Normen
AVG §10 Abs1;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017170626.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom 9. März 2017 wurde der Revisionswerber der achtzehnfachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 viertes Tatbild iVm § 1 Abs. 2, § 2 Abs. 1 bis 4, § 3 und § 4 Abs. 1 und 2 Glücksspielgesetz (GSpG) schuldig erkannt; über ihn wurden achtzehn Geldstrafen in der Höhe von jeweils EUR 7.000,-- samt Ersatzfreiheitsstrafen im Ausmaß von je 56 Stunden verhängt. Das Straferkenntnis wurde dem Revisionswerber am 13. März 2017 zu Handen von Rechtsanwalt Dr. P R, der unter Berufung auf die ihm erteilte Vollmacht am 24. Juni 2015 namens des Revisionswerbers eine Rechtfertigung eingebracht hatte, zugestellt.
2 Mit Schriftsatz vom 30. März 2017 gab Rechtsanwalt Mag. W M, der seinerseits am 18. August 2015 namens des Revisionswerbers unter Berufung auf eine ihm erteilte Vollmacht eine Rechtfertigung eingebracht hatte, gegenüber der Bezirkshauptmannschaft Kufstein bekannt, dass - wie Rechtsanwalt Dr. P R der Bezirkshauptmannschaft Kufstein bereits telefonisch mitgeteilt habe - nicht Dr. P R, sondern Mag. W M die Vertretung des Revisionswerbers im gegenständlichen Verfahren übernommen habe. Die Zustellung des Straferkenntnisses an Dr. P R sei daher rechtsunwirksam. Das Straferkenntnis sei vielmehr dem Revisionswerber zu Handen von Mag. W M rechtswirksam zuzustellen. In der Folge stellte die Bezirkshauptmannschaft Kufstein das Straferkenntnis am 4. April 2017 dem Revisionswerber zu Handen von Rechtsanwalt Mag. W M zu.
3 Gegen das Straferkenntnis brachte der Revisionswerber, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. M W, am 2. Mai 2017 eine Beschwerde ein.
4 Mit Schreiben vom 11. Mai 2017 hielt das Landesverwaltungsgericht Tirol (LVwG) dem Revisionswerber die Verspätung der eingebrachten Beschwerde vor. Begründend legte es dar, dass auf Nachfrage der belangten Behörde Dr. P R mit E-Mail vom 9. Februar 2017 mitgeteilt habe, dass er den Revisionswerber im vorliegenden Verwaltungsstrafverfahren vertrete. Weitere Telefonate mit der Kanzlei von Dr. P R habe es nach Auskunft der belangten Behörde nicht gegeben. Das Straferkenntnis sei dem Revisionswerber am 13. März 2017 zu Handen seines ausgewiesenen Rechtsvertreters Dr. P R zugestellt worden, weshalb die vierwöchige Beschwerdefrist am 10. April 2017 geendet habe.
5 In der Stellungnahme vom 26. Mai 2017, verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend die Versäumung der Beschwerdefrist, führte der Revisionswerber zusammengefasst aus, die belangte Behörde sei vor Zustellung des Straferkenntnisses vom Rechtsanwaltsanwärter der Kanzlei Dr. P R darüber informiert worden, dass Dr. P R den Revisionswerber im Verwaltungsstrafverfahren nicht vertrete, weshalb die Zustellung des Straferkenntnisses an den Revisionswerber zu Handen von Dr. P R rechtswidrig gewesen sei und die Beschwerdefrist nicht habe auslösen können.
6 Mit Beschluss vom 2. Juni 2017 wies das LVwG die Beschwerde als verspätet zurück und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.
7 Begründend führte das LVwG im Wesentlichen aus, der belangten Behörde sei mit E-Mail vom 9. Februar 2017 seitens der Rechtsanwaltskanzlei Dr. P R unter Anführung der Geschäftszahl des Verwaltungsstrafverfahrens mitgeteilt worden, dass Dr. P R den Revisionswerber in diesem Verwaltungsstrafverfahren vertrete. Es könne nicht festgestellt werden, dass seitens des Revisionswerbers oder einem seiner Rechtsvertreter vor Zustellung des Straferkenntnisses vom 9. März 2017 an den Revisionswerber zu Handen Dr. P R am 13. März 2017 gegenüber der belangten Behörde mitgeteilt worden sei, dass der Revisionswerber die Vollmacht gegenüber Dr. P R widerrufen habe.
8 Sowohl Dr. P R, als auch Mag. W M hätten sich gegenüber der belangten Behörde gemäß § 10 AVG auf die ihnen vom Revisionswerber erteilte Vollmacht berufen. Die belangte Behörde habe daher davon ausgehen können, dass beide Rechtsanwälte im gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren vom Revisionswerber mit seiner Vertretung bevollmächtigt worden und somit Zustellbevollmächtigte gewesen seien. Allein durch die zeitlich spätere Vollmachtsbekanntgabe werde die zeitlich früher bekanntgegebene Bevollmächtigung gegenüber der belangten Behörde nicht wirksam widerrufen. Mangels Mitteilung einer Vollmachtsauflösung an die belangte Behörde bis zur Zustellung des Straferkenntnisses habe diese Zustellung rechtswirksam am 13. März 2017 an Dr. P R als Zustellbevollmächtigten des Revisionswerbers erfolgen können, zumal gemäß § 9 Abs. 4 ZustellG die Zustellung als bewirkt gelte, sobald sie an einen von mehreren Zustellbevollmächtigten einer Partei vorgenommen worden sei. Bei mehrmaligen rechtswirksamen Zustellungen eines Bescheides an eine Partei, sei für den Beginn der Rechtsmittelfrist ausschließlich die zeitlich am frühesten wirksam gewordene Zustellung maßgebend. Spätere Zustellungen würden gemäß § 6 ZustellG keine Rechtswirkungen entfalten. Die Zustellung zu Handen Mag. W M am 4. April 2017 habe den Beginn der Beschwerdefrist nicht nochmals ausgelöst. Die Beschwerdefrist habe somit am 10. April 2017 geendet, weshalb die am 2. Mai 2017 eingebrachte Beschwerde verspätet gewesen sei.
9 Mit Beschluss vom 5. Juli 2017 wies das LVwG den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als verspätet zurück.
10 Die vorliegende rechtzeitig am 21. Juli 2017 zur Post gegebene Revision richtet sich erkennbar gegen den Beschluss über die Zurückweisung der Beschwerde vom 2. Juni 2017 mit dem Antrag, diesen Beschluss wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit bzw. Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
11 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
12 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
13 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
14 Der Revisionswerber begründet die Zulässigkeit der Revision zusammengefasst damit, es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu, ob die Behörde völlig offensichtliche Irrtümer der Parteien im Verwaltungsstrafverfahren - konkret über den Zeitpunkt der rechtswirksamen Zustellung des Straferkenntnisses - bzw. widerstreitende Vollmachtserklärungen aufzuklären habe und eine solche Aufklärungspflicht noch für den Zeitraum der Rechtsmittelfrist gelte.
15 Überdies habe das LVwG gegen den Grundsatz der amtswegigen materiellen Wahrheitsfindung verstoßen, indem es aufgrund des vom Revisionswerber vorgelegten E-Mails von Mag. D P von der Rechtsanwaltskanzlei Dr. P R vom 26. Mai 2017 nicht von Amts wegen den damaligen Mitarbeiter der Bezirkshauptmannschaft Kufstein Mag. H T zur Frage der Bevollmächtigung von Dr. P R und dem Widerruf einer erteilten Vollmacht einvernommen bzw. zumindest eine Stellungnahme eingeholt habe. Diese Erhebungen über die Telefongespräche zwischen Mag. H T von der belangten Behörde und Mag. D P von der Kanzlei Dr. P R hätten ergeben, dass zum Zeitpunkt der Zustellung des Straferkenntnisses an Dr. P R keine Bevollmächtigung desselben mehr vorgelegen sei.
16 So wie für die Begründung eines für die belangte Behörde maßgeblichen Vertretungsverhältnisses iSd § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG es Voraussetzung ist, dass sich der Vertreter (selbst) gegenüber der Behörde auf die ihm erteilte Vollmacht beruft (vgl. VwGH 28.5.2013, 2012/05/0157), bedarf es zur Wirksamkeit eines Widerrufes einer Vollmacht, dass dieser Widerruf auch der belangten Behörde gegenüber mitgeteilt wird (vgl. VwGH 27.1.2016, Ra 2016/05/0003, mwN).
17 Indem jeweils gemäß § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG unter Berufung auf die ihnen erteilte Vollmacht sowohl von Rechtsanwalt Dr. P R, als auch von Rechtsanwalt Mag. W M namens des Revisionswerbers eine schriftliche Rechtfertigung bei der belangten Behörde eingebracht wurde, wurde der Revisionswerber ab dem Einlangen der zeitlich späteren Rechtfertigung bei der belangten Behörde ihr gegenüber im Verwaltungsstrafverfahren durch beide Rechtsanwälte vertreten. Allein die Einbringung einer weiteren schriftlichen Rechtfertigung durch einen anderen, bisher nicht ausgewiesenen Rechtanwalt ohne Hinweis auf einen Widerruf des Vollmachtsverhältnisses zum bisherigen Rechtsvertreter - wie im vorliegenden Verfahren - bewirkt keinen gegenüber der belangten Behörde wirksamen Widerruf des Vollmachtsverhältnisses zu Rechtsanwalt Dr. P R.
18 Da der belangten Behörde in weiterer Folge Zweifel am Bestehen des Vollmachtsverhältnisses in Bezug auf Rechtsanwalt Dr. P R entstanden, hat die belangte Behörde gemäß § 10 Abs. 2 AVG unter sinngemäßer Anwendung des § 13 Abs. 3 AVG versucht, diese Zweifel durch entsprechende Anfrage gegenüber Dr. P R aufzuklären. Daraufhin wurde der belangten Behörde von Dr. P R mit E-Mail vom 9. Februar 2017 mitgeteilt, dass das Vollmachtsverhältnis im konkreten Verwaltungsstrafverfahren weiterhin aufrecht sei. Mangels rechtswirksamen Widerrufs des Vollmachtsverhältnisses konnte die belangte Behörde daher das Straferkenntnis vom 9. März 2017 an Dr. P R als ausgewiesener Vertreter und somit Zustellbevollmächtigter des Revisionswerbers wirksam am 13. März 2017 zustellen.
19 Entgegen dem Zulässigkeitsvorbringen hat das LVwG, wie in der Beweiswürdigung des angefochtenen Beschlusses dargelegt, eine Stellungnahme der belangten Behörde zur Stellungnahme des Revisionswerbers vom 26. Mai 2017 und dem darin wortwörtlich wiedergegebenen E-Mail eines Mitarbeiters der Rechtsanwaltskanzlei Dr. P R vom gleichen Tag eingeholt. Im E-Mail vom 30. Mai 2017 von Mag. H T von der belangten Behörde hielt dieser fest, dass ihm nach dem E-Mail von Dr. P R vom 9. Februar 2017 bis zur Zustellung des Straferkenntnisses an Dr. P R Mag. H T keine Telefonate bzw. kein weiterer Schriftverkehr betreffend der rechtsfreundlichen Vertretung des Revisionswerbers erinnerlich seien und aus seiner Sicht die Vertretungsbefugnis von Dr. P R in Ansehung des E-Mails vom 9. Februar 2017 zweifelsfrei geklärt gewesen sei. Der in diesem Zusammenhang in den Ausführungen zur Zulässigkeit geltend gemachte Verstoß gegen die amtswegige Ermittlungspflicht liegt somit schon deshalb nicht vor.
20 Ausgehend von den Feststellungen des LVwG, dass ein (allfälliger) Widerruf des Vollmachtsverhältnisses zwischen dem Revisionswerber und Dr. P R im konkreten Verwaltungsstrafverfahren zumindest bis zur Zustellung des Straferkenntnisses gegenüber der belangten Behörde nicht mitgeteilt wurde, war die Zustellung des Straferkenntnisses am 13. März 2017 an den Revisionswerber zu Handen seines aufrecht ausgewiesenen Rechtsvertreters Dr. P R rechtswirksam. Bei mehreren Zustellbevollmächtigten - wie im vorliegenden Fall - gilt die Zustellung gemäß § 9 Abs. 4 zweiter Satz Zustellgesetz bereits als bewirkt, sobald sie an einen von ihnen vorgenommen worden ist. Die vierwöchige Beschwerdefrist begann somit mit der Zustellung des Straferkenntnisses an Dr. P R am 13. März 2017 zu laufen und endete am 10. April 2017. Demgegenüber konnte gemäß § 6 ZustellG die neuerliche Zustellung des Straferkenntnisses zu Handen Rechtsanwalt Mag. W M am 4. April 2017 keine Rechtswirkungen entfalten. Die am 2. Mai 2017 eingebrachte Beschwerde wurde daher vom LVwG zu Recht als verspätet zurückgewiesen.
21 Soweit die Revision im Zulässigkeitsvorbringen die Verletzung der Aufklärungspflicht in Bezug auf einen offensichtlichen Irrtum des Revisionswerbers über den Zeitpunkt der rechtswirksamen Zustellung des Straferkenntnisses an den Revisionswerber und somit den Beginn der Beschwerdefrist geltend macht, vermag eine allfällige Verletzung der behaupteten Aufklärungspflicht den Beginn der Beschwerdefrist mit 13. März 2017 sowie deren Ende am 10. April 2017 und damit die verspätete Einbringung der Beschwerde nicht zu hindern. Den diesbezüglichen Ausführungen zur Zulässigkeit mangelt es deshalb an rechtlicher Relevanz.
22 In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 9. November 2018
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