VwGH Ra 2018/08/0082

VwGHRa 2018/08/008217.5.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der F M S in Wien, vertreten durch die Celar Senoner Weber-Wilfert Rechtsanwälte GmbH in 1070 Wien, Mariahilferstraße 88a, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. März 2018, Zl. W218 2131161-1/9E, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Wien Laxenburger Straße), den Beschluss gefasst:

Normen

AlVG 1977 §24 Abs2;
AlVG 1977 §25 Abs1;
AlVG 1977 §36 Abs3 litB;
AlVG 1977 §36 Abs5;
NotstandshilfeV;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018080082.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis sprach das Bundesverwaltungsgericht - in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides des Arbeitsmarktservice Wien Laxenburger Straße - gemäß § 38 iVm §§ 24 und 25 AlVG aus, dass die Zuerkennung der Notstandshilfe für den Zeitraum 26. August 2015 bis 31. März 2016 widerrufen und die Revisionswerberin zur Rückzahlung des unberechtigt Empfangenen verpflichtet werde. Maßgeblich für den Widerruf war die Anrechnung des Einkommens ihres Lebensgefährten gemäß § 36 AlVG. Die Rückforderung wurde darauf gestützt, dass die Revisionswerberin die Lebensgemeinschaft verschwiegen habe.

5 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6 Die Revisionswerberin erblickt entgegen diesem Ausspruch eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darin, dass das Bundesverwaltungsgericht in Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Prüfung unterlassen habe, ob die Notstandshilfebezieherin aus dem Zusammenleben in der Lebensgemeinschaft einen wirtschaftlichen Nutzen ziehe. Daran fehle es in ihrem Fall angesichts der monatlichen Zahlungsverpflichtungen ihres Lebensgefährten (Ratenzahlungen an die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft).

7 Damit missversteht die Revisionswerberin die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Nach dieser Rechtsprechung besteht das Wesen einer Lebensgemeinschaft in einem eheähnlichen Zustand, der dem typischen Erscheinungsbild des ehelichen Zusammenlebens entspricht. Dazu gehört im Allgemeinen die Geschlechts-, Wohnungs- und (vor allem) Wirtschaftsgemeinschaft, wobei aber, wie auch bei einer Ehe, das eine oder andere Merkmal weniger ausgeprägt sein oder ganz fehlen kann. Jenes Element, um dessentwillen die Lebensgemeinschaft im konkreten Regelungszusammenhang von Bedeutung ist, nämlich das gemeinsame Wirtschaften, ist jedoch unverzichtbar. Unter dem Begriff der Wirtschaftsgemeinschaft ist zu verstehen, dass beide Partner einander Beistand und Dienste leisten und an den zur Bestreitung des Unterhaltes, der Zerstreuung und Erholung zur Verfügung stehenden Gütern teilnehmen lassen, etwa auch die Freizeit weitgehend gemeinsam verbringen (vgl. etwa VwGH 17.5.2006, 2004/08/0263, mwN).

8 Die Revisionswerberin bestreitet nicht das Bestehen einer - eine Wirtschaftsgemeinschaft in diesem Sinn einschließenden - Lebensgemeinschaft. Ausgehend davon kommt es aber nicht darauf an, welchen finanziellen Beitrag der Lebensgefährte konkret leistet. Sein Einkommen ist vielmehr nach den Grundsätzen des § 36 Abs. 3 lit. B AlVG und der auf dieser Grundlage ergangenen Notstandshilfeverordnung anzurechnen. Demnach sind vom Einkommen laut Einkommensteuerbescheid - dessen Spruch der Entscheidung über den Widerruf und die Rückforderung eines Notstandshilfebezuges bindend zugrunde zu legen ist (vgl. etwa VwGH 19.10.2011, 2008/08/0210) - vor der Anrechnung nur jene Beträge in Abzug zu bringen, die die jeweils maßgebliche Freigrenze nach § 36 Abs. 3 lit. B sublit. a bis c AlVG nicht überschreiten. Diese Freibeträge können gemäß § 36 Abs. 5 AlVG in berücksichtigungswürdigen Fällen wie zB "Krankheit, Schwangerschaft, Niederkunft, Todesfall, Hausstandsgründung und dergleichen" erhöht werden. Nach der auf dieser Grundlage erlassenen Richtlinie zur Freigrenzenerhöhung (die eine Rechtsverordnung darstellt - vgl. etwa VwGH 12.9.2012, 2011/08/0016) - führen zwar u.a. Rückzahlungen von Darlehen zur Hausstandsgründung bzw. Wohnraumbeschaffung zur Freigrenzenerhöhung, nicht aber sonstige Kredit- oder Rückzahlungsverpflichtungen (vgl. etwa zu einem Darlehen für den Ausbau eines weiteren Wohnsitzes VwGH 7.8.2002, 2002/08/0010). Die Zahlungsverpflichtungen an die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft waren daher nicht als freibetragserhöhend zu berücksichtigen.

9 Entgegen der Revision war es im Hinblick auf die dargestellten Grundsätze - insbesondere die Bindung an den Einkommensteuerbescheid - auch nicht geboten, zur "Klärung der tatsächlichen Einkommensverhältnisse des Lebensgefährten der Revisionswerberin" eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Vielmehr durfte das Bundesverwaltungsgericht im Sinn des § 24 Abs. 4 VwGVG davon ausgehen, dass eine mündliche Erörterung zur Klärung der Rechtssache nicht erforderlich war, und daher von der Durchführung der Verhandlung absehen.

10 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 17. Mai 2018

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