VwGH Ro 2019/13/0035

VwGHRo 2019/13/003511.12.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski und die Hofräte MMag. Maislinger sowie Mag. Novak und die Hofrätinnen Dr. Reinbacher sowie Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf in 1030 Wien, Marxergasse 4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 9. Juli 2019, Zl. RV/7103264/2019, betreffend Einkommensteuer 2016 (mitbeteiligte Partei: Z in W, vertreten durch Mag. Ursula Zimmerl, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 1180 Wien, Sternwartestraße 82), zu Recht erkannt:

Normen

EStG 1988 §30
EStG 1988 §30 Abs4
EStG 1988 §30 Abs7
EStG 1988 §30 Abs7 idF 2012/I/112
EStG 1988 §30a Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RO2019130035.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichtes verkaufte die mitbeteiligte Partei mit Kaufvertrag vom 4. April 2012 als Hälfteeigentümerin eine Liegenschaft, wobei ein Veräußerungsgewinn in Höhe von 14.567 Euro, davon 50 % auf die Mitbeteiligte entfallend, erzielt wurde. In der Einkommensteuererklärung 2012 wurde die Regelbesteuerungsoption für die Einkünfte aus privaten Grundstücksveräußerungen ausgeübt. Infolge eines (positiven) Gesamteinkommens unter dem Grundfreibetrag von 11.000 Euro unterlagen diese Einkünfte aus der privaten Grundstücksveräußerung einem Steuersatz von 0 %, wodurch die im Zuge des Verkaufes entrichtete Immobilienertragsteuer auch wieder gutgeschrieben wurde.

2 Im Jahr 2016 kam es aufgrund von Mängeln im Verkaufsobjekt zum Abschluss eines Vergleiches zwischen dem Käufer und den Verkäufern, der zu einer Teilrückzahlung des Kaufpreises in Höhe von insgesamt 40.500 Euro, sohin auf die mitbeteiligte Partei entfallend 20.250 Euro, führte.

3 In der (mit der Beschwerde gegen den auf einer Schätzung beruhenden Einkommensteuerbescheid nachgereichten) Einkommensteuererklärung für das Jahr 2016 machte die Mitbeteiligte unter anderem negative Grundstückseinkünfte in Höhe von 20.250 Euro geltend.

4 Das Finanzamt berücksichtigte die negativen Grundstückseinkünfte in der Beschwerdevorentscheidung nicht und begründete dies damit, dass der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 11. Dezember 2002, B 941/02, ausgesprochen habe, es sei verfassungsrechtlich geboten, nachträgliche Werbungskosten oder Erlösminderungen in späteren Kalenderjahren mit anderen Einkünften auszugleichen, wenn aus der seinerzeitigen Veräußerung ein Gewinn erzielt und dieser der Besteuerung unterworfen worden sei. Im konkreten Fall liege eine „abstrakte Besteuerung“ vor, weil die Einkünfte im Einkommen erfasst und damit dem Tarif gemäß § 33 EStG 1988 unterworfen worden seien. Der VfGH stelle in seinem Erkenntnis auf eine effektive Besteuerung ab, welche aber auf Grund des im konkreten Sachverhalt anzuwendenden Tarifs in Höhe von 0 % nicht vorliege.

5 Die Mitbeteiligte stellte rechtzeitig einen Vorlageantrag betreffend Einkommensteuer 2016 und führte darin aus, dass der Hinweis in der Bescheidbegründung auf das VfGH‑Erkenntnis vom 11. Dezember 2002 komplett ins Leere gehe, weil in dem Erkenntnis ein ganz anderer Sachverhalt abgehandelt worden sei.

6 Das Bundesfinanzgericht gab der Beschwerde der Mitbeteiligten teilweise statt und änderte den Bescheid ‑ soweit für das hier vorliegende Verfahren wesentlich ‑ insofern ab, als es einen Betrag von 3.641,75 Euro (die Hälfte des im Jahr 2012 erzielten Gewinnes) als negative Einkünfte aus Grundstücksveräußerungen berücksichtigte.

7 Begründend führte es aus, dass beim Anfall von Aufwendungen in Zusammenhang mit einer bereits früher realisierten Grundstücksveräußerung für die Grundstücksveräußerung eine Totalgewinnbetrachtung anzustellen sei, wodurch nachträgliche Aufwendungen insoweit mit anderen Einkünften ausgeglichen werden könnten, als sie nicht die Einkünfte aus privaten Grundstücksveräußerungen des Veräußerungsjahres überstiegen. Die Verlustausgleichsbeschränkung des § 30 Abs. 7 EStG 1988 sei aufgrund der Judikatur der Höchstgerichte in verfassungskonformer Interpretation teleologisch zu reduzieren. Die Vernachlässigung einer negativen Einkommenskomponente, die aus Erlösminderungen in Jahren nach Vereinnahmung und Versteuerung eines Überschusses aus einer Grundstücksveräußerung bestehe, würde zur Besteuerung eines fiktiven Einkommens führen und insoweit dem Prinzip der Besteuerung nach der persönlichen Leistungsfähigkeit widersprechen.

8 Im vorliegenden Fall seien im Veräußerungsjahr 2012 im Zuge der Veranlagung in Folge der ausgeübten Regelbesteuerungsoption Einkünfte aus der Grundstücksveräußerung in Höhe von 7.283,50 Euro in den Gesamtbetrag der Einkünfte eingeflossen und der Besteuerung zugrundegelegt worden. Auf Grund eines in diesem Jahr zuzurechnenden Verlustes aus Gewerbebetrieb in Höhe von ‑9.278,02 Euro und von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit von lediglich 11.150,61 Euro habe die im Zuge der Veranlagung festgesetzte Einkommensteuer 0,00 Euro betragen.

9 Die darüber hinaus beantragte Anerkennung der Kaufpreisminderung als negative Grundstückseinkünfte im Jahr 2016 wurde vom Bundesfinanzgericht mit Verweis auf die geltende Rechtslage abgewiesen.

10 Die Revision wurde mit der Begründung zugelassen, dass Rechtsprechung dazu fehle, ob und in welcher Höhe nachträgliche Erlösminderungen bei der Veranlagung zu berücksichtigen seien.

11 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

13 Die Revision ist zulässig und auch begründet.

14 Die Revision bringt vor, das Bundesfinanzgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes abgewichen, wonach die von der Mitbeteiligten in Anspruch genommene verfassungskonforme Interpretation des § 30 EStG 1988 voraussetze, dass die Einkünfte aus der Grundstücksveräußerung einer effektiven Besteuerung unterzogen wurden, weil nur dann der zu vermeidende Umstand der Besteuerung von fiktiven Einkünften eintreten könne.

15 Mit dieser Begründung ist die Amtsrevision im Recht.

16 § 30 Abs. 4 EStG 1988 idF vor dem AbgÄG 2012 sah ein relatives Verlustausgleichsverbot für Verluste aus Spekulationseinkünften vor.

17 § 30 Abs. 7 EStG 1988 idF AbgÄG 2012, BGBl. I Nr. 112/2012, sah vor, dass ein Verlust aus einer Grundstücksveräußerung, auf die der besondere Steuersatz gemäß § 30a Abs. 1 EStG 1988 anwendbar ist, zur Hälfte ausschließlich mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung auszugleichen war. Dies galt auch im Falle der Ausübung einer Regelbesteuerungsoption. In der für das Veranlagungsjahr 2016 geltenden Fassung kann der Verlust auf 15 Jahre verteilt oder im Jahr der Verlustentstehung sofort mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung ausgeglichen werden. Ein darüber hinausgehender Ausgleich mit anderen Einkünften ist ‑ auch bei Ausübung der Regelbesteuerungsoption ‑ nicht zulässig.

18 Im Hinblick auf die Berücksichtigung von Verlusten aus Grundstücksveräußerungen ist die Rechtslage in der Fassung des AbgÄG 2012 bei ‑ wie hier ‑ Nichtvorliegen von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung vergleichbar mit der Rechtslage, nach der diese Veräußerungen als Spekulationseinkünfte erfasst wurden. Die dazu ergangene Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wie auch des Verfassungsgerichthofes ist daher auf die durch das AbgÄG 2012 geschaffene neue Rechtslage übertragbar.

19 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bereits in seinem Erkenntnis vom 27. Mai 2003, 98/14/0065, unter Bezugnahme u.a. auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Dezember 2002, B 941/02, mit der Frage der Berücksichtigung von nachträglichen Erlösminderungen bei Spekulationsgeschäften beschäftigt und dazu folgendes ausgeführt:

„Bei der Einkommensteuer im Allgemeinen und bei der Erfassung von Spekulationsgeschäften im Besonderen geht es um die Besteuerung der im Einkommen zu Tage tretenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Die aus einem solchen Veräußerungsgeschäft resultierende Leistungsfähigkeit wird nur dann zutreffend erfasst, wenn die mit dem Geschäft in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Aufwendungen oder Erlösminderungen als negative Einkommenskomponenten berücksichtigt werden. Andernfalls käme es insoweit zur Besteuerung von Einkommen, das gar nicht erzielt wurde. Die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts haben daher die Auffassung vertreten, dass das strenge Zufluss-Abfluss-Prinzip des § 19 EStG 1988 für die steuerliche Erfassung von Spekulationsgeschäften nur eingeschränkt zur Anwendung kommen kann. § 30 EStG 1988 betrifft danach nicht notwendigerweise nur Vorgänge eines Veranlagungszeitraumes, sondern dient der vollständigen Erfassung des Überschusses aus dem Spekulationsgeschäft unter Bedachtnahme auf bestimmte (auch mehrjährige) Fristen, innerhalb derer die Realisierung erfolgt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. November 1993, 93/14/0124, sowie das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. März 1994, B 1297/93, VfSlg. 13.724).

In seinem Erkenntnis vom 11. Dezember 2002, B 941/02, hat der Verfassungsgerichtshof zum Ausdruck gebracht, dass dieser Gedanke auch gilt, wenn es in Besteuerungsperioden nach der Realisierung des Veräußerungsgewinns im Zusammenhang mit diesem Geschäft zu Werbungskosten oder Erlösminderungen kommt. Die durch die Veräußerung von Wirtschaftsgütern erworbene Leistungsfähigkeit kann nur an Hand einer Totalbetrachtung ermittelt werden, bei der auch solche ‑ mit dem Veräußerungsvorgang in Zusammenhang stehenden ‑ Werbungskosten und Erlösminderungen Berücksichtigung finden, die in Veranlagungszeiträumen nach der Veräußerung abfließen. Wenn der Gesetzgeber daher in § 30 Abs. 4 letzter Satz EStG 1988 anordnet, dass dann, wenn die Spekulationsgeschäfte innerhalb eines Kalenderjahres insgesamt zu einem Verlust führen, dieser nicht ausgleichsfähig ist, so muss diese Norm (einschränkend) auf jene Fälle bezogen werden, in denen aus einem Spekulationsgeschäft insgesamt ein Verlust erzielt wurde. Ist aus dem Spekulationsgeschäft hingegen im Veräußerungsjahr ein Gewinn erzielt und der Besteuerung unterworfen worden, wobei spätere Abflüsse noch nicht berücksichtigt wurden, so müssen, um ein verfassungswidriges Ergebnis zu vermeiden, nachträgliche Werbungskosten oder Erlösminderungen im Abflussjahr bis zum Betrag dieses Gewinnes zum Ausgleich mit anderen Einkünften (Einkunftsarten) zugelassen werden. Der Wortlaut des § 30 Abs. 4 letzter Satz EStG 1988 steht einer Berücksichtigung derartiger (nachträglicher) Werbungskosten oder Erlösminderungen nicht entgegen. Die Vorschrift kann auch so gelesen werden, dass das dort verankerte ‚relative Verlustausgleichsverbot‘ nur dann eingreift, wenn ein Spekulationsgeschäft gesamthaft betrachtet zu einem Verlust geführt hat. Entsteht der ‚Verlust‘ hingegen bloß periodenbezogen durch den Abfluss von nachträglichen Werbungskosten oder Erlösminderungen, die einem in einem früheren Veranlagungszeitraum getätigten, insgesamt mit Gewinn abschließenden Veräußerungsgeschäft zuzurechnen sind, dann würde die Vernachlässigung dieser negativen Einkommenskomponenten zur Besteuerung eines fiktiven Einkommens führen und insoweit mit dem Prinzip der Besteuerung nach der persönlichen Leistungsfähigkeit in Konflikt kommen.“

20 Aus diesem Erkenntnis sowie der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes geht klar hervor, dass die verfassungskonform einschränkende Interpretation des relativen Verlustausgleichverbotes in § 30 EStG 1988 der Verhinderung der Besteuerung fiktiver Einkünfte dient und demnach nur dann zur Anwendung kommen kann, wenn im Veräußerungsjahr ein Gewinn erzielt und dieser versteuert wurde.

21 Nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts führte der Veräußerungserlös im Jahr 2012 zu keiner Besteuerung, weil sich insgesamt ein positives Einkommen von unter 11.000 Euro ergab. Der Gewinn aus der Grundstücksveräußerung hat auch nicht dazu geführt, dass potentiell vortragsfähige Verluste aus dem Jahr 2012 gekürzt wurden.

22 Wie das Bundesfinanzgericht angesichts dieser Feststellungen zu der Beurteilung gelangte, ohne Berücksichtigung der Erlösminderung im Jahr 2016 würde ein fiktiver Gewinn besteuert und das Prinzip der Besteuerung nach der persönlichen Leistungsfähigkeit verletzt, ist nicht nachvollziehbar.

23 Das Bundesfinanzgericht hat somit die Rechtslage verkannt, weshalb das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

Wien, am 11. Dezember 2019

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