Normen
BFA-VG 2014 §20;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGG §53 Abs1;
VwGVG 2014 §24;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Erstrevisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen zu ersetzen.
Begründung
1 Die Revisionswerber, ein irakisches Ehepaar sunnitischen Glaubens, stellten am 4. Oktober 2015 (Erstrevisionswerber) beziehungsweise am 20. Dezember 2015 (Zweitrevisionswerberin) Anträge auf internationalen Schutz und brachten vor, sie hätten nach dem Einfall des "Islamischen Staates" (IS) 2014 von Mossul nach Bagdad flüchten müssen. Der Erstrevisionswerber sei Mitglied der früheren Partei Saddam Husseins, der Ba'ath Partei, gewesen und habe in deren Militär als ranghoher Offizier gedient. Alle Mitglieder der Partei seien entführt oder getötet worden.
2 Mit Bescheid vom 31. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Anträge der Revisionswerber vollinhaltlich ab, erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ jeweils eine Rückkehrentscheidung und stellte die Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak fest.
3 Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass das Fluchtvorbringen der Revisionswerber nicht glaubwürdig sei und auch im Falle ihrer Rückkehr keine Gefährdungslage im Heimatland glaubhaft gemacht worden sei.
4 Mit dem erwähnten Erkenntnis vom 1. September 2017 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, dass es sich den Ausführungen des BFA, wonach das Fluchtvorbringen der Revisionswerber nicht glaubwürdig sei, anschließe. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) habe von einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden können, da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde hinreichend geklärt erscheine.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verfahrensakten - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
7 In der Revision wird unter anderem vorgebracht, das BVwG sei von der (in der Revision näher bezeichneten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen habe.
8 Die Revision ist zulässig und auch begründet. 9 Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in nunmehr ständiger
Rechtsprechung, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" folgende Kriterien beachtlich sind:
10 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. etwa VwGH 20.6.2017, Ra 2017/01/0119, mwN).
11 Entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes sind die Revisionswerber den beweiswürdigenden Erwägungen der Verwaltungsbehörde in der Beschwerde nicht bloß unsubstantiiert entgegen getreten; vielmehr erstatteten sie konkretes Vorbringen, um die von der Behörde angenommenen Unplausibilitäten konkret zu entkräften (insbesondere zur Frage der Umstände der Ausreise aus dem Irak, zur Änderung der Lebensumstände durch Übersiedlung nach Bagdad, zum dreimaligen Aufsuchen des Supermarkts des Erstrevisionswerbers durch schiitische Milizen sowie zur Situation der Revisionswerber im Falle ihrer Rückkehr).
12 Das BVwG konnte daher nicht von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgehen, sondern hätte nach den oben dargestellten Kriterien eine mündliche Verhandlung durchführen müssen.
13 Das angefochtene Erkenntnis war daher in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
14 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
15 Gemäß § 53 Abs. 1 VwGG ist bei Anfechtung eines Erkenntnisses oder Beschlusses durch mehrere Revisionswerber in einer Revision die Frage des Anspruches auf Aufwandersatz so zu beurteilen, als ob die Revision nur vom erstangeführten Revisionswerber eingebracht worden wäre. Diese Bestimmung gilt jedoch nur für den Fall, dass die Revisionen aller Revisionswerber dasselbe Schicksal teilen (vgl. VwGH 30.8.2017, Ra 2016/18/0324, mwN), was hier der Fall ist.
Wien, am 8. Februar 2018
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)