Normen
BFA-VG 2014 §21 Abs7
MRK Art6
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §24
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018190656.L00
Spruch:
Das Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist ein Staatsangehöriger von Somalia und stammt aus Mogadischu. Er stellte am 21. April 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Mit Erkenntnis vom 22. August 2017 wies das auf Grund einer Säumnisbeschwerde zuständig gewordene Bundesverwaltungsgericht (BVwG) den Antrag des Revisionswerbers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.
3 Hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten stellte das BVwG fest, der Revisionswerber würde im Fall einer Rückkehr nach Somalia auf Grund der anhaltenden instabilen und prekären Sicherheits- und Menschenrechtslage sowie der schwierigen allgemeinen Versorgungslage infolge der seit Monaten bestehenden Dürresituation Gefahr laufen, in eine existenzgefährdende Notlage zu geraten; ihm wäre die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen. 4 Mit Bescheid vom 27. Juli 2018 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen ab, entzog ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung, wies seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig sei und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
5 Begründend führte das BFA aus, die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten würden nicht mehr vorliegen. Die Versorgungs- und Dürresituation habe sich nachhaltig geändert. Aus Länderinformationen ergebe sich u. a., dass in Mogadischu unzählige humanitäre Hilfsorganisationen tätig seien, die Hilfe und Unterstützung anbieten würden, und dass es ein ohne Bedingungen ausgegebenes Rückkehrpaket vom UNHCR gebe. Der Revisionswerber sei keinem höheren Risiko einer realen Gefahr ausgesetzt als die restliche Bevölkerung. Er sei arbeitsfähig, habe Schulbildung und Berufserfahrung sowie berufstätige Verwandte in Mogadischu, zu denen er zuletzt Ende des Jahres 2017 Kontakt gehabt habe, und bei denen er Unterstützung und eine Unterkunft finden würde. Seine Verwandten seien nach seinen Angaben von der Dürre und der schlechten Versorgungslage nicht betroffen gewesen. Er könne seinen Lebensunterhalt durch selbstständige Arbeit decken und somit auch Grundbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft befriedigen. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Revisionswerber im Fall einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Notlage geraten werde.
6 In der dagegen erhobenen Beschwerde brachte der Revisionswerber vor, die vom BFA zitierten Länderinformationen würden zwar von einer "Entspannung" in Bezug auf die Ernährungssicherheit sprechen. In Somalia herrsche aber auf Grund jahrelanger Dürre und gerade erst bewältigten Starkregens mit großflächigen Überschwemmungen eine noch immer extreme Hungerkrise. Die Versorgungslage in Mogadischu habe sich nicht verbessert, sondern sogar verschlechtert. Unter Berufung auf näher genannte Länderinformationen führte der Revisionswerber zum einen aus, dass er nicht ohne weiteres Unterstützung durch humanitäre Organisationen erhalten könne, da die internationale Hilfe teilweise nicht bei den Betroffenen ankomme und das "return package" des UNHCR nicht ausreiche, um sich eine Existenz aufzubauen. Zum anderen wies er darauf hin, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Mogadischu bei über 67% liege und der Arbeitsmarkt für manuelle Tätigkeiten übersättigt sei. Der Revisionswerber und seine Familie verfügten nicht über die notwendigen Verbindungen, um Arbeit oder Hilfe zu erlangen. Er habe seine Familie aus Österreich finanziell unterstützt, ihre derzeitige Situation sei ihm nicht bekannt.
7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. 8 Beweiswürdigend führte das BVwG aus, infolge vermehrter Regenfälle habe sich zuletzt eine Verbesserung bei der Nahrungsmittelsicherheit abgezeichnet. Das Risiko einer Hungersnot sei durch die niederschlagsreiche Regenzeit reduziert worden, die Lebensmittelpreise hätten begonnen, sich auf Normalwerte einzupendeln. Wenn auch eine unverändert angespannte Versorgungssituation in Mogadischu nicht bestritten werde, gehöre der Revisionswerber als alleinstehender, junger, gesunder Mann ohne Sorgepflichten keiner vulnerablen Personengruppe an. Er verfüge in Mogadischu nach wie vor über enge familiäre Anknüpfungspunkte, welche ihn im Fall einer Rückkehr zumindest anfänglich unterstützen könnten. Der Revisionswerber sei arbeitsfähig und arbeitswillig und könne alleine für seinen Lebensunterhalt aufkommen. Der Revisionswerber habe im Aberkennungsverfahren nicht die Befürchtung geäußert, im Fall einer Rückkehr nach Mogadischu über keine Lebensgrundlage zu verfügen oder in eine ausweglose Lebenssituation zu geraten. Vielmehr habe er angegeben, dass weder er selbst im Vorfeld seiner Ausreise, noch seine nach wie vor in Mogadischu aufhältigen Familienangehörigen von der durch die Dürresituation bedingten Versorgungsknappheit unmittelbar betroffen gewesen wären. In Mogadischu sei eine Vielzahl an Hilfsorganisationen tätig, welche Unterstützung in unterschiedlichen Bereichen anbieten würden. Üblicherweise hätten Rückkehrer in Mogadischu guten Zugang zu Geldleistungen oder sonstiger Hilfe von Hilfsagenturen. 9 Die für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ausschlaggebenden Umstände - die fragile Sicherheitslage in Zusammenschau mit der damaligen Dürreperiode sowie der prekären Versorgungslage - hätten sich daher so maßgeblich verändert, dass der Revisionswerber unter Berücksichtigung seiner individuellen Umstände nicht mehr Gefahr laufe, einen ernsthaften Schaden im Fall seiner Rückführung nach Mogadischu zu erleiden.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
11 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit u.a. vor, es fehle Rechtsprechung zur unionsrechtlichen Vorgabe der "wesentlich und nicht nur vorübergehend" veränderten Umstände gemäß Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (StatusRL). Die Annahme des BVwG, der Revisionswerber habe zu keinem Zeitpunkt die Befürchtung geäußert, im Fall einer Rückkehr nach Mogadischu über keine Lebensgrundlage zu verfügen, sei aktenwidrig. Die Einvernahme vor dem BFA sei mangelhaft gewesen und der entscheidungswesentliche Sachverhalt daher mangelhaft geblieben, sodass das BVwG nicht von der beantragten mündlichen Verhandlung absehen hätte dürfen.
12 Die Revision ist zulässig und begründet.
13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich:
14 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 12.12.2018, Ra, 2018/19/0560, mwN).
15 Diese Voraussetzungen lagen im vorliegenden Fall nicht vor. Der Revisionswerber hat in seiner Beschwerde die Feststellungen des BFA - wie dargelegt - nicht blo�� unsubstantiiert bestritten. Er hat insbesondere unter Heranziehung zusätzlicher Länderinformationen in Zweifel gezogen, dass er Hilfe internationaler Organisationen bzw. Rückkehrhilfe tatsächlich erlangen könnte und dass es ihm gelingen würde, Arbeit zu finden, um seinen Lebensunterhalt selbstständig zu decken.
16 Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und - wie hier gegeben - des Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0586, mwN).
17 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne dass auf das weitere Zulässigkeitsvorbringen der Revision einzugehen gewesen wäre.
18 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 23. Oktober 2019
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