VwGH Ra 2018/18/0195

VwGHRa 2018/18/01953.5.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wech, über die Revision 1. der A G, 2. des A G, 3. der U G, 4. des M G, 5. des A G, alle vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Jänner 2017, Zlen. W226 1421209- 4/6E (ad 1.), W226 1421208-4/4E (ad 2.), W226 1421210- 4/4E (ad 3.), W226 1423771-4/4E (ad 4.) und W226 2135270- 1/4E (ad 5.), betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4;
MRK Art3;
MRK Art8;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018180195.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die revisionswerbenden Parteien sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige einer Familie (Eltern und Kinder). Sie stellten in Österreich am 29. Mai 2011 (ad. 1 bis 3.), am 9. Dezember 2011 (ad. 4.) bzw. am 25. Februar 2016 (ad. 5.) Anträge auf internationalen Schutz.

2 Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 25. August 2016 (ad 1. und 2.) bzw. vom 26. August 2016 (ad 3. bis 5.) wurden die Anträge - nach der Wiederaufnahme der mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 15. Juli 2013 abgeschlossenen Verfahren der erst - bis viertrevisionswerbenden Parteien im Hinblick auf deren Anträge auf Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten und deren Ausweisung in die Russische Föderation - hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten (sowie betreffend den Fünftrevisionswerber auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten) abgewiesen. Das BFA erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen die revisionswerbenden Parteien Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Die Frist für eine freiwillige Ausreise setzte die Behörde mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen fest.

3 Die gegen diese Bescheide erhobene gemeinsame Beschwerde der revisionswerbenden Parteien wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4 Begründend führte das Gericht - zusammengefasst - aus, es sei subsidiärer Schutz nicht zu gewähren, weil nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass die in ihrem Herkunftsstaat in einem rechtsstaatlich durchgeführten Strafverfahren wegen krimineller Handlungen zu einer siebenjährigen Freiheitsstrafe verurteilte Erstrevisionswerberin ihre Strafhaft in der Russischen Föderation unter Art. 3 EMRK verletzenden Umständen werde verbüßen müssen. Dazu traf das Bundesverwaltungsgericht umfangreiche Feststellungen zu den Haftbedingungen in der Russischen Föderation im Allgemeinen und für die Erstrevisionswerberin im Besonderen.Während ihrer Inhaftierung werde es dem Zweitrevisionswerber als gesundem, arbeitsfähigem und arbeitswilligem Mann - allenfalls mit Unterstützung seiner Familie und jener der Erstrevisionswerberin - möglich sein, den lebensnotwendigen Unterhalt für seine Familie zu erwirtschaften. Zur Rückkehrentscheidung hielt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen fest, dass sich die revisionswerbenden Parteien (mit Ausnahme des im Jahr 2016 nachgeborenen Fünftrevisionswerbers) seit über fünf Jahren in Österreich aufhielten, jedoch kaum Ansätze einer Integration erkennbar seien. Auch spreche die Tatsache, dass die revisionswerbenden Parteien während des anhängigen Wiederaufnahmeverfahrens nach Deutschland weitergereist seien, um dort neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, gegen die Annahme einer nennenswerten Integration in Österreich. Auch die dritt- und viertrevisionswerbenden Parteien befänden sich in einem anpassungsfähigen Alter. Es sei aus näher dargelegten Gründen davon auszugehen, dass ihnen eine Resozialisierung im Herkunftsstaat möglich und zumutbar sei.

5 Gegen dieses Erkenntnis erhoben die revisionswerbenden Parteien Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, deren Behandlung mit Beschluss vom 26. Februar 2018, E 592/2017-12 und E 637-640/2017-24, abgelehnt wurde. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 15. März 2018, E 592/2017-14 und E 637-640/2017-26, wurde die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

6 Die vorliegende außerordentliche Revision macht zu ihrer Zulässigkeit - unter dem Gesichtspunkt einer Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - im Wesentlichen geltend, das angefochtene Erkenntnis lasse aktuelle und inhaltlich umfassende Länderfeststellungen insofern vermissen, als es keine detaillierten Ausführungen zu den Haftbedingungen für Frauen in der Russischen Föderation enthalte. Es seien zudem die Interessen der revisionswerbenden Parteien am Verbleib im Bundesgebiet "unvollständig" beurteilt worden. Darüber hinaus werden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) betreffend das Erfordernis der Einholung einer "Einzelfallzusicherung" sowie die Frage der Anwendbarkeit des Europäischen Auslieferungsübereinkommens im Asylverfahren ins Treffen geführt.

Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

8 Zunächst ist festzuhalten, dass das angefochtene Erkenntnis konkrete Feststellungen zu den Haftbedingungen für Frauen in der Russischen Föderation enthält, die auf in der Entscheidung wiedergegebenen, ausreichend aktuellen Länderberichten beruhen. Welche darüber hinausgehenden Feststellungen fallbezogen zu treffen gewesen wären, zeigt die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung nicht auf. Im Übrigen setzte sich das Gericht ausführlich mit den fallbezogen zu erwartenden, näheren Umständen einer Inhaftierung der Erstrevisionswerberin in der Russischen Föderation auseinander und gelangte dabei in vertretbarer Weise zu dem Ergebnis, dass den revisionswerbenden Parteien im Fall ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung nicht drohe.

9 Mit der Behauptung, das Gericht habe die Interessen der revisionswerbenden Parteien am Verbleib im Bundesgebiet "unvollständig" beurteilt, ist auf dem Boden der Zulässigkeitsbegründung - sofern sie dahingehend zu verstehen ist, dass eine fehlerhafte Interessenabwägung im Sinne von Art. 8 EMRK geltend gemacht wird - nicht ersichtlich, dass die im Einzelfall vorgenommene Abwägung des Bundesverwaltungsgerichts in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise erfolgt wäre. Das Bundesverwaltungsgericht hat auf das noch anpassungsfähige Alter der (zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts sechs-, fünf- und einjährigen) dritt- bis fünftrevisionswerbenden Parteien Bedacht genommen und ist dabei nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - wonach auch für Kinder im Alter von sieben und elf Jahren noch eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit angenommen wird - abgewichen (vgl. etwa VwGH 3.10.2017, Ra 2017/01/0288).

10 Schließlich legt die Revision mit der schlagwortartigen Bezugnahme auf das Dublin-Verfahren betreffende Judikatur des EGMR sowie das Europäische Auslieferungsübereinkommen nicht dar, dass die Entscheidung über die Revision von einer Rechtsfrage im Sinne von Art. 133 Abs. 4 B-VG abhinge. Es ist in diesem Zusammenhang schon nicht nachvollziehbar, inwieweit das Vorbringen der Revision mit den vorliegenden Verfahren im Zusammenhang stünde.

11 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 3. Mai 2018

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