VwGH Ra 2018/08/0223

VwGHRa 2018/08/022329.1.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des Arbeitsmarktservice Wien Johnstraße gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. September 2018, Zl. W228 2202649-1/3E, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Wien; mitbeteiligte Partei: S P in W), zu Recht erkannt:

Normen

VwGVG 2014 §14;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018080223.L00

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 19. Februar 2018 sprach die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) gemäß § 38 iVm § 10 AlVG aus, dass die Mitbeteiligte für den Zeitraum 16. Jänner bis 26. Februar 2018 ihren Anspruch auf Notstandshilfe verloren habe, weil sie das Zustandekommen einer vom AMS zugewiesenen zumutbaren Beschäftigung mit möglichem Arbeitsbeginn am 17. Jänner 2018 vereitelt habe.

2 Die Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde und brachte vor, dass sie sich sehr wohl um für sie geeignete Arbeitsplätze "umgesehen" und bereits Anfang Jänner eine (zunächst geringfügige) Beschäftigung im Bekanntenkreis in Aussicht gehabt habe. Da ihr Hauptaugenmerk auf dieser Stelle gelegen sei, habe sie sich um die vom AMS zugewiesene Stelle nicht beworben. Außerdem sei sie in einem schlechten "psychischen Gemütszustand" und habe Probleme wie immer wieder auftretende Migräneanfälle, Schlaf-, Konzentrations- und Verdauungsstörungen. Sie habe deshalb einen mittlerweile von der Pensionsversicherungsanstalt bewilligten Kuraufenthalt beantragt. Für eine weitere vom AMS zugewiesene Stelle habe sie sich aber sofort (erfolglos) beworben. Schließlich brachte sie - wie auch schon in der mit dem AMS aufgenommenen Niederschrift - vor, dass sie immer wieder technische Probleme mit ihren "Uralt-Geräten" habe, was ihr den Zugriff auf ihre Bewerbungsunterlagen erschwere. Sie sei aber weiter gewillt, aktiv an der Arbeitssuche und -vermittlung teilzunehmen.

3 Das AMS leitete daraufhin eine ärztliche Untersuchung in die Wege, um abzuklären, ob der Mitbeteiligten die angebotene Stelle gesundheitlich zumutbar gewesen wäre. Der Untersuchungstermin kam jedoch wegen eines Krankenstandes der Mitbeteiligten nicht zustande.

4 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 9. Mai 2018 wies das AMS die Beschwerde als unbegründet ab. Begründend wurde ausgeführt, dass sich die Mitbeteiligte um die ihr zugewiesene Stelle als Reiseveranstalterfachkraft nicht beworben habe. Die geltend gemachten technischen Probleme wären dem AMS sofort rückzumelden gewesen; außerdem wäre auch eine Bewerbung per Post oder in einer Informationszone des AMS möglich gewesen. Die Beschäftigung, um die sich die Mitbeteiligte bemüht habe, wäre wegen der Geringfügigkeit nicht geeignet gewesen, die Arbeitslosigkeit zu beenden. Die Kur sei im Jänner noch nicht geplant gewesen. Den angebotenen Termin zwecks Abklärung der gesundheitlichen Einschränkungen habe die Mitbeteiligte nicht wahrgenommen. Ein Angebot ihrer Beraterin, sie wegen ihrer Probleme kurzfristig aus der Vermittlung zu nehmen, habe sie nach ihrem eigenen Vorbringen abgelehnt, weil sie sich rasch wieder in den Arbeitsmarkt integrieren wolle. Die angebotene Stelle sei laut den geforderten Kenntnissen und den Angaben der Mitbeteiligten jedenfalls zumutbar gewesen.

5 Die Mitbeteiligte stellte einen Vorlageantrag. 6 Mit dem angefochtenen Beschluss behob das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG den angefochtenen Bescheid und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides zurück.

7 Begründend führte es aus, dass die Mitbeteiligte in der Beschwerde gesundheitliche Probleme genannt habe. Das AMS habe eine Zubuchung zum BBRZ (Berufliches Bildungs- und Rehabilitationszentrum) zur Klärung der Zumutbarkeit der zugewiesenen Stelle vorgenommen. Es sei sohin offensichtlich, dass das AMS Zweifel an der Erfüllung der Zumutbarkeitskriterien gehabt habe. In weiterer Folge sei es jedoch unterlassen worden, die Mitbeteiligte zum BBRZ vorzuladen, zumal sie den "möglichen Einladungstermin" am 18. April 2018 auf Grund eines Krankenstandes nicht habe wahrnehmen können. Schließlich habe das AMS eine Beschwerdevorentscheidung erlassen, ohne die Mitbeteiligte zur Untersuchung geschickt zu haben. Aus den dargelegten Gründen sei davon auszugehen, dass das AMS notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen und versucht habe, die Untersuchung an das Bundesverwaltungsgericht zu delegieren. Im Hauptverfahren vor Erlassung des Erstbescheids habe das AMS gar keine Ermittlungen zum Gesundheitszustand der Mitbeteiligten und zur Zumutbarkeit der zugewiesenen Stelle vorgenommen, sodass ihm im Beschwerdevorentscheidungsverfahren "die Zeit ausgegangen" sei. Anstelle der "Behebung der eigenen Entscheidung und Zurückverweisung zu weiteren Ermittlungen" habe das AMS gegen die Mitbeteiligte entschieden. Auch an "diesem Zeitnotstand" sei erkennbar, dass die Absicht der Delegierung der Ermittlungsschritte an das Bundesverwaltungsgericht vorgelegen sei. Im fortgesetzten Verfahren werde das AMS die Mitbeteiligte zum BBRZ vorzuladen und auf Grund der Ergebnisse dieser Untersuchung einen neuen Bescheid zu erlassen haben.

8 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision des AMS, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem die Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, erwogen hat:

9 Das AMS bringt unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG vor, dass das Bundesverwaltungsgericht in Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Ermittlungsmängel angenommen habe, die eine Vorgangsweise nach § 28 Abs. 3

2. Satz VwGG rechtfertigten.

10 Damit ist das AMS im Recht, weshalb sich die Revision als zulässig und berechtigt erweist.

11 Das Bundesverwaltungsgericht hat Ermittlungsmängel darin erblickt, dass eine Abklärung des Gesundheitszustands der Mitbeteiligten unterblieben sei. Dies war aber - mag das AMS vor Erlassung der Beschwerdevorentscheidung auch selbst zunächst vom Gegenteil ausgegangen sein - gar nicht erforderlich. Die Mitbeteiligte hat gegenüber dem AMS zwar gewisse gesundheitliche Einschränkungen wie wiederkehrende Migräneanfälle und Verdauungsstörungen genannt, aber niemals generell ihre Arbeitsfähigkeit oder die konkrete Zumutbarkeit der angebotenen Stelle in Frage gestellt, sondern der Sache nach nur mögliche Nachsichtsgründe im Sinn des § 10 Abs. 3 AlVG geltend gemacht. Angesichts der Art der gesundheitlichen Probleme und der angebotenen Tätigkeit als Reiseveranstalterfachkraft kann auch keine Rede davon sein, dass eine Unzumutbarkeit der zugewiesenen Stelle - trotz Fehlens eines entsprechenden Vorbringens - von vornherein evident gewesen wäre. Ausgehend davon konnte von der Mitbeteiligten aber jedenfalls verlangt werden, sich um die Stelle zu bewerben und weitere Details gegebenenfalls in einem Vorstellungsgespräch zu klären (vgl. zuletzt VwGH 19.12.2018, Ra 2018/08/0210, mwN).

12 Im Übrigen ist das Bundesverwaltungsgericht noch darauf hinzuweisen, dass die Behörde im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung nicht mit einer Behebung und Zurückverweisung "an sich selbst" vorgehen kann (vgl. in diesem Sinn auch BVwG 20.9.2016, W128 2118496-1). Gemäß § 14 VwGVG besteht nur die Möglichkeit, den angefochtenen Bescheid "aufzuheben, abzuändern oder die Beschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen"; von einer Zurückverweisung - mit der die Behörde letztlich die Frist von zwei Monaten zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung umgehen könnte - ist nicht die Rede, sodass eine Aufhebung mit Beschwerdevorentscheidung nur eine ersatzlose Aufhebung sein kann.

13 Der angefochtene Beschluss war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 29. Jänner 2019

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