Normen
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL;
62015CJ0040 Aspiro VORAB;
62015CJ0573 Oxycure Belgium VORAB;
62016CJ0380 Kommission / Deutschland;
UStG 1994 §10 Abs2 Z14;
UStG 1994;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RO2016150014.J00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte war im Streitzeitraum als Sozialpädagoge im Rahmen eines freien Dienstvertrages für den Verein X tätig und übernahm die stundenweise sozialpädagogische Einzelbetreuung von Jugendlichen (Personen, die das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet haben). Gegenstand der stundenweisen sozialpädagogischen Einzelbetreuung war die individuelle Lebensbegleitung (und damit die individuelle Förderung) verhaltensauffälliger Jugendlicher. Der Mitbeteiligte betreute die Jugendlichen in der Ursprungsfamilie, im Heim, im Gefängnis oder in deren eigener Wohnung. Für die aus der Tätigkeit für den Verein X resultierenden Umsätze machte er in den Jahren 2007 bis 2010 den begünstigten Steuersatz von 10% gemäß § 10 Abs. 2 Z 14 UStG 1994 geltend.
2 Das Finanzamt besteuerte die Umsätze des Mitbeteiligten - abweichend von der Erklärung - mit dem Normalsteuersatz von 20% und begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Mitbeteiligte kein Jugendheim iSd § 10 Abs. 2 Z 14 UStG 1994 sei. Als Jugendheim werde nach dem herrschenden Sprachgebrauch eine Einrichtung (Heim) definiert, das der Erziehung, Freizeitgestaltung und Erholung Jugendlicher diene. Nach Ruppe/Achatz, UStG4, § 6 Tz 424, sei unter Heim eine Einrichtung zu verstehen, zu deren wesentlichen Leistungen die nicht nur vorübergehende Betreuung und wohl auch Beherbergung zähle. Schon die frühere Verwaltungspraxis habe auch Einrichtungen miteinbezogen, die nur der Betreuung über Tag dienten bzw. bei denen ein ständiger Wechsel stattfinde und damit die Begünstigung auch auf Kindergärten, Kinderhorte und Jugendherbergen erstreckt. Der Mitbeteiligte habe aber keine feste Einrichtung bzw. kein Gebäude und auch keine einzelnen Räumlichkeiten, wo sich die Jugendlichen zur nicht nur vorübergehenden Betreuung aufhalten könnten. Der Mitbeteiligte sei lediglich als Subunternehmer für den Verein X tätig. Es fände ausschließlich eine "Vor-Ort-Betreuung" der Jugendlichen statt. Üblicherweise werde jedoch in jedem Heim - selbst wenn dieses nur der Tagesbetreuung diene (wie Kindergarten oder Tagesinternat) - ein gewisses Leistungsbündel in einem Gebäude (Betreuung in Spiel- , Lern- und Erholungsräumen, Nutzung von bereitgestellten Spiel- und Sportgeräten, Verköstigung) angeboten. Neben der stundenweisen sozialpädagogischen Einzelbetreuung biete der Mitbeteiligte keine in Heimen üblichen weiteren Leistungen an. Auch unionsrechtlich bleibe für die Zuerkennung der Steuersatzermäßigung kein Raum, weil eine Person, die als bloßer Subunternehmer tätig sei, keine Einrichtung mit sozialem Charakter iSd Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. g und h der 6. EG-RL darstelle.
3 Der Mitbeteiligte brachte gegen die Umsatzsteuerbescheide Berufungen (nunmehr Beschwerden) ein und führte in diesen zusammengefasst aus, die sozialpädagogische Einzelbetreuung stelle eine mit Leistungen iSd § 6 Abs. 1 Z 23 UStG 1994 bzw. § 10 Abs. 2 Z 14 UStG 1994 vergleichbare Leistung dar. Es sei nicht erforderlich, dass alle im Gesetz genannten Leistungselemente erbracht würden, weil auch Einrichtungen von der Begünstigung erfasst wären, in denen Kinder und Jugendliche nur über Tag betreut würden. Unter den Begriff "Einrichtungen" fielen laut Urteil des EuGH vom 7. September 1999, C-216/97 , Gregg, auch Einzelpersonen.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht den Beschwerden des Mitbeteiligten Folge und begründete dies wie folgt:
5 Nach § 10 Abs. 2 Z 14 UStG 1994 unterlägen Leistungen der Jugend-, Erziehungs-, Ausbildungs-, Fortbildungs- und Erholungsheime an Personen, die das 27. Lebensjahr nicht vollendet hätten, soweit diese Leistungen in deren Betreuung, Beherbergung, Verköstigung und den hierbei üblichen Nebenleistungen bestünden, dem ermäßigten Steuersatz.
6 Nach Art. 98 Abs. 1 und 2 RL 2006/112/EG dürften die Mitgliedstaaten einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden, jedoch nur auf die Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen der im Anhang III genannten Kategorien.
7 Nach Z 15 des Anhanges seien dies die Lieferung von Gegenständen und die Erbringung von Dienstleistungen durch von den Mitgliedstaaten anerkannte gemeinnützige Einrichtungen für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit, soweit sie nicht gemäß den Artikeln 132, 135 und 136 von der Steuer befreit seien.
8 Werde diese Ziffer ihrem Wortlaut entsprechend so ausgelegt, dass nur Leistungen von gemeinnützigen Einrichtungen steuersatzermäßigt werden dürften (soweit diese wohltätigen Zwecken dienten oder im Bereich der sozialen Sicherheit lägen), hätte Österreich den Ermäßigungstatbestand zu weit gefasst. Der innerstaatliche Tatbestand dürfe aber nicht deswegen, weil er über die Richtlinie hinausgehe, enger, also zulasten des Steuerpflichtigen, ausgelegt werden. Würde man aber die besagte Ziffer so auslegen, dass die Erbringung von Leistungen von gemeinnützigen Einrichtungen, die wohltätigen Zwecken dienten, die erste Alternative und die Erbringung von Leistungen, die im Bereich der sozialen Sicherheit lägen, die zweite Alternative darstelle, fielen die streitgegenständlichen Leistungen möglicherweise darunter. Weil aber die Normierung von Steuersatzermäßigung nur auf einer Ermächtigung an die Mitgliedstaaten beruhe, könnte sich der Steuerpflichtige nicht mit Erfolg auf die für ihn günstigere Richtlinienbestimmung berufen. Maßgeblich sei daher ausschließlich das innerstaatliche Recht, das allerdings richtlinienkonform auszulegen sei.
9 Unstrittig erbringe der Mitbeteiligte Betreuungsleistungen und müssten die im § 10 Abs. 2 Z 14 UStG 1994 genannten Leistungen nicht kumulativ vorliegen. Das Finanzamt vertrete den Standpunkt, weil der Mitbeteiligte nur einen (kleinen) Teil der von Heimen üblicherweise erbrachten Leistungen erbringe, sei seine Tätigkeit nicht mit der eines Heimes vergleichbar und falle daher nicht unter die Steuersatzermäßigung.
10 Im Urteil vom 7. September 1999, Gregg, C-216/97 , habe der EuGH betreffend die Steuerbefreiung ausgeführt, dass der Begriff der Einrichtung zwar die Existenz einer abgrenzbaren Einheit, die eine bestimmte Funktion erfülle, nahelege. Dieses Merkmal treffe aber nicht nur auf juristische Personen zu, sondern auch auf eine oder mehrere Personen, die ein Unternehmen betrieben. Diese Auslegung, nach der der Begriff der "Einrichtung" nicht nur juristische Personen bezeichne, stehe insbesondere im Einklang mit dem dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegenden Grundsatz der steuerlichen Neutralität. Besagter Grundsatz verbiete es nämlich, dass Wirtschaftsteilnehmer, die die gleichen Umsätze bewirkten, bei deren Besteuerung unterschiedlich behandelt würden.
11 Dass das Ehepaar Gregg selbst ein Heim betrieben habe (und keine steuerbefreite Einrichtung sein wollte), also nicht bloß als Subunternehmer tätig geworden sei, ändere an obiger generellen Aussage des EuGH nichts.
12 Da der Grundsatz der steuerlichen Neutralität generell gelte, sei dieser auch auf Steuersatzermäßigungen anzuwenden. Dies habe auch der VwGH im Erkenntnis vom 27. November 2014, 2011/15/0079, bestätigt. Er habe darin u.a. ausgeführt, dass im Bereich der Umsatzsteuer im Grundsatz der steuerlichen Neutralität das Gebot der Gleichbehandlung konkurrierender Unternehmer zum Ausdruck komme, der es verbiete, vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich zu behandeln.
13 Wie bereits ausgeführt müssten nicht alle der im § 10 Abs. 2 Z 14 UStG 1994 genannten Leistungen kumulativ vorliegen. Auch isoliert betrachtet sei die Betreuung daher steuersatzermäßigt. Erbringe ein Heim gegenüber einem bestimmten Jugendlichen nur eine "Vor-Ort-Betreuung", unterliege diese Leistung (sofern sie nicht steuerbefreit sei) dem ermäßigten Steuersatz. Dies auch dann, wenn im jeweiligen Fall nicht alle sonst üblichen Nebenleistungen erbracht würden. Genau dieser Fall liege aber vor, weil ja letztlich der Verein (das Heim) die "Vor-Ort-Betreuung" unter Verwendung der an ihn vom Mitbeteiligten erbrachten Leistung erbringt.
14 Die strittigen Leistungen seien daher neutralitätskonform unter § 10 Abs. 2 Z 14 UStG 1994 zu subsumieren.
15 Eine Revision erklärte das Bundesfinanzgericht für zulässig, 16 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision des Finanzamtes. Der Mitbeteiligte hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
17 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
18 § 10 UStG 1994 in der für die Streitjahre 2007 bis 2010 geltenden Fassung lautet auszugsweise:
"§ 10. (1) Die Steuer beträgt für jeden steuerpflichtigen Umsatz 20% der Bemessungsgrundlage (§§ 4 und 5).
(2) Die Steuer ermäßigt sich auf 10% für (...)
14. folgende Leistungen, sofern sie nicht unter § 6 Abs. 1 Z 23 oder 25 fallen:
die Leistungen der Jugend-, Erziehungs-, Ausbildungs-, Fortbildungs- und Erholungsheime an Personen, die das 27. Lebensjahr nicht vollendet haben, soweit diese Leistungen in deren Betreuung, Beherbergung, Verköstigung und den hiebei üblichen Nebenleistungen bestehen;"
19 Art. 98 der RL 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der für die Streitjahre 2007 bis 2010 geltenden Fassung lautet auszugsweise (im Folgenden: RL 2006/112/EG ):
"Artikel 98
(1) Die Mitgliedstaaten können einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden.
(2) Die ermäßigten Steuersätze sind nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III genannten Kategorien anwendbar."
20 Im Verzeichnis der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, auf die ermäßigte MwSt-Sätze gemäß Artikel 98 angewandt werden können (Anhang II), wird unter Z 15 ausgeführt:
"15. Lieferung von Gegenständen und Erbringung von
Dienstleistungen durch von den Mitgliedstaaten anerkannte gemeinnützige Einrichtungen für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit, soweit sie nicht gemäß den Artikeln 132, 135 und 136 von der Steuer befreit sind;"
21 Strittig ist, ob die vom Mitbeteiligten in den Streitjahren ausgeübte Tätigkeit (stundenweise sozialpädagogische Einzelbetreuung von Jugendlichen, die das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet haben) mit dem gemäß § 10 Abs. 2 Z 14 UStG 1994 begünstigten Steuersatz (10%) zu besteuern ist oder nicht.
22 § 10 Abs. 2 Z 14 UStG 1994 sieht eine Steuersatzbegünstigung für Leistungen der Jugend-, Erziehungs-, Ausbildungs-, Fortbildungs- und Erholungsheime an Personen, die das 27. Lebensjahr nicht vollendet haben, vor, soweit diese Leistungen in der Betreuung, Beherbergung, Verköstigung und den hierbei üblichen Nebenleistungen bestehen. Aufgrund des in § 10 Abs. 2 Z 14 UStG 1994 verwendeten Begriffes Heim ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber nicht jede Form der Jugendbetreuung begünstigen wollte. Unter der Betreuung im Rahmen eines Heimes wird ein aus verschiedenen Leistungen bestehendes Leistungsbündel verstanden. Dabei setzt das Anbot derartiger Betreuungsleistungen das Vorhandensein entsprechender räumlicher Einrichtungen (Lern-, Spiel-, Aufenthalts- und Schlafräume, Speisesäle etc.) voraus. Die Intention des Gesetzgebers kann - worauf vom Finanzamt zutreffend hingewiesen wird - darin gesehen werden, die Betreuungskosten in Jugendheimen, welche die Aufwendungen eines entsprechend kostenintensiven Raum- und Leistungsangebotes umfassen, durch die Steuersatzermäßigung des § 10 Abs. 2 Z 14 UStG 1994 zu entlasten. Zweck der in Rede stehenden Steuersatzermäßigung ist es hingegen nicht, jegliche an Jugendliche erbrachte Einzelleistung (Dienstleistung) dem ermäßigten Steuersatz zuzuordnen.
23 Der Mitbeteiligte war laut den Feststellungen im angefochtenem Erkenntnis im Rahmen eines freien Dienstvertrages als Sozialpädagoge für den Verein X tätig. In dieser Funktion hat er verhaltensauffällige Jugendliche stundenweise betreut. Die Betreuung erfolgte in der Ursprungsfamilie, in anderen Unterkünften der Jugendlichen, im Gefängnis oder in der Wohnung der Jugendlichen. Vom Mitbeteiligten, der - soweit ersichtlich - über keine kostenintensiven Arbeitsmittel verfügt, wurde somit nicht ein für Heime übliches Leistungsbündel erbracht. Daher steht dem Mitbeteiligten für seine mobil erbrachten Einzelleistungen die in § 10 Abs. 2 Z 14 UStG 1994 normierte Steuersatzbegünstigung nicht zu.
24 Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nach Unionsrecht nicht. 25 Soweit das Bundesfinanzgericht im gegenständlichen Fall
auf Art. 98 iVm Anhang III Z 15 der RL 2006/112/EG Bezug nimmt, ist ihm entgegen zu halten, dass Art. 98 iVm Anhang III Z 15 der RL 2006/112/EG die Möglichkeit einer Steuersatzbegünstigung nur für den Fall einräumt, dass der leistende Unternehmer ein gemeinnütziger Rechtsträger ist (vgl. Ruppe/Achatz, UStG5,
§ 6 Tz 423; ebenso Pernegger in Melhardt/Tumpel, UStG2,
§ 10 Rz 456). Letzteres ist in Bezug auf den Mitbeteiligten, der
erwerbswirtschaftlich als Sozialpädagoge tätig war, nicht der Fall.
26 Auch der vom Bundesfinanzgericht angesprochene Grundsatz der steuerlichen Neutralität vermag das angefochtene Erkenntnis nicht zu tragen. Wie der EuGH wiederholt ausgesprochen hat, ist der Grundsatz der steuerlichen Neutralität keine Regel des Primärrechts, die für den Umfang eines Befreiungstatbestandes bestimmend sein könnte, sondern ein Auslegungsgrundsatz, der neben anderen Auslegungsgrundsätzen im unionsrechtlichen Mehrwertsteuerrecht anzuwenden ist. Er berechtigt keinesfalls zu einer Interpretation wider den Wortlaut der Richtlinie (vgl. in diesem Sinn EuGH 17.3.2016, Aspiro, C-40/15 , Rn 31; 9.3.2017, Oxycure Belgium, C-573/15 , Rn 31; 8.2.2018, Kommission/Deutschland, C-380/16 , Rn 58).
27 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Wien, am 22. November 2018
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