VwGH Ro 2017/21/0011

VwGHRo 2017/21/001129.6.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revision des H O in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Langeder, Rechtsanwalt in 1150 Wien, Stutterheimstraße 16-18/2/4, gegen das am 19. Jänner 2017 mündlich verkündete und am 23. Jänner 2017 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, W112 2144698-1/16E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

32013R0604 Dublin-III Art2 litn;
32013R0604 Dublin-III Art28 Abs2;
32013R0604 Dublin-III;
B-VG Art133 Abs4;
EURallg;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs3 Z3;
FrPolG 2005 §76 Abs3;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist nigerianischer Staatsangehöriger. Nachdem er bereits 2015 in Italien erfolglos um Asyl angesucht hatte, reiste er im November 2016 nach Österreich und stellte hier einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 6. Jänner 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurück. Gleichzeitig stellte das BFA fest, für die Prüfung des Antrags sei gemäß der Dublin III-VO Italien zuständig, weshalb es weiter gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung des Revisionswerbers (nach Italien) anordnete und gemäß § 61 Abs. 2 FPG feststellte, dass seine Abschiebung nach Italien zulässig sei.

2 Noch vor Erlassung des eben genannten Bescheides wurde der Revisionswerber, der ab 2. Jänner 2017 in der Betreuungsstelle Tirol untergebracht worden war, in einem Zug von Salzburg nach Wien aufgegriffen. Er wurde festgenommen und es wurde ihm bei der dann stattfindenden niederschriftlichen Einvernahme am 11. Jänner 2017 der Zurückweisungsbescheid vom 6. Jänner 2017 ausgefolgt.

3 In der Folge verhängte das BFA mit Mandatsbescheid vom 11. Jänner 2017 gegen den Revisionswerber gemäß Art. 28 Abs. 1 und 2 der Dublin III-VO iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG Schubhaft (insbesondere) zum Zweck der Sicherung der Abschiebung.

4 Die dagegen und gegen die fortgesetzte Anhaltung erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem nunmehr bekämpften Erkenntnis gemäß Art. 28 Dublin III-VO und § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG ab. Außerdem stellte das BVwG gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm Art. 28 Dublin III-VO und § 76 Abs. 2 Z 2 FPG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen und traf diesem Ergebnis entsprechende Kostenentscheidungen. Schließlich sprach das BVwG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.

5 Das BVwG stellte insbesondere fest, dass der Revisionswerber am 3. und am 5. Jänner 2017 die Übernahme einer Ladung vor das BFA für den 11. Jänner 2017 abgelehnt und erklärt habe, dem Termin nicht Folge zu leisten. Am 10. Jänner 2017 habe er dann ohne Abmeldung das Quartier der Grundversorgung (Betreuungsstelle Tirol) verlassen, um unterzutauchen. Insofern habe er sich dem Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen, weshalb - neben anderen Fluchtgefahr begründenden Gesichtspunkten - (auch) Fluchtgefahr im Sinn des § 76 Abs. 3 Z 3 FPG vorliege. Insgesamt sei von erheblicher Fluchtgefahr auszugehen und es könne nicht mit der Verhängung gelinderer Mittel das Auslangen gefunden werden. Auf Grund "des Vorverhaltens" des Revisionswerbers vor dem Hintergrund der vorliegenden durchführbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme, des Gesundheitszustandes des Revisionswerbers, der raschen Verfahrensführung und der voraussichtlich kurzen Schubhaftdauer stelle sich die Schubhaftverhängung als rechtens dar und lägen die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung in Schubhaft vor.

6 Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision, zu der keine Revisionsbeantwortungen erstattet wurden, erweist sich entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG, an den der Verwaltungsgerichtshof nach § 34 Abs. 1a VwGG nicht gebunden ist, unter dem Blickwinkel des Art. 133 Abs. 4 B-VG als nicht zulässig.

7 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Das BVwG hat die Revision zugelassen, weil es an einer Rechtsprechung (des Verwaltungsgerichtshofes) zu Art. 28 Dublin III-VO iVm § 76 Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 FPG mangle. Abgesehen davon, dass damit noch nicht dargelegt wird, welche - konkret auf die vorliegende Sache bezogene - grundsätzliche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof (erstmals) zu lösen hätte, hat sich der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach mit Art. 28 Dublin III-VO beschäftigt (vgl. etwa nur das grundlegende Erkenntnis vom 19. Februar 2015, Ro 2014/21/0075). Was aber das Verhältnis dieser Verordnungsbestimmung zum weiter angesprochenen § 76 FPG (insbesondere zu dessen Abs. 2 Z 2 und Abs. 3) anlangt, so wurden zuletzt im Erkenntnis vom 11. Mai 2017, Ro 2016/21/0021 (insbesondere Rz 22 ff.), auch für den vorliegenden Fall wesentliche grundsätzliche Klarstellungen getroffen. Insoweit liegt daher keine - erkennbare - Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung (mehr) vor (siehe etwa den hg. Beschluss vom 28. August 2014, Ro 2014/21/0068).

9 Insbesondere wurde in dem genannten Erkenntnis vom 11. Mai 2017 ausgeführt, dass ausschließlich die Tatbestände des § 76 Abs. 3 FPG "Fluchtgefahr" an sich zu konstituieren vermögen und dass der demonstrative Charakter des § 76 Abs. 3 FPG demgegenüber lediglich insofern zum Tragen kommt, als neben den dort genannten Tatbeständen andere Aspekte nur im Rahmen der abschließend vorzunehmenden konkreten Bewertung aller im Einzelfall maßgeblichen Gesichtspunkte miteinbezogen werden können. § 76 Abs. 2 Z 2 iVm Abs. 3 FPG widerspricht mithin, anders als der Revisionswerber der Sache nach meint, nicht den Anforderungen der Dublin III-VO (vgl. auch den hg. Beschluss vom 11. Mai 2017, Ra 2015/21/0188 und 0189, Rz 14).

10 Das gilt auch vor dem Hintergrund, dass Art. 28 Abs. 2 Dublin III-VO "erhebliche Fluchtgefahr" voraussetzt. Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof schon in seinem Beschluss vom 15. September 2016, Ra 2016/21/0256, unter Rz 14 ausgesprochen, es sei evident und bedürfe daher weder einer Klärung durch den Europäischen Gerichtshof noch durch den Verwaltungsgerichtshof, dass unter "erheblicher Fluchtgefahr" im Sinn des Art. 28 Abs. 2 Dublin III-VO allgemein eine solche Fluchtgefahr zu verstehen sei, die in ihrer Intensität über das hinausgehe, was unter Art. 2 lit. n dieser Verordnung als "Fluchtgefahr" definiert wird. Daraus ergibt sich umgekehrt, dass es - anders als für "Fluchtgefahr" an sich - keiner abstrakten innerstaatlichen Festlegung von Fällen "erheblicher Fluchtgefahr" bedarf und dass § 76 Abs. 3 FPG auch im Anwendungsbereich der Dublin III-VO, entgegen der Ansicht des Revisionswerbers, nicht sein Ziel verfehlt.

11 Die grundsätzliche Annahme von (abstrakter) "Fluchtgefahr" war im vorliegenden Fall schon deshalb gerechtfertigt, weil der Revisionswerber nach den unbestritten gebliebenen Feststellungen des BVwG am 10. Jänner 2017 das ihm zugewiesene Grundversorgungsquartier verließ, um unterzutauchen. Insofern war jedenfalls der Tatbestand der zweiten Alternative des § 76 Abs. 3 Z 3 FPG erfüllt.

12 Ob darüber hinaus konkret von "erheblicher Fluchtgefahr" auszugehen ist, sei - so der Verwaltungsgerichtshof in dem in Rz 10 einleitend zitierten Beschluss Ra 2016/21/0256 - stets eine Frage des Einzelfalles, daher nicht generell zu klären und als einzelfallbezogene Beurteilung grundsätzlich nicht revisibel, wenn diese Beurteilung auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage in vertretbarer Weise vorgenommen wurde. Das ist hier der Fall, zumal sich das BVwG einerseits im Rahmen einer Beschwerdeverhandlung einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffen konnte und es andererseits mit Recht - neben dem Aufgeben des Grundversorgungsquartiers - das Verlassen Italiens nach negativer Entscheidung über den Asylantrag, das nunmehrige (infolge Erlassung des Zurückweisungsbescheides vom 6. Jänner 2017) Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme und das Fehlen einer sozialen Verankerung des Revisionswerbers in Österreich berücksichtigen durfte.

13 Nach dem Gesagten vermag der Revisionswerber damit auch mit seinem als Bestreitung des Vorliegens von "erheblicher Fluchtgefahr" zu deutendem Vorbringen, das BVwG habe "von seinem Ermessen nicht im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht", keine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzuzeigen, weshalb seine Revision in Anwendung des § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nicht öffentlicher Sitzung zurückzuweisen war.

Wien, am 29. Juni 2017

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