Normen
AZG §7 Abs4;
AZG §7 Abs4a;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §25a;
VwGG §28 Abs1 Z5;
VwRallg;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RO2017110022.J00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 1.1. Mit Straferkenntnis vom 6. April 2016 erkannte die belangte Behörde den Revisionswerber als verantwortlichen Beauftragten der M. AG mit Sitz in Niederösterreich für schuldig, er habe es zu verantworten, dass in deren Filiale in L näher genannte Arbeitnehmer zu ungesetzlichen Arbeitsleistungen herangezogen worden seien:
Die tägliche Arbeitszeit habe im Zeitraum vom 11. Dezember 2015 bis 2. Jänner 2016 bei 18 näher genannten Arbeitnehmern an einzelnen, näher angegebenen Tagen mehr als 10 Stunden betragen. Die wöchentliche Arbeitszeit habe ferner bei näher genannten Arbeitnehmern in 10 Fällen mehr als 50 Stunden betragen, wobei keine ausreichende Ruhezeit gewährt worden sei.
Der Revisionswerber habe dadurch in den zuerst genannten Fällen jeweils § 9 Abs. 1 AZG, in den übrigen Fällen jeweils § 12 Abs. 1 AZG verletzt. Es wurden über ihn jeweils Geldstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt; er wurde weiters zur Zahlung eines Beitrags zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens verpflichtet.
2 1.2. Die dagegen vom Revisionswerber erhobene Beschwerde wurde vom Verwaltungsgericht mit dem nach Durchführung zweier mündlicher Verhandlungen ergangenen angefochtenen Erkenntnis abgewiesen (unter Berichtigung der Gesamtstrafsumme sowie des Kostenbeitrags). Unter einem sprach das Verwaltungsgericht gemäß § 15a VwGG aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-BG zulässig sei.
3 2.1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
4 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
5 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
6 2.2.1. Das Verwaltungsgericht begründete seine Entscheidung - soweit im Folgenden von Bedeutung - damit, dass die Arbeitszeiten der in Rede stehenden Arbeitnehmer unstrittig seien. Der Revisionswerber habe allerdings anlässlich der mündlichen Verhandlung die Kopie einer (zwischen der M. AG und dem Betriebsrat abgeschlossenen) Betriebsvereinbarung vom 10. November 1998 vorgelegt, welche nach Auffassung des Revisionswerbers die zur Last gelegten Arbeitszeitüberschreitungen als im Hinblick auf § 7 Abs. 4 AZG gedeckt erscheinen ließen. Diese Betriebsvereinbarung, deren Gegenstand die Verlängerung der täglichen bzw. wöchentlichen Arbeitszeit sei und die vorsehe, dass bei Auftreten eines erhöhten Arbeitsbedarfs in den Verkaufsstellen während ua. der zwei den Weihnachtsfeiertagen vorangehenden Kalenderwochen und der den Weihnachtsfeiertagen folgenden Kalenderwoche eine tägliche Arbeitszeit von maximal 12 Stunden und eine wöchentliche Arbeitszeit von maximal 60 Stunden erlaube, sei einerseits nicht rechtswirksam, weil sie unstrittig entgegen § 7 Abs. 4 AZG dem zuständigen Arbeitsinspektorat nicht zur Kenntnis gebracht worden sei. Der Revisionswerber könne sich aber auch deswegen nicht auf sie berufen, weil ein vorübergehend auftretender besonderer Arbeitsbedarf zur Verhinderung eines unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Nachteils, dem durch die Betriebsvereinbarung entgegengewirkt werden solle, notwendige Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Überschreitung der Höchstarbeitszeiten darstelle. Das Verwaltungsgericht sei jedoch der Ansicht, dass es der M. AG bzw. deren verantwortlichen Beauftragten und mit Führungsaufgaben betrauten Leitungsorganen bekannt sei, dass gerade um die Weihnachtszeit und den Jahreswechsel mit einer erhöhten Kundenfrequenz mit gestiegenen Ansprüchen gerade im kulinarischen und im Feinkostbereich zu rechnen sei. Bei jährlich wiederkehrenden Feiertagen sei mit Sicherheit nicht von einem vorübergehend auftretenden Arbeitsbedarf im Sinne von einmaligen oder unvorhersehbaren Umständen zu sprechen. Es sei einem Unternehmen zumutbar, bei dem jährlich zu erwartenden erhöhten Arbeitsaufwand, insbesondere zur Weihnachtszeit, durch eine im Vorhinein planbare Personalreserve vorzusorgen, um die zu erwartenden umsatzstärksten und jährlich wiederkehrenden Arbeitswochen, allenfalls auch durch Personalumschichtungen, ohne Überschreitung der einschlägigen Arbeitszeit- und Arbeitsruhebestimmungen bestreiten zu können. Festzuhalten sei auch, dass nicht nur Mitarbeiter der Feinkostabteilung betroffen gewesen seien, sondern sich die Arbeitszeitüberschreitungen "quer auch durch andere Abteilungen
gegenständlicher ... Filiale gezogen haben". Es liege folglich
keineswegs ein unvorhersehbarer zusätzlicher Arbeitsbedarf vor.
7 Die Zulassung der Revision an den Verwaltungsgerichtshof begründete das Verwaltungsgericht damit, dass "insbesondere zur Frage der Wirksamkeit vorliegender Betriebsvereinbarung auch im Interpretationswege dem Landesverwaltungsgericht NÖ dahingehend keine eindeutige oder zur Anwendung zu bringende Judikatur des VwGH bekannt ist, welche den Schluss zulässt, dass hier von einer einheitlichen Rechtsprechung des VwGH gesprochen werden kann, auf welche Rechtsmeinung sich gegenständliche Entscheidung stützen kann".
8 2.2.2. Die Revision führt zu ihrer Zulässigkeit - nach Wiedergabe der diesbezüglichen Begründung des Verwaltungsgerichtes - aus, die Klärung dieser Rechtsfrage begründe eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung und gehe über den konkreten Einzelfall hinaus. Die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung seien für zahlreiche andere Verwaltungsstrafverfahren, bei denen eine Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung gemäß § 7 Abs. 4 AZG eine zivilrechtliche Vorfrage darstellt, von Bedeutung.
9 2.2.3.1. Nach ständiger hg. Rechtsprechung (vgl. etwa VwGH 14.4.2016, Ro 2016/11/0011, samt Verweis auf die Vorjudikatur; ebenso VwGH 13.2.2017, Ro 2016/11/0026; 11.6.2018, Ro 2017/11/0021) hat ein Revisionswerber auch bei Erhebung einer ordentlichen Revision von sich aus die Zulässigkeit der Revision (gesondert) darzulegen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht, oder er eine andere Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet. Dies gilt auch für den Fall, dass das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Revisionsfall - infolge weitgehend formelhafter Begründung zur Zulässigkeit der Revision keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzeigt. In einem solchen Fall ist von der revisionswerbenden Partei auf die vorliegende Rechtssache bezogen für jede von ihr - hinausgehend über die Zulässigkeitsbegründung des Verwaltungsgerichtes - als von grundsätzlicher Bedeutung qualifizierte Rechtsfrage konkret (unter Berücksichtigung auch der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) aufzuzeigen, warum der Verwaltungsgerichtshof diese Rechtsfrage in einer Entscheidung über die Revision als solche von grundsätzlicher Bedeutung zu behandeln hätte, von der die Lösung der Revision abhängt.
10 2.2.3.2. Weder in der Zulässigkeitsbegründung des Verwaltungsgerichtes noch in der der vorliegenden Revision wird konkret eine Rechtsfrage formuliert, von deren Beantwortung die Behandlung der Revision abhängt. Der bloße Hinweis auf die Frage der Wirksamkeit der in Rede stehenden Betriebsvereinbarung ersetzt eine solche Formulierung der Rechtsfrage im Sinne der angegebenen Judikatur nicht.
11 2.2.3.3. Im Übrigen kommt der erst in den Revisionsgründen dargestellten Rechtsfrage, ob die Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung nach § 7 Abs. 4 AZG die Übermittlung an das zuständige Arbeitsinspektorat voraussetzt (was das Verwaltungsgericht bejaht hat) oder nicht (so die Revision), im Revisionsfall deswegen keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil die Behandlung der Revision von ihrer Beantwortung gar nicht abhängt.
12 Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung nämlich zugrundegelegt, dass die in Rede stehende Betriebsvereinbarung schon deswegen nicht mit § 7 Abs. 4 AZG vereinbar sei, weil sie den dort umschriebenen Kriterien nicht entspreche, und insofern keine Grundlage für die dem Revisionswerber angelasteten Arbeitszeitüberschreitungen darstelle.
13 Gemäß § 7 Abs. 4 AZG in der im Tatzeitraum geltenden Fassung können bei vorübergehend auftretendem besonderen Arbeitsbedarf zur Verhinderung eines unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Nachteils durch Betriebsvereinbarung, die dem zuständigen Arbeitsinspektorat zu übermitteln ist, in höchstens 24 Wochen des Kalenderjahres Überstunden bis zu einer Wochenarbeitszeit von 60 Stunden zugelassen werden, wenn andere Maßnahmen nicht zumutbar sind. Die Tagesarbeitszeit darf zwölf Stunden nicht überschreiten. Den einschlägigen Gesetzesmaterialien (AB 622 Blg 20. GP, 4 zur Novelle BGBl. Nr. 46/1997) zufolge berücksichtigt § 7 Abs. 4 AZG arbeitsintensive Aufträge, deren verspätete Erfüllung einen großen wirtschaftlichen Nachteil zur Folge hätte (zB Pönale, Entgang von Folgeaufträgen). Andere Maßnahmen seien zB zumutbar, wenn zusätzliche Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt vorhanden und längere Einschulungen nicht erforderlich seien. Solche Arbeitszeitverlängerungen seien nur vorübergehend zulässig, zB für die Dauer der Bearbeitung eines dringenden Auftrags, dies dürfe aber keinesfalls eine Dauerlösung darstellen.
14 Unter Bezugnahme auf diese Erläuterungen hat auch der Verwaltungsgerichtshof betont, dass die Zulässigkeit der Heranziehung zur Leistung von Überstunden gemäß § 7 Abs. 4 (und Abs. 4a) AZG voraussetzt, dass ein vorübergehend auftretender besonderer Arbeitsbedarf zur Verhinderung eines unverhältmäßigen wirtschaftlichen Nachteils besteht und andere Maßnahmen nicht zumutbar sind (vgl. VwGH 15.10.2015, Ro 2014/11/0095, in welcher Entscheidung der Verwaltungsgerichtshof auch zu erkennen gegeben hat, dass bei einem jährlich im Voraus bekannten Zusatzbedarf an Arbeitskräften in einem Gartencenter in einem von vornherein bekannten Zeitraum die Unzumutbarkeit anderer Maßnahmen im Regelfall nicht anzunehmen ist). Wenn das Verwaltungsgericht im Hinblick auf den von vornherein jährlich zu erwartenden zusätzlichen Arbeitsbedarf in den Wochen um Weihnachten davon ausgegangen ist, dass einem Unternehmen wie der M. AG andere Maßnahmen zumutbar seien, so ist nicht ersichtlich, dass es dabei eine unvertretbare Einzelfallbeurteilung getroffen hätte.
15 2.3. Die Revision war daher zurückzuweisen. Wien, am 5. September 2018
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