VwGH Ra 2017/19/0279

VwGHRa 2017/19/027920.9.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, in der Revisionssache der S H in R, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Mai 2017, W232 2150367-1/8E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

32013R0604 Dublin-III Art17;
AsylG 2005 §5;
MRK Art8;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin ist somalische Staatsangehörige. Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 6. März 2017 wurde ihr Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) zuständig sei. Gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) wurde unter einem die Außerlandesbringung der Revisionswerberin angeordnet und ihre Abschiebung nach Italien gestützt auf § 61 Abs. 2 FPG für zulässig erklärt.

2 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit dem angefochtenen Erkenntnis abgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

3 Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom 9. Juni 2017, E 1952/2017-8, dem Verwaltungsgerichtshof abtrat.

4 In der vorliegenden Revision tritt die Revisionswerberin der durch das Bundesverwaltungsgericht nach Art. 8 Abs. 2 EMRK vorgenommenen Interessenabwägung entgegen. Es sei in rechtswidriger Weise von der Möglichkeit des Selbsteintritts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO nicht Gebrauch gemacht worden. Die Revisionswerberin sei nach religiösem Ritus mit einem in Österreich subsidiär schutzberechtigten Drittstaatsangehörigen verheiratet. Das Bundesverwaltungsgericht lasse außer Acht, dass die Beziehung verheirateter Paare stets unter den Begriff des Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK falle, die Revisionswerberin in Italien Eingriffe in ihre sexuelle Integrität erfahren habe, an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide und in Österreich eine Fehlgeburt erlitten habe. Aus den genannten Gründen komme dem privaten Interesse der Revisionswerberin am Verbleib bei ihrem in Österreich aufenthaltsberechtigten Partner eine höhere Schutzwürdigkeit zu.

Die vom Bundesverwaltungsgericht ins Treffen geführten öffentlichen Interessen an einem "geordneten Vollzug der europäischen Zuständigkeitsnormen zur Durchführung von Asylverfahren" seien hingegen nicht als im Grunde des Art. 8 Abs. 2 EMRK zu berücksichtigende Interessen zu qualifizieren. Im vorliegenden Fall gehe es nicht um die Beurteilung eines endgültigen Verbleibs der Revisionswerberin im Bundesgebiet, sondern um die Prüfung der Frage, in welchem Mitgliedstaat sie den Ausgang ihres Asylverfahrens vorübergehend abwarten könne. Allenfalls zu berücksichtigende öffentliche Interessen an einer Ausreise der Revisionswerberin würden daher jedenfalls eine entsprechende Schmälerung erfahren.

Weiters fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu der Frage, ob auch nach religiösem Ritus verheiratete Paare als "Familienangehörige" zu qualifizieren seien und ob Beeinträchtigungen des psychischen Gesundheitszustandes das Interesse am Verbleib bei einem in Österreich aufenthaltsberechtigten Partner verstärke. Soweit Mitglieder der Kernfamilie betroffen seien, kämen Art. 10 und Art. 11 Dublin III-VO, alternativ Art. 17 der genannten Verordnung, zur Anwendung. Da dem Ehegatten der Revisionswerberin in Österreich subsidiärer Schutz zuerkannt worden sei, sei auch mit Blick auf § 34 Abs. 4 AsylG 2005 eine Zurückweisung ihres Antrags auf internationalen Schutz gesetzlich nicht gedeckt.

Die Revision erweist sich aus nachstehenden Gründen als nicht zulässig:

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs muss bei Entscheidungen gemäß § 5 AsylG 2005 auch Art. 8 EMRK berücksichtigt werden und ist bei einer drohenden Verletzung dieser Vorschrift das im Dublin-System vorgesehene Selbsteintrittsrecht auszuüben.

9 Ausgangspunkt für die Überlegung, ob die Asylbehörde eine Zurückweisung nach § 5 AsylG 2005 vornehmen darf oder eine Entscheidung in der Sache vorzunehmen hat, ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK zunächst die Frage, ob mit einer Zurückweisung nach § 5 AsylG 2005 ein Eingriff in das Privat- und Familienleben der asylwerbenden Partei verbunden wäre. Bejahendenfalls ist nach Art. 8 Abs. 2 EMRK durch eine Interessenabwägung die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs zu prüfen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. September 2016, Ra 2015/20/0296, mwN).

10 Das Bundesverwaltungsgericht ist im vorliegenden Fall von einem Eingriff in die durch Art. 8 EMRK geschützten Interessen der Revisionswerberin ausgegangen und hat demzufolge - unter Berücksichtigung sämtlicher im Revisionsfall maßgeblicher Gesichtspunkte - eine Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK vorgenommen, welche nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde, nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. den hg. Beschluss vom 30. Mai 2017, Ra 2017/19/0054, mwN). Vor diesem Hintergrund gelingt es der Revision nicht aufzuzeigen, dass fallbezogen eine unzutreffende Gewichtung der widerstreitenden Interessen erfolgt wäre.

11 Von der Frage, ob nach religiösem Ritus verheiratete Paare unter den Begriff der "Familienangehörigen" im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 fallen, hängt die Revision im vorliegenden Fall schon deshalb nicht ab, weil die auf diese Art erfolgte Eheschließung zwischen der Revisionswerberin und ihrem Partner nicht im Herkunftsstaat erfolgt ist, sondern in Wien, nachdem sie sich zuvor in Italien kennengelernt hatten (vgl. auch Art. 2 lit. g Dublin III-VO, wonach die Familie bereits im Herkunftsland bestanden haben muss).

12 In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 20. September 2017

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