VwGH Ra 2019/14/0232

VwGHRa 2019/14/023227.6.2019



Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, in der Revisionssache des X Y in Z, vertreten durch Mag. Thomas Loos, Rechtsanwalt in 4400 Steyr, Schönauerstraße 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. April 2019, Zl. W134 2187999- 1/10E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9
MRK Art8

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019140232.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 12. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er brachte vor, die Taliban hätten seinen Vater getötet, weil sich dieser geweigert habe, seine Tätigkeit für die Regierung aufzugeben. Auch nach einem Umzug in die Stadt Kunduz hätten es die Taliban noch auf die Familie des Revisionswerbers abgesehen gehabt. Eines Tages hätten die Taliban den Revisionswerber absichtlich auf der Straße mit einem Auto angefahren. Eine Person sei deshalb festgenommen worden und hätte sich nach deren Freilassung rächen wollen, weshalb der Revisionswerber das Land verlassen habe.

2 Mit Bescheid vom 19. Jänner 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 7 Die Revision macht zu ihrer Zulässigkeit zunächst ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Berücksichtigung des Kindeswohls, der Frage der Fortsetzung des Familienlebens im Herkunftsstaat, der Frage der Trennung der Ehegatten, der Indizwirkung der UNHCR-Richtlinien sowie dem Erfordernis einer Begründung und den Voraussetzungen der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative geltend.

8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. etwa VwGH 4.3.2019, Ra 2018/14/0055, mwN).

9 Der Revision ist zuzugestehen, dass das BVwG die Rechtslage verkennt, wenn es vermeint, dass im Rahmen der Interessenabwägung auf ein ungeborenes Kind nicht Bedacht zu nehmen wäre (vgl. VwGH 5.10.2017, Ra 2017/21/0119; VfGH 26.2.2019, E 3079/2018, jeweils mwN). Ihr gelingt es allerdings mit ihrem Vorbringen nicht aufzuzeigen, dass die Interessenabwägung - selbst unter Berücksichtigung der Schwangerschaft der Lebensgefährtin des Revisionswerbers - unvertretbar gewesen wäre (vgl. VwGH 28.2.2019, Ra 2018/14/0222).

10 Insoweit die Revision behauptet, dem Erkenntnis seien keine Feststellungen zu entnehmen, aus denen sich ergebe, dass der Revisionswerber über ein konkretes "Unterstützungsnetzwerk" verfüge, ist ihr entgegenzuhalten, dass in der Revision selbst ausgeführt wird, dass die Afghanistan betreffenden UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 "die Region Herat und Mazare Sharif allgemein nur für junge alleinstehende, gesunde und arbeitsfähige Männer und junge Paare allgemein als innerstaatliche Fluchtalternative" ansehen würden. Wenn der Revisionswerber in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass seine Lebensgemeinschaft und die Situation des (ungeborenen) Kindes zu berücksichtigen gewesen wäre, so entfernt er sich vom festgestellten Sachverhalt, demzufolge das Bundesverwaltungsgericht nicht davon ausgegangen ist, die Lebensgefährtin würde den Revisionswerber in sein Heimatland begleiten.

11 Das BVwG ist bei der Prüfung des Vorliegens einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative näher auf die individuelle Situation des Revisionswerbers eingegangen und hat dabei berücksichtigt, dass es sich beim Revisionswerber um einen jungen, mobilen, gesunden sowie anpassungs- und arbeitsfähigen Mann handle, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne, dem es möglich wäre, zumindest Hilfstätigkeiten zu verrichten, der Paschtu spreche, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei, dessen Mutter, Onkel und zwei Geschwister nach wie vor in Afghanistan leben würden und der zumindest finanzielle Unterstützung durch seine in Afghanistan lebende Familie erhalten oder Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen könne. Aufgrund dieser Kriterien ist das BVwG zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Revisionswerber eine Ansiedelung unter anderem in Mazar-e Sharif möglich und auch zumutbar sei.

12 Diese Einschätzung des BVwG begegnet vor dem Hintergrund der getroffenen und auf die im Entscheidungszeitpunkt zur Verfügung stehenden Quellen gegründeten Feststellungen keinen Bedenken (vgl. etwa VwGH 6.5.2019, Ra 2019/14/0192; 10.4.2019, Ra 2019/20/0153; 14.3.2019, Ra 2019/18/0079, 25.2.2019, Ra 2019/20/0049). Vor diesem Hintergrund muss auf das sich auf Kabul beziehende Vorbringen der Revision nicht mehr eingegangen werden.

13 Zudem bringt die Revision zu ihrer Zulässigkeit vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage des Verlesungsgebotes bei der Aufnahme eines Urkundenbeweises bzw. zu der Heranziehung von Aktenstücken als Beweismittel bei der Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

14 Soweit der Revisionswerber in diesem Zusammenhang vorbringt, das angefochtene Erkenntnis stütze sich ganz wesentlich auf Länderberichte und Aktenbestandteile des Aktes des BFA, die nicht verlesen worden seien, zeigt der Revisionswerber die Relevanz der behaupteten Verfahrensfehler für den Verfahrensausgang nicht auf (vgl. zum Erfordernis der Relevanzdarlegung etwa VwGH 4.3.2019, Ra 2019/14/0035, mwN). Schon deswegen wird damit die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan, sodass die Frage, ob die vom Revisionswerber angeführten Verfahrensmängel überhaupt gegeben waren, hier dahingestellt bleiben konnte.

15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 27. Juni 2019

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