Normen
AVG §68 Abs1
BFA-VG 2014 §16 Abs2 Z1
BFA-VG 2014 §16 Abs4
EURallg
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1 idF 2015/I/070
VwGG §42 Abs2 Z1
VwRallg
32008L0115 Rückführungs-RL
32013L0032 IntSchutz-RL Art40 Abs5
32013L0032 IntSchutz-RL Art41 Abs1 lita
32013L0032 IntSchutz-RL Art41 Abs2 litc
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018210125.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise nach Österreich am 21. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 31. Oktober 2017 zur Gänze abgewiesen; unter einem erging gegen den Mitbeteiligten eine Rückkehrentscheidung samt Ausspruch gemäß § 52 Abs. 9 FPG, dass die Abschiebung nach Nigeria zulässig sei. Dieser Bescheid ist unbekämpft in Rechtskraft erwachsen. 2 Der in der Folge nach Deutschland weitergereiste Mitbeteiligte stellte nach seiner Rückkehr nach Österreich am 15. Jänner 2018 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des BFA vom 31. März 2018 - in Verbindung mit der neuerlichen Erlassung einer Rückkehrentscheidung - gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Für diesen Fall - wie schon an dieser Stelle anzumerken ist - bestimmt § 16 Abs. 2 Z 1 BFA-VG, dass einer dagegen erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zukommt, es sei denn, sie wird vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zuerkannt. Die gegen den genannten Bescheid dann vom Mitbeteiligten mit Schriftsatz vom 30. April 2018 erhobene Beschwerde wurde dem BVwG am 7. Mai 2018 vorgelegt.
3 Bereits davor, nämlich mit Mandatsbescheid des BFA vom 12. April 2018 war über den Mitbeteiligten gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung verhängt worden. Aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde verkündete das BVwG am Ende der mündlichen Verhandlung vom 25. April 2018 ein Erkenntnis, mit dem einerseits (Spruchpunkt A.I.) die Schubhaftbeschwerde als unbegründet abgewiesen und andererseits (Spruchpunkt A.II.) festgestellt wurde, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die maßgeblichen Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorlägen.
4 Der gegen dieses Erkenntnis (schon nach seiner mündlichen Verkündung erhobenen) Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Mai 2018, Ra 2018/21/0094-7, in Bezug auf Spruchpunkt A.II. die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Die diesbezügliche Begründung lautete:
"Der Antrag ist am Maßstab des Beschlusses VwGH 12.8.2016, Ra 2016/21/0251, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 und 9 VwGG verwiesen wird, berechtigt, weil die insoweit gebotene Vorprüfung eine vor dem Hintergrund der bisherigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auf der Hand liegende Rechtswidrigkeit des - als Titel für die derzeit am Revisionswerber vollzogene Schubhaft fungierenden - positiven Fortsetzungsausspruches ergibt.
Dem Revisionswerber kam nämlich aufgrund seines Asylfolgeantrags vom 15. Jänner 2018 gemäß § 12 Abs. 1 AsylG 2005 wieder faktischer Abschiebeschutz zu, der in dieser Konstellation nach innerstaatlichem Recht nur gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen vom BFA mit Bescheid hätte aberkannt werden können. Ein solcher Bescheid ist im gegenständlichen Fall unstrittig nicht ergangen. Die mit Bescheid vom 31. März 2018 (u.a.) erlassene Rückkehrentscheidung, gegen die dann mit Schriftsatz vom 30. April 2018 Beschwerde erhoben wurde, war aber im Hinblick auf die Anordnung des § 16 Abs. 4 zweiter Satz BFA-VG noch nicht durchführbar. Davon ausgehend galt auch noch im Zeitpunkt der Erlassung des in Rede stehenden Fortsetzungsausspruches am 25. April 2018 für den Revisionswerber die Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU ), sodass Schubhaft nach § 76 Abs. 2 Z 1 FPG gegen ihn nicht in Betracht kam (siehe zu einer insoweit vergleichbaren Konstellation VwGH 14.11.2017, Ra 2016/21/0219, mit Hinweis auf das grundlegende Erkenntnis VwGH 5.10.2017, Ro 2017/21/0009).
Darauf ist das BVwG - trotz einer diesbezüglichen Bezugnahme des Revisionswerbers im Rahmen des Beschwerdeverfahrens - in der protokollierten Begründung des angefochtenen Erkenntnisses, aber auch das BFA - trotz entsprechender Ausführungen in der Revision und zur Begründung des gegenständlichen Antrags - in der ihm dazu eingeräumten Stellungnahme vom heutigen Tag überhaupt nicht eingegangen. Dort argumentiert das BFA - in Verbindung mit dem Hinweis auf eine bestehende Fluchtgefahr und auf die für 7. Juni 2018 geplante Abschiebung des Revisionswerbers - damit, dass die im Asylfolgeverfahren mit Bescheid vom 31. März 2018 ergangene Rückkehrentscheidung mittlerweile (‚seit 15.05.2018') durchführbar sei. Das ändert allerdings nichts daran, dass der für die Aufrechterhaltung der Schubhaft aktuell als Titel dienende Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses evident rechtswidrig ist, sodass die darauf gegründete Haft, die ohne neuen Schubhaftbescheid nicht nachträglich konvalidieren kann (siehe aus der ständigen Rechtsprechung zum Schubhaftbescheid, die auch für den vom BVwG geschaffenen Hafttitel gilt, etwa VwGH 5.10.2017, Ro 2017/21/0007, Rn 12, mwN), zu beenden ist.
Dem Aufschiebungsbegehren war daher stattzugeben."
5 Im Hinblick auf diesen Beschluss wurde der Mitbeteiligte noch am 25. Mai 2018 zunächst enthaftet, allerdings sofort wieder festgenommen und gegen ihn neuerlich mit Mandatsbescheid des BFA gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung verhängt.
6 Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30. Mai 2018 mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 5. Juni 2018 unter Kostenzuspruch an den Mitbeteiligten statt; es hob den Schubhaftbescheid auf und stellte fest, die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen lägen nicht vor. Die (ordentliche) Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen vom Mitbeteiligten eine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:
8 Die Revision ist - wie sich aus den weiteren Ausführungen ergibt - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG zulässig und auch berechtigt. 9 Das BVwG begründete seine Entscheidung (nur) damit, dass sich der Sachverhalt seit der ersten Schubhaftverhängung nicht geändert habe. In Anbetracht der vom Verwaltungsgerichtshof im Beschluss vom 25. Mai 2018 vertretenen Rechtsauffassung erweise sich daher auch der gegenständlich in Beschwerde gezogene Mandatsbescheid als rechtswidrig. Die mit Bescheid des BFA vom 31. März 2018 erlassene Rückkehrentscheidung sei nicht durchsetzbar, weil das Verfahren über die dagegen erhobene Beschwerde beim BVwG noch anhängig sei, sodass ein konkreter "Sicherungsbedarf" nicht gegeben sei. Diesen Erwägungen komme auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG unverändert Geltung zu.
10 Bei der Annahme, die mit Bescheid des BFA vom 31. März 2018 erlassene Rückkehrentscheidung sei im Hinblick auf das beim BVwG anhängige Beschwerdeverfahren nicht durchsetzbar, unterstellte das BVwG offenbar, dass dieser Beschwerde ohne Weiteres die aufschiebende Wirkung zugekommen sei. Das war jedoch nicht der Fall, weil - wie schon erwähnt - gemäß § 16 Abs. 2 Z 1 BFA-VG der Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und diese mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist, die aufschiebende Wirkung nur dann zukommt, wenn sie vom BVwG zuerkannt wird. Daran knüpft die Regelung des § 17 Abs. 1 Z 1 BFA-VG an, wonach das BVwG in diesem Fall binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen bei Vorliegen dort näher genannter Voraussetzungen mit Beschluss die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen hat. Demzufolge ist gemäß § 16 Abs. 4 zweiter Satz BFA-VG - trotz der gemäß dem ersten Satz dieser Bestimmung gegebenen Durchsetzbarkeit der Entscheidung - mit der Durchführung der mit einer solchen Entscheidung verbundenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme umsetzenden Abschiebung bis zum Ende der Rechtsmittelfrist, wird ein Rechtsmittel ergriffen bis zum Ablauf des siebenten Tages ab Einlangen der Beschwerdevorlage, zuzuwarten.
11 Vor diesem rechtlichen Hintergrund macht die Amtsrevision geltend, dass sich der Sachverhalt - entgegen der Meinung des BVwG - nach Ablauf der Frist des § 16 Abs. 4 zweiter Satz BFA-VG maßgeblich geändert habe. Es verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die mit Bescheid des BFA vom 31. März 2018 erlassene durchsetzbare Rückkehrentscheidung, die mit der gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache vorgenommenen Zurückweisung des Asylfolgeantrags verbunden wurde, mit Ablauf des siebenten Tages nach der am 7. Mai 2018 erfolgten Vorlage der dagegen erhobenen Beschwerde, somit am 15. Mai 2018, auch durchführbar wurde. Damit stelle sich die vom Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung noch nicht ausdrücklich beantwortete Frage, ob in diesem Stadium Schubhaft gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG (idF des FrÄG 2015) hätte verhängt werden dürfen. Nach Auffassung des BFA sei dies der Fall, weil dem Mitbeteiligten im Hinblick auf die Durchsetzbarkeit und die Durchführbarkeit der Rückkehrentscheidung kein Aufenthaltsrecht mehr zukam und er damit nicht mehr in den Anwendungsbereich der Aufnahme-RL (Richtlinie 2013/33/EU ), sondern der Rückführungs-RL (Richtlinie 2008/115/EG ) gefallen sei. 12 Dieser Auffassung ist beizupflichten. Am Maßstab der dargestellten innerstaatlichen Rechtslage kam dem Mitbeteiligten weder im Zeitpunkt der gegenständlichen Schubhaftverhängung mit Bescheid des BFA vom 25. Mai 2018 noch im Zeitpunkt der Erlassung des Fortsetzungsausspruches mit Erkenntnis des BVwG vom 5. Juni 2018 ein Aufenthaltsrecht mehr zu. Davon ausgehend war die gegen ihn nunmehr verhängte Schubhaft an den Kautelen der Rückführungs-RL zu messen und demzufolge bei Verwirklichung des Schubhafttatbestandes des § 76 Abs. 2 Z 1 FPG (idF des FrÄG 2015) - das Vorliegen von Fluchtgefahr und Verhältnismäßigkeit der Haft vorausgesetzt - zulässig (zur unionsrechtlichen Abgrenzung siehe VwGH 5.10.2017, Ro 2017/21/0009, Punkt 2.4. der Entscheidungsgründe).
13 Dem steht das Erkenntnis VwGH 16.5.2019, Ra 2018/21/0177, in dem unter Bezugnahme auf das Erkenntnis VwGH 13.12.2018, Ro 2018/18/0008, am Maßstab der Verfahrens-RL (Richtlinie 2013/32/EU ) gefolgert wurde, es bedürfe - ungeachtet der innerstaatlichen Regelung des § 16 Abs. 4 zweiter Satz BFA-VG - für den Eintritt der Durchführbarkeit der Rückkehrentscheidung (jedenfalls) einer bestätigenden Entscheidung des BVwG über die Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung, nicht entgegen. Die genannten Erkenntnisse betrafen nämlich nicht den - hier vorliegenden - Fall der Stellung eines Asylfolgeantrags, der mangels Geltendmachung neuer Umstände wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG zurückgewiesen wurde. In dieser Konstellation lässt die Verfahrens-RL den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Regelung des Bleiberechts während des Verfahrens einen weiteren Spielraum, und zwar gemäß deren Art. 41 Abs. 1 lit a iVm Art. 40 Abs. 5 und Art. 41 Abs. 2 lit. c bei einem ersten Asylfolgeantrag dann, wenn der Antrag in Missbrauchsabsicht ("nur zur Verzögerung oder Behinderung der Durchsetzung einer Entscheidung, die zu ihrer unverzüglichen Abschiebung aus dem betreffenden Mitgliedstaat führen würde") gestellt wurde, was hier zwar ungeprüft blieb, aber gegenständlich indiziert sein könnte.
14 All das wurde vom BVwG bei seiner Entscheidung außer Acht gelassen, weshalb das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war. 15 Für das fortzusetzende Verfahren wird noch auf Folgendes Bedacht zu nehmen sein:
Der Mitbeteiligte macht in der Revisionsbeantwortung geltend, die ihm ausgehändigte Ausfertigung des Schubhaftbescheides vom 25. Mai 2018 habe weder die Unterschrift des Genehmigenden noch eine elektronische Amtssignatur oder die Beglaubigung der Kanzlei im Sinne des § 18 Abs. 4 AVG aufgewiesen, sodass die Erledigung schon deshalb nichtig sei. Dieses schon in der Beschwerde erstattete und im Schriftsatz vom 4. Juni 2018 ergänzte Vorbringen hielt das BVwG im angefochtenen Erkenntnis für nicht stichhältig, weil die dem BVwG "vorliegende Bescheidausfertigung sämtliche notwendigen Bescheidmerkmale aufweist". Damit bezieht sich das BVwG offenbar auf die in den vorgelegten Akten enthaltene, einseitig erstellte Kopie dieses Bescheides, die eine handschriftliche Unterschrift des Genehmigenden aufweist. In diesen Akten befindet sich aber (unmittelbar vor der Niederschrift über die Verhandlung am 30. Mai 2018) auch eine Ausfertigung des genannten Schubhaftbescheides, die eine nicht unterschriebene Fertigungsklausel enthält. Demzufolge könnte es sich bei dem erstgenannten Aktenbestandteil um die Kopie der gemäß § 18 Abs. 3 AVG unterschriebenen Urschrift und beim zweiten Schriftstück um eine entgegen § 18 Abs. 4 AVG nicht die Unterschrift des Genehmigenden oder die Beglaubigung der Kanzlei enthaltende Ausfertigung dieser Erledigung, wie sie auch dem Mitbeteiligten zugekommen sein könnte, handeln. Vor diesem Hintergrund greift die erwähnte Begründung des BVwG zu kurz; vielmehr hätte es näher ermitteln müssen, ob dem Mitbeteiligten - wie von ihm vorgebracht - eine solche, nicht unterfertigte Ausfertigung zugestellt wurde (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation VwGH 23.3.2017, Ra 2016/21/0236).
Wien, am 16. Mai 2019
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