Normen
AsylG 2005 §8 Abs1;
MRK Art2;
MRK Art3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §63 Abs1;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017190425.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist afghanischer Staatsangehöriger. Mit Bescheid vom 15. Februar 2011 wies das Bundesasylamt den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Gleichzeitig wies das Bundesasylamt den Revisionswerber aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan aus.
2 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Asylgerichtshof, zog die Beschwerde in der Folge jedoch hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten zurück.
3 Mit Erkenntnis vom 26. August 2016 wies das anstelle des Asylgerichtshofes zur Entscheidung zuständig gewordene Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Abweisung seines Antrags auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und seine Ausweisung nach Afghanistan ab. Das Beschwerdeverfahren hinsichtlich der Abweisung des Antrags des Revisionswerbers auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten stellte das Bundesverwaltungsgericht wegen Zurückziehung der Beschwerde ein.
4 Zur weiteren Vorgeschichte dieser Revisionssache wird auf deren Darstellung in dem in dieser Sache bereits ergangenen hg. Erkenntnis vom 22. März 2017, Ra 2016/18/0267, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis hob der Verwaltungsgerichtshof das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26. August 2016, soweit mit diesem die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Abweisung seines Antrags auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und seine Ausweisung nach Afghanistan abgewiesen worden war, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.
5 Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof zusammengefasst aus, das angefochtene Erkenntnis werde den Anforderungen an die Begründung der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte, wie sie in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung entwickelt worden seien, nicht gerecht. Aus den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes sei nicht mit der erforderlichen Klarheit zu erkennen, welche Teile des Vorbringens des Revisionswerbers der Entscheidung als glaubwürdig zugrunde gelegt worden seien. Die Argumentation des Bundesverwaltungsgerichtes in seiner "Beweiswürdigung" lasse allerdings vermuten, dass es die vorgebrachte Tätigkeit des Revisionswerbers für ein mit den amerikanischen Truppen kooperierendes Transportunternehmen und seine Arbeit als Dolmetscher für die Amerikaner nicht in Zweifel zu ziehen scheine. Ausgehend davon finde sich im angefochtenen Erkenntnis aber keine Auseinandersetzung mit der Frage, ob diese (ehemalige) Tätigkeit für die internationalen Streitkräfte dem Revisionswerber ein besonderes Risikoprofil verleihe, wozu auf die dazu ergangene Rechtsprechung zur Bedeutung solcher "besonderer Gefährdungsmomente" verwiesen werde. Ungeachtet dessen seien die Länderfeststellungen aus dem Jahr 2014 im Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichtes veraltet gewesen.
6 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Abweisung seines Antrags auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten neuerlich als unbegründet ab. Das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung wies das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 75 Abs. 20 Asylgesetz 2005 an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
7 Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, "exzeptionelle Umstände", die einer Niederlassung des Revisionswerbers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat in Kabul entgegenstünden, seien im Verfahren nicht hervorgekommen. Der Revisionswerber habe in seinem Herkunftsstaat eine fundierte Schulbildung erworben, Arbeitserfahrung gesammelt, spreche zumindest eine Landessprache und sei mit den "örtlichen Gegebenheiten" vertraut.
8 Zur Lage in Afghanistan traf das Bundesverwaltungsgericht umfangreiche Feststellungen. Unter anderem wurde - auf der Grundlage eines Berichtes aus dem Jahr 2014 - ausgeführt:
"Grundsätzlich sind Anfeindungen gegen afghanische Angestellte der US-Streitkräfte üblich, da diese im Vergleich zu ihren Mitbürger/innen verhältnismäßig viel verdienen. Im Allgemeinen hält sich das aber in Grenzen, da der wirtschaftliche Nutzen für die gesamte Region zu wichtig ist. Tätliche Übergriffe kommen vor, sind aber nicht nur auf ein Arbeitsverhältnis bei den internationalen Truppen zurückzuführen. Des Weiteren bekommen afghanische Angestellte bei den internationalen Streitkräften Uniformen oder Dienstbekleidung, Verpflegung und Zugang zu medizinischer Versorgung nach westlichem Standard. Es handelt sich somit meist um Missgunst. Das Argument der Gefahr im Beruf für lokale Dolmetscher wurde von den US-Streitkräften im Bereich der SOF (Special Operation Forces), die sehr sensible Aufgaben durchführen, dadurch behoben, dass diesen Mitarbeitern nach einer gewissen Zeit die Mitnahme in die USA angeboten wurde."
9 In Rahmen seiner Ausführungen zur Beweiswürdigung hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, "exzeptionelle Umstände", wie sie der Verwaltungsgerichtshof in seiner jüngeren Rechtsprechung zum subsidiären Schutz fordere, habe der Revisionswerber nicht dargetan. "Allfälligen Behelligungen" könne der Revisionswerber in einer Millionenstadt, wie es Kabul sei, jedenfalls entgehen, sei doch auch unwahrscheinlich, dass er nach der langen Abwesenheit noch von jemandem gesucht werde. Der Revisionswerber habe auch zu keinem Zeitpunkt vorgebracht, dass er "ein sogenanntes High-Profile-Ziel" sei. Dass "das asylrelevant angelegte Fluchtvorbringen" des Revisionswerbers nicht glaubwürdig sei, ergebe sich schon aus der Zurückziehung seiner Beschwerde hinsichtlich der Abweisung der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten.
10 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, hinsichtlich der Zuerkennung von subsidiärem Schutz sei zu prüfen, ob im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat die reale Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung bestehe. Dies sei dann gegeben, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfinde. Eine solche Situation sei aber nach der Rechtsprechung nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK sei nicht ausreichend. Die Schwelle des Art. 3 EMRK werde im vorliegenden Fall keineswegs erreicht.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
12 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit seiner außerordentlichen Revision unter anderem vor, das Bundesverwaltungsgericht habe die Bindungswirkung des hg. Erkenntnisses Ra 2016/18/0267 missachtet und die darin erteilten Aufträge nicht erfüllt.
13 Die Revision ist im Sinn dieser Zulassungsbegründung zulässig. Sie ist auch berechtigt.
14 Bei der Erlassung der Ersatzentscheidung gemäß § 63 Abs. 1 VwGG sind die Verwaltungsgerichte an die vom Verwaltungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis geäußerte Rechtsanschauung gebunden; eine Ausnahme bildet der Fall einer wesentlichen Änderung der Sach- und Rechtslage. Erfolgte die Aufhebung einer angefochtenen Entscheidung, weil es das Verwaltungsgericht unterlassen hat, die für die Beurteilung des Rechtsfalles wesentlichen Tatsachenfeststellungen zu treffen, so besteht die Herstellung des der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustandes darin, dass das Verwaltungsgericht jene Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durchführt und die Feststellungen trifft, die eine erschöpfende Beurteilung des maßgebenden Sachverhaltes ermöglichen (VwGH 21.4.2016, Ro 2016/11/0007; 29.06.2016 Ro 2014/05/0011).
15 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - auf die im Vorerkenntnis Ra 2016/18/0267 hingewiesen wurde - liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat im Fall einer prekären allgemeine Sicherheitslage im Herkunftsstaat eines Asylwerbers, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen (VwGH 21.2.2017, Ra 2016/18/0137, Rn. 26).
16 Im vorliegenden Fall war es daher nicht ausreichend bei Prüfung des Vorliegens einer realen Gefahr im Sinn des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nur die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan in den Blick zu nehmen (vgl. in diesem Zusammenhang näher zur Prüfung der Verletzung von Art. 3 EMRK mangels Lebensgrundlage im Herkunftsstaat aufgrund exzeptioneller Umstände etwa VwGH 19.6.2017, Ra 2017/19/0095, mwN). Es bedurfte vielmehr im Sinn des Ausführungen im Vorerkenntnis Ra 2016/18/0267 einer Auseinandersetzung damit, ob sich aufgrund der vom Revisionswerber vorgebrachten (früheren) Tätigkeit für die amerikanischen Streitkräfte im Sinn der dargestellten Rechtsprechung besondere in seiner persönlichen Situation begründete Gefährdungsmomente ("special distinguishing features") ergeben.
17 Das hat das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht beachtet. Dem angefochtenen Erkenntnis lässt sich erneut nicht mit ausreichender Deutlichkeit entnehmen, ob das Bundesverwaltungsgericht das Vorbringen des Revisionswerbers, er habe für ein mit den amerikanischen Truppen kooperierendes Transportunternehmen gearbeitet und sei auch einer Tätigkeit als Dolmetscher für die Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika nachgegangen, als glaubwürdig erachtet. Dem folgend hat das Bundesverwaltungsgericht sich auch erneut nicht ausreichend damit auseinander gesetzt, ob die vom Revisionswerber behauptete Tätigkeit für die amerikanischen Streitkräfte geeignet wäre, ihm ein besonderes Risikoprofil zu verleihen. Die dazu aufgrund von Länderberichten getroffenen Feststellungen sind nicht ausreichend deutlich, ob für eine Person wie den Revisionswerber, die die von ihm behaupteten Tätigkeiten ausgeübt hat, bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (noch) eine reale Gefahr einer die Art. 2 und 3 EMRK verletzenden Behandlung besteht. Auch nach diesen Feststellungen wird aber offensichtlich von einer (nicht näher umschriebenen) Gefährdung insbesondere "lokaler Dolmetscher" auch nach Beendigung der Tätigkeit - zumindest bei bestimmten Verwendungen und nach einer gewissen Zeit der Tätigkeit - ausgegangen, wird ihnen doch nach den Berichten von den amerikanischen Streitkräften die "Mitnahme in die USA" angeboten. Im Übrigen stammen die vom Bundesverwaltungsgericht dazu zitierten Quellen erneut aus dem Jahr 2014. Eine Auseinandersetzung mit ihrer Aktualität hat das Bundesverwaltungsgericht nicht vorgenommen, obwohl der Verwaltungsgerichtshof im Vorerkenntnis darauf hingewiesen hat, dass zu der relevanten Fragestellung Berichte jüngeren Datums existieren.
18 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich somit über die bindenden Ausführungen im Vorerkenntnis Ra 2016/18/0267 hinweggesetzt. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
19 Die beantragte mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und Z 5 VwGG entfallen.
20 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am 1. März 2018
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)