Normen
AsylG 2005 §10;
AsylG 2005 §13 Abs2;
FNG 2014;
FrÄG 2011;
FrPolG 2005 §120 Abs1a;
FrPolG 2005 §120;
FrPolG 2005 §125 Abs3;
FrPolG 2005 §39 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §41a;
FrPolG 2005 §52;
FrPolG 2005 §53;
FrPolG 2005 §54 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §54 Abs9 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §54;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018210018.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit es die zugrunde liegende Beschwerde zurückweist, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und im Übrigen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber reiste erstmals 2005 nach Österreich ein und stellte hier - unter falscher Identität und mit der Behauptung, er sei Staatsangehöriger von Kamerun - einen Asylantrag. Das darüber zu führende Verfahren wurde in der Folge noch vor Ergehen eines Bescheides wegen Abwesenheit des Revisionswerbers im März 2006 eingestellt.
2 Mittlerweile war der Revisionswerber wegen der Begehung von Vergehen nach dem SMG zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten (unbedingter Strafteil ein Monat) verurteilt worden, was noch im Herbst 2005 zur Verhängung eines zehnjährigen Aufenthaltsverbotes geführt hatte.
3 Der Revisionswerber verließ Österreich und erhielt in der Folge die spanische Staatsbürgerschaft. Im Besitz seines spanischen Reisepasses reiste er am 5. Oktober 2013 mit dem Flugzeug nach Wien-Schwechat, wo er noch auf dem Flughafen einer Personenkontrolle unterzogen wurde. Eine Überprüfung seiner Dokumente (insbesondere des biometrischen Reisepasses) ergab deren Echtheit. Ein Datenabgleich brachte dann allerdings zu Tage, dass der Revisionswerber 2005 unter einer Alias-Identität einen Asylantrag gestellt hatte und dass gegen ihn unter dieser Identität ein Aufenthaltsverbot erlassen worden war. Im Hinblick darauf wurde er von den einschreitenden Organen der Landespolizeidirektion Niederösterreich (LPD) nach § 39 Abs. 1 Z 1 FPG - gemäß einem darüber angelegten Aktenvermerk am 5. Oktober 2013 um 23.50 Uhr - festgenommen und bis zum Ende seiner niederschriftlichen Einvernahme am Vormittag des 6. Oktober 2013 angehalten. Nach seiner Entlassung verließ der Revisionswerber Österreich auf dem Luftweg.
4 In der Folge erhob er allerdings Beschwerde gegen die behördlichen Maßnahmen und beantragte, seine Festnahme, die nachfolgende Anhaltung sowie seine - behauptetermaßen nach der niederschriftlichen Befragung am 6. Oktober 2013 erfolgte - Zurückweisung für rechtswidrig zu erklären.
5 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 9. Oktober 2017 wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) - unter Kostenzuspruch an den Bund - diese Beschwerde, soweit sie sich gegen eine Zurückweisung richtete, als unzulässig zurück und soweit sie Festnahme und Anhaltung bekämpfte, als unbegründet ab. Außerdem sprach das LVwG aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.
6 Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Einleitung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen die LPD eine Revisionsbeantwortung erstattete, erwogen:
7 Die Revision ist, wie sich aus dem Nachfolgenden ergibt, zulässig und berechtigt.
8 1. Die Unzulässigkeit der erhobenen Maßnahmenbeschwerde im Punkt Zurückweisung des Revisionswerbers begründete das LVwG damit, dass gar keine Zurückweisung erfolgt sei, sodass es an einem Anfechtungsgegenstand fehle. Dem liegt die Feststellung zu Grunde, der Revisionswerber habe nach Beendigung seiner Einvernahme am 6. Oktober 2013 Österreich auf eigenen Wunsch "als Selbstzahler" verlassen; eine Zurückweisung "in ein Schengen Mitgliedsland" sei nicht ausgesprochen worden.
9 Mit diesen Feststellungen folgte das LVwG der Darstellung in der zur Maßnahmenbeschwerde des Revisionswerbers erstatteten Stellungnahme der LPD. Diese Stellungnahme war dem Revisionswerber, wie er zutreffend geltend macht, aber nicht zur Kenntnis gebracht worden. Insofern hat das LVwG sein Recht auf Parteiengehör verletzt. Die darin zu erblickende wesentliche Missachtung von Verfahrensvorschriften ist vor dem Hintergrund des nunmehr in der Revision erstatteten Vorbringens, dem Revisionswerber sei gesagt worden, er dürfe nicht einreisen und solle sich ein Ticket zum Wegfliegen kaufen, welcher Aufforderung er aus Angst vor längerer Inhaftierung nachgekommen sei, relevant. Bei Zutreffen dieses Vorbringens wäre nämlich von einer Zurückweisung des Revisionswerbers auszugehen. Soweit das LVwG demgegenüber die zugrunde liegende Maßnahmenbeschwerde im Punkt Zurückweisung mangels Vorliegens eines tauglichen Anfechtungsgegenstandes als unzulässig zurückwies, war sein Erkenntnis daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
10 2. Betreffend die Festnahme des Revisionswerbers am 5. Oktober 2013 und die daran anschließende Anhaltung ging das LVwG davon aus, dass der begründete Verdacht einer Übertretung nach § 120 Abs. 1a FPG (rechtswidriger Aufenthalt im Bundesgebiet) bestanden habe. Das begründete das LVwG zusammenfassend damit, dass im Zeitpunkt der versuchten Einreise am 5. Oktober 2013 "ein gültiges Einreiseverbot im Sinne des § 41 Abs. 2 Z 2 FPG bestanden" hätte; "zudem" hätte es begründete Zweifel hinsichtlich der Identität des Revisionswerbers gegeben. Davon ausgehend sei der Revisionswerber zu Recht gemäß § 39 Abs. 1 Z 1 FPG festgenommen worden.
11 Gemäß § 39 Abs. 1 Z 1 FPG in der hier maßgeblichen Fassung vor dem Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz - FNG sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, einen Fremden zum Zwecke einer für die Sicherung des Verfahrens unerlässlichen Vorführung vor die Behörde festzunehmen, wenn sie ihn bei Begehung einer Verwaltungsübertretung nach § 120 FPG auf frischer Tat betreten. Dieser Festnahmetatbestand liegt schon dann vor, wenn das einschreitende Sicherheitsorgan ein Verhalten unmittelbar selbst wahrnimmt, das es zumindest vertretbarer Weise als eine Verwaltungsübertretung nach § 120 FPG qualifizieren kann, wenn also das Organ mit gutem Grund annehmen konnte, dass eine Verwaltungsübertretung nach dieser Bestimmung begangen wird. Außerdem muss die Festnahme dem Zweck dienen, eine für die Führung des Verwaltungsstrafverfahrens unerlässliche Anwesenheit des betreffenden Fremden bei der Behörde sicherzustellen (VwGH 12.9.2013, 2012/21/0204, Punkt 1. der Entscheidungsgründe, mwN).
12 Dem LVwG ist zunächst vorzuwerfen, dass es sich mit dem Erfordernis der "unerlässlichen Vorführung" des Revisionswerbers vor die Behörde nicht auseinandergesetzt hat. Was das Bestehen eines Verdachts der Begehung einer Übertretung nach § 120 Abs. 1a FPG anlangt, so ist dann einleitend anzumerken, dass die "zudem" laut LVwG noch bestehenden begründeten Zweifel an der Identität des Revisionswerbers nach der Aktenlage von der LPD für seine Festnahme gar nicht ins Treffen geführt worden waren. Es ist auch nicht zu sehen, inwiefern angesichts des vom Revisionswerber vorgelegten und nach Dokumentenüberprüfung für echt befundenen biometrischen spanischen Reisepasses relevante Zweifel hätten bestehen können; zwar hatte der Revisionswerber 2005 in Österreich eine Alias-Identität benützt, dass er nunmehr aber unter seinen aktuellen Daten spanischer Staatsangehöriger und jene Person sei, auf die der von ihm vorgelegte spanische Reisepass ausgestellt war, stand für die LPD fest. Nur darauf kommt es im gegebenen Zusammenhang aber an.
13 Das LVwG hat dann im Übrigen richtig erkannt, dass das ursprünglich über den Revisionswerber verhängte Aufenthaltsverbot mit 1. Jänner 2006 im Grunde des § 125 Abs. 3 zweiter Satz FPG zu einem Rückkehrverbot geworden war. Dieses Rückkehrverbot wurde aber, anders als das LVwG meint, nicht zu einem Einreiseverbot und kam auch von seinen Rechtswirkungen her einem solchen nicht gleich (dass die vom LVwG in diesem Kontext erwähnte Zurückweisung hinsichtlich des Revisionswerbers nur am Boden des § 41a FPG hätte erfolgen dürfen und dass die in diesem Zusammenhang erfolgte Bezugnahme des LVwG auf § 41 Abs. 2 Z 2 FPG, wo u.a. auf ein "gültiges Einreiseverbot" abgestellt wird, daher von vornherein verfehlt ist, sei der Vollständigkeit halber angemerkt).
14 Die Wirkung eines Rückkehrverbotes erschöpfte sich nämlich im Entzug des Aufenthaltsrechtes (§ 54 Abs. 1 vorletzter Satz FPG in der hier maßgeblichen Fassung des FrÄG 2011). Dem entspricht, dass das Institut des Rückkehrverbotes mit dem FNG (ab 1. Jänner 2014) aus dem Rechtsbestand beseitigt wurde; an seine Stelle ist die Neuregelung des § 13 AsylG 2005 getreten, in dessen zweitem Absatz der Entzug des Aufenthaltsrechtes für bestimmte Konstellationen, die bisher die Erlassung eines Rückkehrverbotes ermöglichten, nunmehr ex lege vorgesehen ist. Eines Rückkehrverbotes bedarf es daher nicht mehr (siehe in diesem Sinn die ErläutRV zur Aufhebung des § 54 FPG durch das FNG, 1803 BlgNR 24. GP 66).
15 Über den Entzug des Aufenthaltsrechtes hinaus entfaltet(e) ein Rückkehrverbot seit dem Inkrafttreten des FrÄG 2011 mit 1. Juli 2011 nur mehr dann Konsequenzen, wenn eine Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 (idF vor dem FNG) durchsetzbar wurde (§ 54 Abs. 9 FPG idF des FrÄG 2011); dann gilt das Rückkehrverbot als Einreiseverbot. Eine Ausweisung - insbesondere eine solche nach § 10 AsylG 2005 - wurde gegen den Revisionswerber aber nie erlassen.
16 Fallbezogen bedeutet das, dass der Revisionswerber im Hinblick auf die seinerzeitige Erlassung des Aufenthaltsverbotes, das mit 1. Jänner 2006 zu einem Rückkehrverbot geworden war, zwar sein damaliges vorläufiges asylrechtliches Aufenthaltsrecht verloren hatte. Das allein verhinderte aber nicht, dass er mit Erlangung der spanischen Staatsbürgerschaft erneut - nunmehr auf unionsrechtlicher Basis - ein Aufenthaltsrecht (ein Recht zur Einreise) erlangte. Ein solches Recht mag aus anderen Gründen nicht bestanden haben, die Existenz eines Rückkehrverbotes als solches stand ihm aber nicht entgegen. Konsequenterweise wird (wurde) das Bestehen eines Rückkehrverbotes auch nicht im Katalog der Zurückweisungstatbestände des § 41a FPG angeführt.
17 Nach dem Gesagten rechtfertigte das bestehende Rückkehrverbot für sich betrachtet - und andere Überlegungen wurden bei der Festnahme des Revisionswerbers nicht angestellt - nicht den Verdacht des Vorliegens einer Verwaltungsübertretung nach § 120 Abs. 1a FPG. Die Festnahme des Revisionswerbers nach § 39 Abs. 1 Z 1 FPG und seine nachfolgende Anhaltung waren daher auf dieser Basis unzulässig. Das hat das LVwG verkannt, weshalb sein Erkenntnis im Festnahme und Anhaltung betreffenden Teil (Abweisung der zugrunde liegenden Maßnahmenbeschwerde) gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
18 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3, 5 und 6 VwGG abgesehen werden.
19 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 15. März 2018
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