Normen
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
MRK Art6;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §24;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018190133.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Guinea, stellte am 19. März 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen brachte er im Wesentlichen vor, er habe einen Verkehrsunfall verursacht, bei dem die Tochter eines mächtigen Offiziers der Streitkräfte ums Leben gekommen sei. Bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat werde er deshalb getötet werden.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies den Antrag des Revisionswerbers mit Bescheid vom 11. Jänner 2018 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Guinea zulässig sei. Unter einem sprach das BFA aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage, der Revisionswerber sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 20. September 2017 verloren habe und gegen ihn ein auf drei Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen werde.
3 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die erhobene Revision nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
5 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit seiner außerordentlichen Revision unter anderem vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen habe.
6 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
7 Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn dieser Bestimmung "geklärt erscheint", folgende Kriterien beachtlich: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht muss die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 bis 0018; sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 29.5.2018, Ra 2018/20/0273).
8 Im vorliegenden Fall brachte der Revisionswerber in seiner Beschwerde ergänzend vor, aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Fulla werde er bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat einer Verfolgung durch den Staat ausgesetzt sein. Die Regierung Guineas verfolge das Ziel, alle Angehörigen dieser Volksgruppe aus dem Land zu vertreiben. Das Bundesverwaltungsgericht erachtete dieses Vorbringen mit näherer Begründung nicht als glaubhaft. Das Bundesverwaltungsgericht hat daher sowohl die Feststellungen als auch die Beweiswürdigung gegenüber den Ausführungen des BFA nicht bloß unwesentlich ergänzt.
9 Im Übrigen erstattete der Revisionswerber - wie in der Revision zutreffend aufgezeigt - in seiner Beschwerde konkretes Vorbringen, um der vom BFA angenommenen Unplausibilität und Widersprüchlichkeit seiner Angaben (insbesondere hinsichtlich der Unfallörtlichkeit), auf die das BFA und in der Folge auch das Bundesverwaltungsgericht die Beweiswürdigung stützten, entgegen zu treten. Damit wurden vom Revisionswerber die beweiswürdigenden Erwägungen des BFA aber nicht bloß unsubstantiiert bestritten.
10 Demnach lagen die Voraussetzungen für die Abstandnahme von der Verhandlung nicht vor. Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und des - wie hier gegeben - Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. VwGH 20.9.2017, Ra 2017/19/0207; 15.3.2018, Ra 2017/20/0405, jeweils mwN).
11 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
12 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am 2. August 2018
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)
