VwGH Ra 2018/22/0276

VwGHRa 2018/22/027614.11.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24. Oktober 2018, L508 1430292- 3/5E, betreffend Aufenthaltstitel und Rückkehrentscheidung (mitbeteiligte Partei: Q A, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1), zu Recht erkannt:

Normen

BFA-VG 2014 §21 Abs7
BFA-VG 2014 §9
FrPolG 2005 §52 Abs3
FrPolG 2005 §52 Abs9
MRK Art8
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §24
VwGVG 2014 §28
VwGVG 2014 §28 Abs2
VwGVG 2014 §28 Abs2 Z2
VwGVG 2014 §28 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018220276.L00

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein pakistanischer Staatsangehöriger, stellte am 3. Oktober 2012 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18. Oktober 2012 in Verbindung mit einer Ausweisung abgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 12. November 2012 als unbegründet abgewiesen.

2 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA, belangte Behörde) vom 13. Dezember 2016 wurde der zweite Antrag des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Unter einem sprach das BFA aus, dass dem Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) nicht erteilt werde, und es erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG). Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 13. Jänner 2017 als unbegründet abgewiesen. 3 Am 22. Jänner 2018 stellte der Mitbeteiligte einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, er sei nunmehr seit 2012 in Österreich aufhältig und besonders gut integriert. Die zahlreichen dem Antrag beigelegten Unterstützungserklärungen und Empfehlungsschreiben würden sein Bemühen um eine vorbildliche Integration belegen. 4 Mit Bescheid vom 8. Oktober 2018 wies das BFA diesen Antrag gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zurück. Unter einem wurde gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei, gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt und gemäß § 18 Abs. 2 Z 3 BFA-VG einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.

5 Auf Grund der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten behob das BVwG mit dem angefochtenen Beschluss vom 24. Oktober 2018 den Bescheid der belangten Behörde und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für unzulässig.

Das Verwaltungsgericht führte begründend im Wesentlichen aus, das BFA habe den entscheidungswesentlichen Sachverhalt nur ansatzweise ermittelt. Der Mitbeteiligte habe weitere Integrationsschritte unternommen, welche durch Vorlage von Beweismitteln belegt worden seien (Sprachzertifikat für die Niveaustufe B1, Unterstützungsschreiben, Beschäftigungsbewilligung und Fortkommen im Lehrberuf). Aufgrund der neuen Sachverhaltselemente, welche noch nicht Gegenstand des ersten Rechtsganges gewesen seien, könne eine Neubeurteilung des Sachverhaltes nicht ausgeschlossen werden. Die ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens des Mitbeteiligten bzw. die Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens sei im gegenständlichen Fall "in krasser Form" unterblieben. Aufgrund des Vorbringens betreffend seine Integration wäre eine detaillierte Befragung des Mitbeteiligten für die Beurteilung einer allfälligen Sachverhaltsänderung unerlässlich gewesen. Unter Verweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes zur Bedeutung der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks in Bezug auf eine Abwägung nach Art. 8 EMRK vertrat das Verwaltungsgericht die Ansicht, dass diese Rechtsprechung bereits für die Verwaltungsbehörde gelten müsse und die belangte Behörde somit zur Durchführung einer Einvernahme verpflichtet gewesen wäre.

Ferner hielt das Verwaltungsgericht fest, die belangte Behörde habe mit der - trotz gegenteiliger Mitteilung per E-Mail vom 10. September 2018, worin dem Mitbeteiligten die positive Erledigung seines Antrages in Aussicht gestellt worden sei, ergangenen - Zurückweisung das Rechtsschutzprinzip verletzt, zumal das Parteiengehör gröblich missachtet worden und damit eine Verkürzung des Rechtsweges gegeben sei. Auch in diesem Zusammenhang wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, den Mitbeteiligten im Rahmen einer Einvernahme persönlich zu hören. Die Voraussetzungen für eine meritorische Entscheidung nach § 28 Abs. 2 VwGVG seien vorliegend nicht gegeben. Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

6 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der belangten Behörde. 7 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die Abänderung des angefochtenen Beschlusses dahingehend, dass der beantragte Aufenthaltstitel erteilt und die Rückkehrentscheidung samt Zulassung der Abschiebung nach Pakistan aufgehoben werde, bzw. die Zurückweisung, in eventu Abweisung der Revision.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit zusammengefasst vor, das Verwaltungsgericht habe trotz des von der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens betreffend die bei der Beurteilung der Integration zu beachtenden Aspekte nicht in der Sache selbst entschieden. Somit sei das Verwaltungsgericht von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Behebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 2 und 3 VwGVG abgewichen.

Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig und begründet.

9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG (vgl. etwa VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063) normiert diese Bestimmung einen prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Liegen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG für eine Sachentscheidung vor, hat das Verwaltungsgericht jedenfalls eine solche zu treffen. Zudem hat das Verwaltungsgericht - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt festgehalten hat - nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt (vgl. VwGH 25.4.2019, Ra 2018/22/0177, Rn. 7, mwN). 10 Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner hervorgehoben, dass das Verwaltungsgericht insbesondere darzulegen hat, in welcher Weise der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht feststeht und inwiefern allenfalls erforderliche Ergänzungen nicht vom Verwaltungsgericht selbst vorzunehmen wären (vgl. hierzu VwGH 17.6.2019, Ra 2018/22/0058, Pkt. 5.2., mwN). Selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, rechtfertigen für sich allein keine Behebung und Zurückverweisung, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung zu vervollständigen sind (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/22/0186, Pkt. 7.2., mwN). 11 Das Verwaltungsgericht stützte die Behebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG darauf, dass das BFA den maßgeblichen Sachverhalt nur ansatzweise ermittelt, im Hinblick auf die Ausführungen des Mitbeteiligten zu seiner fortgeschrittenen Integration die erforderliche Befragung unterlassen und sich keinen persönlichen Eindruck vom Mitbeteiligten verschafft habe. Die Ermittlungslücken seien derart erheblich, dass zu deren Beseitigung weitere über eine mündliche Verhandlung hinausgehende Ermittlungsschritte zu setzen wären, welche durch das BFA rascher und effizienter durchgeführt werden könnten. Eine Nachholung des Ermittlungsverfahrens und erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht könne nicht im Sinn des Gesetzes liegen und würde das Rechtsschutzprinzip verletzen sowie eine Verkürzung des Rechtsweges zur Folge haben.

12 Dem angefochtenen Beschluss ist keine im Sinn der obigen Ausführungen nachvollziehbare Begründung dahingehend zu entnehmen, warum das Verwaltungsgericht eine meritorische Entscheidungskompetenz als nicht gegeben erachtete und weshalb die erforderlichen Ergänzungen nicht vom Verwaltungsgericht selbst hätten vorgenommen werden können. Die vom Verwaltungsgericht angeführten Integrationsschritte des Mitbeteiligten, welche nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes eine Neubeurteilung des Sachverhaltes ermöglichen könnten, wurden im verwaltungsbehördlichen Verfahren von der belangten Behörde festgestellt und im Rahmen der rechtlichen Beurteilung berücksichtigt. Angesichts dessen kann nicht gesagt werden, die belangte Behörde habe jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen oder lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt. Dass diese Ermittlungen nicht ausreichend sind, um eine etwaige Änderung des Sachverhaltes beurteilen zu können, hat das Verwaltungsgericht nicht nachvollziehbar dargelegt. Der bloße Hinweis auf erhebliche Ermittlungslücken ohne konkrete Ausführungen stellt keine den aufgezeigten Anforderungen entsprechende nachvollziehbare Begründung dar. Für den Verwaltungsgerichtshof ist mangels entsprechender Ausführungen im angefochtenen Beschluss nicht ersichtlich, welche konkreten Sachverhaltsfeststellungen im vorliegenden Fall fehlen bzw. für die hier vorzunehmende Beurteilung erforderlich wären. Zudem legte das Verwaltungsgericht nicht dar, weshalb allenfalls erforderliche Ermittlungsschritte nicht von ihm selbst vorzunehmen wären (vgl. hierzu VwGH 13.12.2018, Ra 2018/22/0049, Rn. 8, mwN). 13 Soweit das Verwaltungsgericht von der Notwendigkeit einer detaillierten Befragung zur Verschaffung eines persönlichen Eindrucks ausgeht, ist ihm entgegenzuhalten, dass es grundsätzlich immer auch Aufgabe des BVwG ist, sich vor Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Rahmen einer mündlichen Verhandlung selbst einen persönlichen Eindruck vom Fremden zu verschaffen, sofern nicht ausnahmsweise ein eindeutiger Fall gegeben ist. Von dieser Verpflichtung ist das BVwG auch dann nicht entbunden, wenn das BFA im erstinstanzlichen Verfahren eine persönliche Einvernahme durchgeführt hat; eine solche mag in vielen Fällen zweckmäßig sein, sie kann aber den persönlichen Eindruck des im Beschwerdeverfahren entscheidenden Richters nicht ersetzen. Es liegt daher - sofern nicht sonstige grobe Ermittlungsmängel vorliegen - im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 VwGVG, wenn das BVwG in Fällen, in denen es von der Notwendigkeit der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks ausgeht, die Einvernahme selbst in einer mündlichen Verhandlung durchführt (vgl. zu allem VwGH 25.9.2018, Ra 2017/21/0253, Rn. 15, mwN).

14 Demnach wäre es Sache des Verwaltungsgerichtes gewesen, die für notwendig erachtete Einvernahme des Mitbeteiligten zur Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung selbst nachzuholen und hierbei allenfalls die (nicht näher dargelegten) Ergänzungen des Sachverhaltes vorzunehmen. Die bloße Unterlassung der Einvernahme des Mitbeteiligten durch die belangte Behörde berechtigte das Verwaltungsgericht daher nicht zu einer Zurückverweisung der Angelegenheit nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG an die Verwaltungsbehörde.

15 Sofern das Verwaltungsgericht die Auffassung vertritt, dass eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht nicht im Sinn des Gesetzes sei, ist dem zu entgegen, dass einem solchen Verständnis die Anordnung des § 28 VwGVG mit seiner grundsätzlichen Verpflichtung zur Entscheidung in der Sache entgegensteht. Auch aus dem Hinweis betreffend die Verkürzung des Rechtsweges ist für den angefochtenen Beschluss nichts zu gewinnen, hat doch der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten, dass es der Zielsetzung des Gesetzgebers entspricht, einen neuerlichen Instanzenzug durch kassierende Entscheidungen des Verwaltungsgerichtes zu vermeiden (vgl. VwGH 26.3.2015, Ro 2015/22/0011, mwN, sowie VwGH Ro 2014/03/0063).

16 Soweit in der Revisionsbeantwortung zum Ausdruck gebracht wird, dem BFA sei mit der angefochtenen Entscheidung aufgetragen worden, anstelle einer Zurückweisung eine inhaltliche Entscheidung zu treffen, ist Folgendes anzumerken: Das Verwaltungsgericht verweist zwar an einer Stelle seiner Begründung darauf, dass eine Neubeurteilung des Sachverhaltes nicht ausgeschlossen werden könne, und äußert damit der Sache nach Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Zurückweisungsentscheidung des Revisionswerbers. Dem steht allerdings entgegen, dass das Verwaltungsgericht nach dem eindeutigen Spruch des angefochtenen Beschlusses den Zurückweisungsbescheid der belangten Behörde nicht im Wege einer negativen Sachentscheidung kassiert, sondern eine (davon zu unterscheidende) Behebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgenommen hat. Auch die Begründung des angefochtenen Beschlusses stellt vorwiegend auf - eine Behebung und Zurückverweisung rechtfertigende - krasse Ermittlungslücken ab. Wäre das Verwaltungsgericht der Auffassung gewesen, dass eine Zurückweisung nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 mangels Vorliegen der dafür normierten Voraussetzungen unzulässig gewesen wäre, hätte es - da die Sache des Verfahrens lediglich die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung war - den angefochtenen Bescheid im Wege einer "negativen" Sachentscheidung beheben müssen (vgl. zur Unterscheidung zwischen diesen Entscheidungsformen VwGH 4.7.2019, Ra 2017/06/0210, mwN).

17 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. 18 Bei diesem Ergebnis kommt ein Kostenzuspruch an den Mitbeteiligten nicht in Betracht.

Wien, am 14. November 2019

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