VwGH Ra 2018/08/0210

VwGHRa 2018/08/021019.12.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des G G in M, vertreten durch die Freimüller Obereder Pilz Rechtsanwält_innen GmbH in 1080 Wien, Alser Straße 21, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Juli 2018, Zl. W218 2135511-1/6E, betreffend Verlust des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Gänserndorf), den Beschluss gefasst:

Normen

VwGVG 2014 §10;
VwGVG 2014 §15;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018080210.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des 1958 geborenen Revisionswerbers gegen den Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Gänserndorf (im Folgenden: AMS) vom 10. Juni 2016, mit dem gemäß § 10 AlVG der Verlust des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für den Zeitraum 14. Mai 2016 bis 27. Juni 2016 ausgesprochen worden war, als unbegründet ab.

2 Es stellte fest, dass der Revisionswerber als Disponent und Logistikleiter beschäftigt gewesen sei. Er sei zuletzt vom 1. Februar 2008 bis zum 30. September 2015 vollversicherungspflichtig als Lagerlogistiker beschäftigt gewesen. Seit dem 5. Oktober 2015 beziehe er Arbeitslosengeld.

3 Am 5. Mai 2016 sei ihm ein Stellenangebot als Lagerlogistiker zugewiesen worden. Laut diesem - vom Bundesverwaltungsgericht wiedergegebenen - Angebot eines Arbeitskräfteüberlassers wurde ein "marktkonformes Gehalt" in Höhe von EUR 1.850,-- bis EUR 2.050,-- monatlich je nach konkreter Qualifikation und Berufserfahrung geboten, wobei ausdrücklich die Bereitschaft zur Überzahlung erklärt wurde.

4 Der Revisionswerber habe, so das Bundesverwaltungsgericht weiter, per E-Mail eine Bewerbung mit folgendem Wortlaut übermittelt:

"(...) habe soeben über AMS Wien ihr Angebot über einen Lagerlogistiker bekommen.

Aufgrund meines Alters und div. Schulungen inkl. Zertifikate erwarte ich mir ein Grundgehalt von 3.500 Euro (wie zuletzt bezogen).

Sollten Sie an weiteren Informationen interessiert sein, ersuche ich um Kontaktaufnahme unter: (...)"

5 In der Einvernahme vor dem AMS habe der Revisionswerber vorgebracht, dass er körperlich nicht mehr so belastbar sei und gerne eine qualifiziertere Tätigkeit mit mehr Verantwortung suchen würde. Erst im Vorlageantrag habe er geltend gemacht, dass die Entlohnung unter dem Kollektivvertragsniveau sei und deswegen die Zuweisung nicht zumutbar gewesen sei.

6 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass das Verhalten des Revisionswerbers für das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses ursächlich gewesen sei. Es sei ihm auch bewusst gewesen, dass durch seine minimalistische Bewerbung die Vereinbarung eines Vorstellungsgesprächs sehr unwahrscheinlich sei. Er habe daher vorsätzlich gehandelt.

7 Die angebotene Stelle sei zumutbar gewesen. Ein Berufsschutz oder individueller Entgeltschutz komme dem Revisionswerber nicht mehr zu. Die gesundheitlichen Probleme und das Argument der unterkollektivvertraglichen Entlohnung habe der Revisionswerber erstmals im Vorlageantrag geäußert. Das Begehren im Vorlageantrag dürfe aber nur darauf gerichtet sein, dass die ursprüngliche Beschwerde dem Verwaltungsgericht vorgelegt werde. "Daher" seien "Neuerungen in der Beschwerdevorlage" nicht zu behandeln, da sie nicht Gegenstand des Ermittlungsverfahrens bei der Erlassung des ursprünglichen Bescheides gewesen seien.

8 Dennoch werde angemerkt, dass der Kollektivvertrag für Angestellte in Spedition und Logistik für das Jahr 2016 in der Beschäftigungsgruppe A ein Einstiegsgehalt von EUR 1.687,80 bis EUR 2.085,20 vorsehe. Aufgrund der Stellenbeschreibung sei nicht ersichtlich, in welcher Beschäftigungsgruppe die ausgeschriebene Tätigkeit einzureihen sei; daher sei die Annahme, dass die kollektivvertragliche Entlohnung nicht gewährleistet sei, zu kurz gegriffen.

9 In der Beweiswürdigung führte das Bundesverwaltungsgericht zu diesem Gesichtspunkt außerdem aus, dass eine weitere Prüfung, ob das angebotene Gehalt dem kollektivvertraglichen Mindestentgelt entspreche, unterbleiben könne, weil der Revisionswerber durch sein Verhalten dafür gesorgt habe, dass er keinesfalls zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen werde, bei dem allfällige Gehaltswünsche besprochen werden hätten können. Die nachträgliche Behauptung, dass das angebotene Gehalt unter dem Kollektivvertrag liege, werde als Schutzbehauptung gewertet, da allein aufgrund der kurz gefassten Stellenausschreibung nicht auf den anzuwendenden Kollektivvertrag geschlossen werden könne.

10 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

11 Nach dieser Verfassungsbestimmung ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

12 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

13 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

14 Unter diesem Gesichtspunkt bringt der Revisionswerber vor, dass das Bundesverwaltungsgericht zu Unrecht davon ausgehe, dass neues Vorbringen im Vorlageantrag nicht zu berücksichtigen sei.

15 Das trifft zwar zu: Da im Beschwerdeverfahren nach dem VwGVG insgesamt kein Neuerungsverbot besteht, ist es auch nicht unzulässig, zur - der beschwerdeführenden Partei freistehenden - Begründung des Vorlageantrags neue Argumente und Tatsachen anzuführen.

16 Allerdings lagen auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Vorlageantrag keine Umstände vor, die die angebotene Stelle von vornherein als evident unzumutbar hätten erscheinen lassen, sodass der Revisionswerber nicht einmal zu einer weiteren Klärung in einem Vorstellungsgespräch verpflichtet gewesen wäre (vgl. dazu etwa VwGH 9.6.2015, Ra 2015/08/0004, mwN).

17 Was die Frage der angemessenen Entlohnung betrifft, so hat sich aus der Stellenausschreibung nicht eindeutig ergeben, dass es sich - wie der Revisionswerber meint - um eine Tätigkeit gehandelt hat, die der Verwendungsgruppe IV des Kollektivvertrags für die Angestellten im Handwerk und Gewerbe, in der Dienstleistung, in Information und Consulting unterliegt; dort wird zwar als Beispiel für die Verwendungsgruppe IV der Beruf "LogistikerIn" genannt, nach der Tätigkeitsumschreibung im vorliegenden Stelleninserat könnte es sich aber - ausgehend von der Anwendbarkeit dieses Kollektivvertrags - dennoch um die Tätigkeit eines Angestellten der Verwendungsgruppe III gehandelt haben, der "nach allgemeinen Richtlinien und Weisungen technische oder kaufmännische Arbeiten im Rahmen des (ihm) erteilten Auftrages selbständig erledigt(t)"; für diese Verwendungsgruppe war im Jahr 2016 ein Mindestgrundgehalt von EUR 1.761,69 vorgesehen. Außerdem wurde im Stelleninserat ausdrücklich auf die Bereitschaft zur Überzahlung hingewiesen, sodass schon deswegen nicht jedenfalls eine unterkollektivvertragliche Bezahlung unterstellt werden durfte.

18 Anders als der Revisionswerber meint, stand der Zumutbarkeit der angebotenen Beschäftigung auch nicht der individuelle Entgeltschutz entgegen. Zwar galt für ihn - entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts, das die zeitlichen Voraussetzungen des § 9 Abs. 3 2. Satz AlVG verneint, die Bedingungen des § 9 Abs. 3 3. Satz AlVG hingegen gar nicht geprüft hat - grundsätzlich der Entgeltschutz nach der zuletzt genannten Regelung. Das sozialversicherungspflichtige Entgelt einer Beschäftigung in einem anderen Beruf (oder einer Teilzeitbeschäftigung) musste daher mindestens 75% des der letzten Bemessungsgrundlage für das Arbeitslosengeld entsprechenden Entgelts betragen. Bei der laut Stelleninserat angebotenen Tätigkeit als Lagerlogistiker handelte es sich aber (wie schon das AMS in der Beschwerdevorentscheidung ausgeführt hat) um keine Tätigkeit in einem anderen Beruf als jenem, in dem der Revisionswerber als Lagerleiter bisher - wenn auch in anderer Position - beschäftigt gewesen war, mag der Lagerlogistiker auch, wie der Revisionswerber vorbringt, "mehr administrative Aufgaben zu erfüllen und wenig Kontakt mit anderen Abteilungen" haben.

19 Der Revisionswerber brachte auch vor, dass ihm die angebotene Beschäftigung aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar gewesen sei, und legte dazu im Beschwerdeverfahren den fachärztlichen Befund eines Orthopäden vor, wonach für ihn kein Heben über 10 kg in Betracht komme. Die angebotene Beschäftigung umfasste laut Stelleninserat u.a. das "Be- und Entladen von LKWs", sodass die gesundheitliche Eignung des Revisionswerbers im Hinblick auf die von ihm behaupteten "Abnützungserscheinungen" fraglich sein konnte; allerdings hatte schon das AMS erhoben, dass besondere körperliche Belastungen durch die Verwendung einer "Ameise" ausgeschlossen waren. Die Unzumutbarkeit aus gesundheitlichen Gründen lag damit jedenfalls nicht so evident auf der Hand, dass vom Revisionswerber nicht eine Klärung der konkreten Umstände der Tätigkeit in einem Vorstellungsgespräch erwartet werden konnte.

20 Auch wenn sich das Bundesverwaltungsgericht - in Verkennung der Rechtslage - mit diesem Themenbereich überhaupt nicht befasst hat, hatte diese Unterlassung daher keine Auswirkung auf den Ausgang des Verfahrens.

21 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 19. Dezember 2018

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