VwGH Ra 2018/18/0544

VwGHRa 2018/18/05441.2.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision

1. der M H, 2. des H R, 3. des A R und 4. der M R, alle in V und vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. November 2018, Zlen. W261 2193094-1/6E, W261 2193162-1/6E, W261 2193160-1/6E, W261 2193163-1/5E, betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §3 Abs1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018180544.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Revisionswerber sind afghanische Staatsangehörige und Mitglieder einer Familie. Die Erstrevisionswerberin und der Zweitrevisionswerber sind Ehegatten, der Drittrevisionswerber und die Viertrevisionswerberin sind deren minderjährige Kinder im Alter von sechs bzw. einem Jahr.

2 Sie beantragten am 24. November 2015 (für die erst- bis drittrevisionswerbenden Parteien) und am 28. Dezember 2017 (für die Viertrevisionswerberin) internationalen Schutz.

3 Mit Bescheiden vom 20. März 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der revisionswerbenden Parteien in Bezug auf den begehrten Status von Asylberechtigten ab, erkannte ihnen aber den Status von subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihnen befristete Aufenthaltsberechtigungen.

4 Die dagegen erhobene gemeinsame Beschwerde der revisionswerbenden Parteien wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

5 Begründend führte das BVwG u.a. aus, die revisionswerbenden Parteien hätten in Afghanistan keine Verfolgung aus politischen, religiösen oder ethnischen Gründen zu erwarten. Soweit sie sich darauf stützten, dass die Erstrevisionswerberin aufgrund ihrer "westlichen Lebenseinstellung" asylrelevant gefährdet wäre, sei dem - mit näherer Begründung - entgegenzuhalten, dass die Erstrevisionswerberin seit ihrer Einreise nach Österreich im November 2015 keine "westliche" Lebensweise angenommen habe, die einen wesentlichen bzw. nachhaltigen Bestandteil ihrer Identität und einen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichreligiösen Werten in Afghanistan darstellen würde.

6 Gegen diese Entscheidung wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit geltend gemacht wird, die Feststellungen des BVwG zur mangelnden "westlichen" Lebenseinstellung der Erstrevisionswerberin seien "haltlos" und würden das Vorbringen der Erstrevisionswerberin nicht im gesamten Umfang berücksichtigen.

Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

9 Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

10 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden. Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Verfolgung vom Heimatstaat ausgeht. Auch eine private Verfolgung kann insoweit maßgeblich sein, als der Heimatstaat nicht gewillt oder in der Lage ist, Schutz vor solcher Verfolgung zu gewähren (vgl. VwGH 22.3.2017, Ra 2016/18/0388, mit weiteren Nachweisen).

11 Nicht entscheidend ist, ob die Asylwerberin schon vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat eine derartige Lebensweise gelebt hatte bzw. deshalb bereits verfolgt worden ist. Es reicht vielmehr aus, dass sie diese Lebensweise im Zuge ihres Aufenthalts in Österreich angenommen hat und bei Fortsetzung dieses Lebensstils im Falle der Rückkehr mit Verfolgung rechnen müsste (vgl. etwa VwGH 6.7.2011, 2008/19/0994 bis 1000).

12 Nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte, führt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber dazu, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden muss. Entscheidend ist vielmehr eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Asylwerberin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0301 bis 0306).

13 Im vorliegenden Fall hat das BVwG eine solche grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Erstrevisionswerberin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte, verneint. Es hat dazu eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der es sich einen persönlichen Eindruck von der Erstrevisionswerberin machen konnte, und es hat seine Erwägungen in einer ausführlichen Beweiswürdigung (Seiten 20 bis 24 des Erkenntnisses) dargelegt.

14 Der Revision gelingt es vor diesem Hintergrund nicht darzulegen, dass die Beweiswürdigung des BVwG unvertretbar wäre und damit eine revisible Rechtsfrage begründen würde (vgl. zum diesbezüglichen Prüfmaßstab etwa VwGH 6.11.2018, Ra 2018/18/0213, mit weiteren Nachweisen).

15 Die Revision war daher wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG zurückzuweisen. Wien, am 1. Februar 2019

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