VwGH Ra 2017/21/0090

VwGHRa 2017/21/009029.6.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revision von 1.) M M und 2.) N K, beide in L und vertreten durch Mag. Martin Sauseng, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20. März 2017,

1.) W226 1437114-4/3E und 2.) W226 1437115-4/3E, betreffend (u.a.) Erlassung von Rückkehrentscheidungen samt befristeten Einreiseverboten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8;
BFA-VG 2014 §9;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §25a Abs1;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet und stammen aus der im Nordkaukasus gelegenen russischen Teilrepublik Dagestan. Sie gelangten gemeinsam mit ihren am 16. April 2009 und am 12. September 2011 geborenen Töchtern unter Umgehung der Grenzkontrolle Ende Jänner 2013 nach Österreich. Hier wurde sodann am 3. Dezember 2014 eine weitere Tochter geboren. Alle sind Staatsangehörige der Russischen Föderation.

2 Die Revisionswerber und ihre beiden älteren Kinder stellten nach ihrer Einreise Anträge auf internationalen Schutz, die mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 19. Juli 2013 samt Ausweisungen in den Herkunftsstaat abgewiesen wurden. Die dagegen eingebrachte Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnissen vom 6. Mai 2014 in Bezug auf die Punkte Asyl und subsidiärer Schutz als unbegründet ab. Im Übrigen verwies es gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurück.

3 Im insoweit fortgesetzten Verfahren ergingen sodann die Bescheide des BFA vom 29. Dezember 2014, mit denen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt wurden. Unter einem wurden gegen die Revisionswerber und ihre beiden älteren Kinder Rückkehrentscheidungen erlassen und es wurde festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Schließlich setzte das BFA die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen fest. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das BVwG mit Erkenntnis vom 17. März 2015 als unbegründet ab. Diesbezügliche Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung von (außerordentlichen) Revisionen wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 16. Mai 2015, Ra 2014/21/0074 bis 0077, wegen Aussichtslosigkeit ab.

4 Mittlerweile war auch für das jüngste, in Österreich geborene Kind ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden, der - unter gleichzeitiger Erlassung einer Rückkehrentscheidung - vom BFA mit Bescheid vom 29. Dezember 2014 ebenfalls zur Gänze abgewiesen wurde. Das die diesbezügliche Beschwerde abweisende Erkenntnis des BVwG datiert vom 17. März 2015. Auch in Bezug auf diese Entscheidung versagte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 27. Mai 2015, Ra 2015/01/0107, wegen Aussichtslosigkeit die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung einer außerordentlichen Revision.

5 Ungeachtet der rechtskräftigen Ausreisebefehle verblieben die Genannten in Österreich und stellten am 13. Juli 2015 neuerlich Anträge auf internationalen Schutz. Diese Folgeanträge wies das BFA mit Bescheiden vom 30. September 2016 wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG zurück. Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das BVwG sodann mit rechtskräftigem Erkenntnis vom 14. November 2016 keine Folge.

6 Hierauf reagierten die Revisionswerber und ihre Kinder damit, dass sie am 1. Dezember 2016 mit der Begründung eine Säumnisbeschwerde einbrachten, das BFA habe es unterlassen, gemeinsam mit der Zurückweisung der Asylfolgeanträge eine Rückkehrentscheidung zu erlassen.

7 Dem trug das BFA innerhalb der dreimonatigen Frist des § 16 Abs. 1 VwGVG insofern Rechnung, als es mit Bescheiden vom 13. Februar 2017 in Bezug auf alle Familienmitglieder aussprach, dass ihnen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werden. Unter einem wurden gegen sie Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 1 FPG und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG mit zwei Jahren befristete Einreiseverbote erlassen. Des Weiteren wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Schließlich wurde gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 1 Z 6 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

8 Die gegen diese Bescheide mit einem gemeinsamen Schriftsatz erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem nunmehr - nur vom Erstrevisionswerber und von der Zweitrevisionswerberin - angefochtenen Erkenntnis vom 20. März 2017 als unbegründet ab, wobei das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aussprach, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

9 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

11 In dieser Hinsicht wenden sich die Revisionswerber in der vorliegenden außerordentlichen Revision nur gegen die vom BVwG gemäß § 9 BFA-VG vorgenommene Interessenabwägung. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber bereits in seinem Beschluss vom 25. April 2014, Ro 2014/21/0033, zum Ausdruck gebracht, dass die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG sei (vgl. daran anschließend unter vielen etwa auch den Beschluss vom 20. Dezember 2016, Ra 2016/21/0328, Rz 11, mwN).

12 Auf diese Judikatur wird in der Revision auch Bedacht genommen und vor deren Hintergrund geltend gemacht, das BVwG habe die für die Revisionswerber sprechenden integrationsbegründenden Umstände zwar berücksichtigt, sie bei der Gewichtung jedoch in unvertretbarer Weise abgeschwächt. In der weiteren Revisionsbegründung wird dieser Einwand dann dahin konkretisiert, dass dem Erstrevisionswerber vom BVwG zu Unrecht eine ausreichende Integration in wirtschaftlicher Hinsicht abgesprochen worden sei. Die vom Erstrevisionswerber vorgelegte Bestätigung eines Bauunternehmens vom 25. November 2016, wonach er bei Erteilung einer entsprechenden behördlichen Erlaubnis als Hilfsarbeiter beschäftigt werde, sei vom BVwG nämlich in unvertretbarer Weise - aufgrund antizipierender Beweiswürdigung und unter Verletzung des Parteiengehörs - dahin relativiert worden, dass es sich um keinen wirksamen Vorvertrag handle und durch diese Tätigkeit der Unterhalt für eine fünfköpfige Familie voraussichtlich nicht gedeckt werden könne. Demgegenüber hätte das BVwG aufgrund der genannten Bestätigung eine "nachhaltige wirtschaftliche Integration" des Erstrevisionswerbers feststellen müssen, sodass in Verbindung mit der vom BVwG zugestandenen sozialen Integration der Revisionswerber samt ihren Deutschkenntnissen auf dem Niveau A 2 auszusprechen gewesen wäre, dass eine Rückkehr in den Herkunftsstaat auf Dauer unzulässig sei.

13 Dem ist zu erwidern, dass das BVwG sonst alle von den Revisionswerbern ins Treffen geführten Umstände - in der Revision werden diesbezüglich freiwillige Tätigkeiten des Erstrevisionswerbers gegen geringes Entgelt, die schon erwähnten Deutschkenntnisse und der Besuch weiterführender Kurse, ein durch Unterstützungsschreiben belegtes "reges" soziales Leben an ihrem Aufenthaltsort samt der Existenz von österreichischen Freunden und das Engagement im Flüchtlingsheim sowie ihre Unbescholtenheit ins Treffen geführt - bei der Interessenabwägung ausreichend einbezogen hat. Aber selbst wenn das BVwG im Sinne des Revisionsvorbringens zusätzlich von einer in der Zukunft möglichen Beschäftigung des Erstrevisionswerbers, mit der dann der Unterhalt der - derzeit in einem Flüchtlingsheim von der Grundversorgung lebenden - Familie bestritten werden könnte, ausgegangen wäre, hätte es nicht zu einem Überwiegen der persönlichen Interessen der Revisionswerber an einem Verbleib in Österreich kommen müssen. Das vom BVwG erzielte Ergebnis der einzelfallbezogenen Interessenabwägung ist nämlich schon deshalb nicht als unvertretbar zu qualifizieren, weil der vorliegende Fall - wie sich aus der einleitenden Darstellung des Verfahrensganges ergibt -

dadurch gekennzeichnet ist, dass die Revisionswerber nur durch letztlich unberechtigte wiederholte Anträge und durch Missachtung der gegen sie bereits früher ergangenen Rückkehrentscheidung eine Aufenthaltsdauer von nunmehr knapp mehr als vier Jahren erreichen konnten. Das BVwG durfte daher hier im Besonderen die bisher erlangte Integration während "unsicheren Aufenthaltsstatus" iSd Z 8 des § 9 Abs. 2 BFA-VG als relativiert ansehen, wobei in Bezug auf die Rückkehr der Kinder auch unterstellt werden durfte, dass sie sich insoweit in einem anpassungsfähigen Alter befinden; das wird in der Revision auch nicht in Frage gestellt (vgl. den einen diesbezüglich ähnlichen Fall betreffenden hg. Beschluss vom 20. Oktober 2016, Ra 2016/21/0277 bis 0280).

14 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgezeigt, sodass sie gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unzulässig zurückzuweisen war.

Wien, am 29. Juni 2017

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