VwGH Ra 2019/22/0085

VwGHRa 2019/22/008525.7.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, in der Revisionssache der M J, vertreten durch Mag. Dr. Irina Schiffer, Rechtsanwältin in 1130 Wien, Biraghigasse 33, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 28. Jänner 2019, VGW-151/009/4321/2018-6, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §56
AVG §73 Abs1 impl
AVG §73 Abs2 impl
B-VG Art133 Abs4
NAG 2005 §11 Abs1 Z5
VwGG §34 Abs1
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019220085.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 4 Die Revisionswerberin, eine georgische Staatsangehörige, reiste 2016 nach Deutschland ein und erhielt in weiterer Folge eine deutsche Aufenthaltserlaubnis mit Gültigkeit bis 31. März 2017. Am 22. September 2016 reiste sie aufgrund Art. 21 Abs. 1 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) rechtmäßig in das Bundesgebiet ein, wo sie sich seither aufhält.

5 Den am 24. November 2016 gestellten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit" (Au-Pair) modifizierte die Revisionswerberin am 2. Februar 2017 auf einen Aufenthaltstitel für den Zweck "Schüler". Der Landeshauptmann von Wien (Behörde) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 12. Mai 2017 ab; das Landesverwaltungsgericht (VwG) gab der dagegen erhobenen Beschwerde mit Erkenntnis vom 18. Oktober 2017 statt. 6 Mit Bescheid der Behörde vom 23. Jänner 2018 wurde der - am 15. Dezember 2017 neuerlich modifizierte, nunmehr für den Zweck "Studierende" gestellte - Antrag abgewiesen.

7 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das VwG - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis ab und erklärte eine ordentliche Revision für nicht zulässig.

Begründend führte das VwG aus, die Revisionswerberin habe - nach legaler Einreise mit einem (deutschen) Aufenthaltstitel - durch den Verbleib im Bundesgebiet über den sichtvermerksfreien Aufenthalt von drei Monaten hinaus den Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) erfüllt. Im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG verneinte das VwG - mit näherer Begründung - ein Überwiegen der privaten Interessen der Revisionswerberin gegenüber den öffentlichen Interessen.

8 In der Zulässigkeitsbegründung rügt die Revisionswerberin zunächst, die Behörde hätte nicht fristgerecht, nämlich zu einem Zeitpunkt, als sie sich noch legal im Bundesgebiet aufgehalten habe, über ihren Erstantrag entschieden. Die Rechtswidrigkeit des Aufenthaltes der Revisionswerberin liege daher ausschließlich im Verschulden der Behörde.

Dem ist zu entgegnen, dass die Revisionswerberin - unabhängig davon, dass der Bescheid vom 12. Mai 2017 vom VwG aufgehoben wurde - jedenfalls nach Ablauf des rechtmäßigen Aufenthaltes verpflichtet war, das Bundesgebiet zu verlassen. Im Übrigen entschied die Behörde mit Bescheid vom 12. Mai 2017 innerhalb der gesetzlichen Entscheidungsfrist von sechs Monaten gemäß § 73 Abs. 1 AVG über den Antrag vom 24. November 2016. Eine Verpflichtung der Behörde, über einen Erstantrag innerhalb eines erlaubten visumfreien Aufenthaltes zu entscheiden, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.

9 Soweit sich die Revision gegen die vom VwG vorgenommene Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG wendet, ist zunächst auf die hg. Rechtsprechung zu verweisen, wonach die im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. VwGH 4.10.2018, Ra 2018/22/0126).

Eine Unvertretbarkeit der vom VwG durchgeführten Interessenabwägung liegt fallbezogen nicht vor. Das VwG legte seiner Entscheidung zugrunde, dass sich die 27-jährige Revisionswerberin seit fast zweieinhalb Jahren (davon aber mehr als zwei Jahre unrechtmäßig) in Österreich aufhalte, alle ihre Verwandten in Georgien lebten und sie die gesamte Ausbildung in Georgien absolviert habe; zu ihren Gunsten berücksichtigte das VwG ihre Freundschaften, ihre ehrenamtliche Tätigkeit in einem Verein sowie ihre guten Deutschkenntnisse. Ausgehend davon ist die Auffassung des VwG, es überwögen die öffentlichen Interessen jene der Revisionswerberin, nicht zu beanstanden (vgl. nochmals Ra 2018/22/0126, wonach weder ein Inlandsaufenthalt von etwa zweieinhalb Jahren noch ein bereits erzielter Studienerfolg für sich genommen eine maßgebliche Verstärkung der persönlichen Interessen an einer Titelerteilung bewirken).

10 Auch das Vorbringen, wonach der Revisionswerberin eine Ausreise aus Österreich nicht zumutbar sei, weil eine Antragstellung nur in Aserbaidschan, nicht jedoch in ihrer Heimat Georgien möglich sei, führt nicht zum Erfolg. Die Frage der Zumutbarkeit gemäß § 21 Abs. 3 NAG, auf die sich die Revisionswerberin erkennbar bezieht, ist fallbezogen nicht entscheidungsrelevant, weil die Revisionswerberin ihren Antrag gemäß § 21 Abs. 2 Z 5 NAG ohnehin zulässigerweise im Inland stellte. Das Vorbringen zur Zumutbarkeit der Auslandsantragstellung geht somit ins Leere.

11 Mit dem weiteren Zulässigkeitsvorbringen, es bestehe keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage, wann und unter welchen Umständen ein Antragsteller ein Bewusstsein über seinen unsicheren Aufenthaltsstatus haben müsse, bzw. die Revisionswerberin habe nach Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung darauf vertrauen können, eine Aufenthaltsbewilligung zu erlangen, wird gleichfalls keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt. Dieser Frage kommt nämlich in der vorliegenden Konstellation keine entscheidende Bedeutung zu.

12 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme; sie war daher zurückzuweisen.

Wien, am 25. Juli 2019

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