durch eine Spedition habe sie Zollanmeldungen für die Einfuhr der Waren aus Kroatien vornehmen lassen und diese Waren sodann an den Endabnehmer weitergeliefert. Die mitbeteiligte Partei habe einen Firmensitz, einen Geschäftsführer, der sie nach außen vertrete und die Verträge abgeschlossen habe, und eine Angestellte, die sich um die Buchhaltung gekümmert habe. Sie sei demnach im Jahr 2008 Unternehmerin iSd § 2 UStG 1994 gewesen.

11 Voraussetzung für den Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer sei, dass der mit der Einfuhrumsatzsteuer belastete Gegenstand „für das Unternehmen“ des abzugsberechtigten Unternehmers eingeführt worden sei. Dies sei nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfüllt, wenn der Unternehmer im Zeitpunkt des Gelangens der Ware aus dem Zollausland in das Zollinland die Verfügungsmacht im umsatzsteuerrechtlichen Sinn über den eingeführten Gegenstand habe, also im eigenen Namen über diesen Gegenstand tatsächlich verfügen könne.

12 Die Mitbeteiligte habe ‑ vertreten durch ihren Geschäftsführer ‑ im Rahmen der mit den weiteren Beteiligten geschlossenen Verträge verfügt, dass die Waren nach Einlangen im inländischen Zolllager von ihr selbst als Empfängerin übernommen und an den Folgekäufer weitergeliefert worden seien. Die Mitbeteiligte sei, vertreten durch ihren Geschäftsführer, als Unternehmerin aufgetreten und habe die Ware beim Zoll ‑ vertreten durch eine Spedition zur Einfuhr ‑ angemeldet. Dass die Ware unrichtig tarifiert worden sei, ändere nichts daran, dass die Einfuhr von Waren für das Unternehmen der Mitbeteiligten erfolgt sei und daher die Berechtigung zur Geltendmachung der Vorsteuer gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 lit. b UStG 1994 vorliege.

13 Es stehe für das Bundesfinanzgericht außer Zweifel, dass aufgrund der vorliegenden Rahmenverträge zwischen der Mitbeteiligten, den Verkäufern aus Kroatien und dem Endabnehmer der Zweck der Rechtsverhältnisse übereinstimmend darin bestanden habe, die Waren von Kroatien an die Mitbeteiligte nach Österreich zu liefern und in ihre Verfügungsmacht zu übergeben. Die gelieferten Waren seien dazu bestimmt gewesen, von der Mitbeteiligten als Käuferin an den Folgekäufer weiterverkauft zu werden. Die Mitbeteiligte habe die Waren dann an den Endabnehmer, VC, weitergeliefert.

14 Eine falsche Tarifierung ändere nichts daran, dass die Ware von den kroatischen Verkäufern an die Mitbeteiligte geliefert und die Verfügungsmacht über die Ware an diese übertragen worden sei. Dass die Ware mittels Übernahme durch die Spedition, die die Mitbeteiligte in der Zollabwicklung vertreten habe, in die Sphäre der Mitbeteiligten gelangt sei, stehe außer Zweifel. Die Mitbeteiligte habe die Verfügungsmacht über die Waren erlangt und diese seien daher für sie eingeführt worden. Dass die Waren zur Weiterlieferung bestimmt gewesen seien, sei für die Erlangung der Verfügungsmacht der Mitbeteiligten im Zeitpunkt der Zollanmeldung durch die Spedition nicht schädlich.

15 In der Buchhaltung der Mitbeteiligten seien die gelieferten Waren entsprechend den vorliegenden Eingangsrechnungen als Aufwand und ihr Verkauf aufgrund der Ausgangsrechnungen als Erlös verbucht worden. Die von der Mitbeteiligten importierten Waren stünden daher in direktem Zusammenhang mit ihren Ausgangsumsätzen. Die Mitbeteiligte habe im Streitjahr 2008 einem in der Import‑Export‑Branche tätigen Unternehmen entsprechend agiert.

16 Das vorliegende Rechtsverhältnis entspreche einer Einkaufskommission, bei welcher gemäß § 3 Abs. 3 UStG 1994 zwischen Kommissionär und Kommittenten eine Lieferung vorliege, wobei der Kommissionär vom Dritten für sein Unternehmen erwerbe und selbst eine Lieferung an den Kommittenten ausführe. Der Dritte erbringe die Leistung an den Kommissionär, auch wenn er das Entgelt direkt vom Kommittenten erhalte.

17 Für die Mitbeteiligte habe auch ein Unternehmerrisiko durch die Tragung der Gefahr des zufälligen Untergangs der Waren ab Übernahme bis zur Lieferung an den Endkunden (Folgekäufer) bestanden. Der Übergang der Gefahr des zufälligen Untergangs habe in Bezug auf die Verfügungsmacht zumindest indiziellen Charakter. Zudem hätte die Mitbeteiligte faktisch die in ihrer Verfügungsmacht im Zolllager der Spedition in Wien liegenden Waren im Widerspruch zu den Rahmenvereinbarungen und unter Inkaufnahme von Schadenersatzforderungen seitens des Endabnehmers an andere Abnehmer weiterliefern und damit auch in einer solchen (vertragswidrigen) Weise über die Waren verfügen können. Dafür, dass die Rahmenverträge nur zum Schein abgeschlossen worden wären, bestehe kein Anhaltspunkt. Die Liefervorgänge hätten so wie vereinbart stattgefunden.

18 Im Übrigen sei anzumerken, dass die Verbuchung der Einfuhrumsatzsteuer auf dem Finanzamtskonto der mitbeteiligten Partei nicht hätte erfolgen dürfen, wenn man davon ausgehe, dass der Mitbeteiligten die Verfügungsmacht nicht übertragen worden sei und die Waren nicht für ihr Unternehmen eingeführt worden seien, zumal § 26 Abs. 3 Z 2 UStG 1994 und § 12 Abs. 1 Z 2 lit. b UStG 1994 gleichlautend voraussetzten, dass die Gegenstände „für ihr Unternehmen“ eingeführt worden seien.

19 Eine den Vorschriften des § 11 UStG 1994 entsprechende Rechnung sei keine Voraussetzung für den Abzug der Einfuhrumsatzsteuer. Ob die Waren in den an die Mitbeteiligte gelegten Rechnungen handelsüblich bezeichnet worden seien, sei für den Abzug der Einfuhrumsatzsteuer daher nicht maßgeblich. Der auf die „falsche Warenbezeichnung“ gestützte Wiederaufnahmegrund liege daher nicht vor.

20 Der Beschwerde sei aufgrund der Ausführungen betreffend das Vorliegen der Verschaffung der Verfügungsmacht Folge zu geben und der angefochtene Wiederaufnahmebescheid aufzuheben, weil nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes auch kein „Fakturierungsunternehmen“ vorliege und somit die Kenntnis der im Betriebsprüfungsbericht angeführten Umstände nicht zu einem im Spruch anders lautenden Bescheid geführt hätte.

21 Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Bundesfinanzgericht für zulässig, weil Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, ob der Mitbeteiligten in der gegenständlichen Sachverhaltskonstellation die Verfügungsmacht über die importierten Waren verschafft worden sei und diese damit als für ihr Unternehmen eingeführt zu qualifizieren seien.

22 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision, zu der die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung erstattet hat.

23 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

24 Entscheidend für den Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer ist, ob Gegenstände für das Unternehmen des Abgabepflichtigen eingeführt wurden. Der eingeführte Gegenstand muss dabei entweder zum Gebrauch, zum Verbrauch oder zum Verkauf bestimmt sein (vgl. VwGH 24.3.2015, 2013/15/0238, mwN). Artikel 168 Buchstabe e der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, die den Abzug der vom Beförderer der betreffenden Waren, der nicht deren Einführer oder Eigentümer ist, sondern sie lediglich befördert und die Zollabfertigung ihres Versands im Rahmen seiner mehrwertsteuerpflichtigen Beförderungstätigkeit vorgenommen hat, geschuldeten Einfuhrumsatzsteuer ausschließt (EuGH 25.6.2015, DSV Road, C‑187/14). Entscheidend ist demnach, ob die eingeführten Gegenstände für die Zwecke der besteuerten Umsätze des Steuerpflichtigen verwendet wurden. Diese Voraussetzung ist nur erfüllt, wenn die Kosten der Eingangsleistungen Eingang in den Preis der Ausgangsumsätze oder in den Preis der Gegenstände oder Dienstleistungen finden, die der Steuerpflichtige im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten liefert bzw. erbringt (vgl. neuerlich EuGH 25.6.2015, DSV Road, C‑187/14, Rn 49).

25 Im vorliegenden Fall hatte die mitbeteiligte Partei Rahmenverträge mit den kroatischen Lieferanten und dem Endabnehmer der verfahrensgegenständlichen Ware geschlossen.

26 Gemäß den Rahmenverträgen sollte die Zahlung des Rechnungsbetrags (für die Ware) unmittelbar vom Endabnehmer erfolgen, der mittels privativer Schuldübernahme alle Zahlungsverpflichtungen und Verbindlichkeiten der mitbeteiligten Partei gegenüber den kroatischen Lieferanten übernahm. Die mitbeteiligte Partei sollte nur den Restbetrag des Rechnungsbetrages (Marge und Zollabgaben) vom Endabnehmer erhalten. Als Leistungen, zu denen die Mitbeteiligte verpflichtet sei, wurden dazu ausschließlich Leistungen zur Abwicklung des grenzüberschreitenden Transports genannt. Schließlich wurde in den Rahmenverträgen auch festgehalten, dass der Endabnehmer die erhaltene Ware umgehend zu überprüfen, fristgerecht eine Mängelrüge zu tätigen und mangelhafte Ware direkt den kroatischen Lieferanten zurückzugeben habe. Im Arbeitsbogen der Prüferin liegen Ein‑ und Ausgangsfakturen ein, die in Bezug auf die Rechnungsbeträge für die Ware identisch sind; der Gewinn der Mitbeteiligten ergab sich aus dem in den Rahmenverträgen vereinbarten Pauschalbetrag (Marge).

27 Damit standen in den Vereinbarungen die Leistungen der Mitbeteiligten im Zusammenhang mit der Abwicklung des grenzüberschreitenden Transports im Mittelpunkt. Insoweit gleicht der Revisionsfall in Sachverhalt und Rechtsfrage jenem, der vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 18. Oktober 2018, Ro 2017/15/0022, entschieden wurde. Aus den in jenem Erkenntnis angeführten Gründen, auf welche gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, erweist sich auch das gegenständliche Erkenntnis als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.

28 Das angefochtene Erkenntnis war daher in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 27. August 2020

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