VwGH Ro 2017/13/0013

VwGHRo 2017/13/001313.9.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des Bundesministers für Finanzen in 1010 Wien, Johannesgasse 5, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 24. März 2017, Zl. RV/7100513/2017, betreffend Zuzugsfreibetrag (mitbeteiligte Partei: S in K, vertreten durch die Taxand Austria Steuerberatungsgesellschaft mbH in 1010 Wien, Teinfaltstraße 9/7), zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §5;
EStG 1988 §103 Abs3;
ZBV 2016 §1 Abs2;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Die mitbeteiligte Universitätsprofessorin nahm nach langjähriger Tätigkeit in den USA zum 1. September 2015 eine Stelle in Österreich an und beantragte mit Schreiben an das Bundesministerium für Finanzen vom 2. März 2016, zur Post gegeben am 4. März 2016, die Ausfertigung "eines Bescheides über Zuzugsbegünstigung".

2 Mit Schreiben vom 14. Oktober 2016 wurde sie zur Nachreichung eines Verzeichnisses im Sinne des § 7 Abs. 1 der am 20. September 2016 im Bundesgesetzblatt kundgemachten Zuzugsbegünstigungsverordnung 2016, BGBl. II Nr. 261 (ZBV 2016), aufgefordert.

3 Mit Schreiben vom 3. November 2016 gab sie im Sinne dieser Aufforderung u.a. den Zuzugszeitpunkt mit 1. September 2015 bekannt. Mit Mitteilung vom 4. November 2016 präzisierte sie ihren Antrag dahingehend, dass er sich (nur) auf den Freibetrag gemäß § 103 Abs. 1a EStG 1988 beziehe.

4 Mit Bescheid vom 8. November 2016 erledigte der Bundesminister für Finanzen den Antrag der Mitbeteiligten wie folgt:

"Bescheid

Der Antrag (der Mitbeteiligten) vom 2.3.2016 auf Gewährung des Zuzugsfreibetrages gemäß § 103 Abs. 1a EStG ab 1.9.2015 wird abgewiesen.

Begründung

(Die Mitbeteiligte) ist laut ihren Ausführungen am 1.9.2015 nach Österreich zugezogen. Am 2.3.2016 (Poststempel vom 4.3.2016) stellte sie einen Antrag auf Gewährung des pauschalen Zuzugsfreibetrages für Wissenschaftler und Forscher.

§ 1 Abs. 2 der Zuzugsbegünstigungsverordnung 2016, BGBl. II Nr. 261/2016, bestimmt, dass der Antrag spätestens sechs Monate nach dem Zuzug einzubringen ist. Die Antragstellung ist daher verspätet erfolgt. Der Antrag ist abzuweisen."

5 Gegen diesen Bescheid erhob die Mitbeteiligte Beschwerde an das Bundesfinanzgericht. Sie gab an, sie habe trotz mehrfacher Versuche (gemeint: vor der Antragstellung mit Schreiben vom 2. März 2016) "leider keine umfassende Auskunft vom Finanzamt hinsichtlich der Gewährung der Zuzugsbegünstigung und damit in Zusammenhang stehender allfälliger Fristen erhalten". Die Frist von sechs Monaten habe sie aber nicht versäumt, weil ihr Zuzugszeitpunkt - aus näher dargestellten Gründen - nicht wie zunächst angegeben der 1. September, sondern erst der 1. November 2015 gewesen sei.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge, ohne auf die Frage des genauen Zuzugszeitpunktes einzugehen. Es hob den Bescheid "vom 4. März 2016" (gemeint: vom 8. November 2016) ersatzlos auf und begründete dies im Wesentlichen damit, dass der am 20. September 2016 im Bundesgesetzblatt kundgemachten Verordnung nicht die Bedeutung beigemessen werden könne, dass eine mit ihr erstmals eingeführte Antragsfrist auf schon eingebrachte Anträge zurückwirke. Der "Zurückweisungsbescheid" sei "daher aufzuheben" gewesen.

7 Eine Revision dagegen erklärte das Bundesfinanzgericht für zulässig, weil zur Frage einer solchen Rückwirkung der Verordnung auf schon eingebrachte Anträge noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorliege.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision des Bundesministers für Finanzen. Die Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung und der Revisionswerber eine Gegenäußerung dazu eingebracht.

 

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 § 103 EStG 1988 lautete vor dem Steuerreformgesetz 2015/2016, BGBl. I Nr. 118/2015 (StRefG 2015/2016):

"Zuzugsbegünstigung

§ 103. (1) Bei Personen, deren Zuzug aus dem Ausland der Förderung von Wissenschaft, Forschung, Kunst oder Sport dient und aus diesem Grunde im öffentlichen Interesse gelegen ist, kann der Bundesminister für Finanzen für die Dauer des im öffentlichen Interesse gelegenen Wirkens dieser Personen steuerliche Mehrbelastungen bei nicht unter § 98 fallenden Einkünften beseitigen, die durch die Begründung eines inländischen Wohnsitzes eintreten. Dabei kann auch die für eine Begünstigung in Betracht kommende Besteuerungsgrundlage oder die darauf entfallende Steuer mit einem Pauschbetrag festgesetzt werden.

(2) Abs. 1 ist auf Personen, die den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen aus Österreich wegverlegt haben, nur dann anzuwenden, wenn zwischen diesem Wegzug und dem Zuzug mehr als zehn Jahre verstrichen sind.

(3) Der Bundesminister für Finanzen wird ermächtigt, mit Verordnung näher zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen der Zuzug aus dem Ausland der Förderung von Wissenschaft, Forschung, Kunst oder Sport dient und aus diesem Grunde in öffentlichem Interesse gelegen ist."

11 Die gemäß Abs. 3 ergangene Verordnung des Bundesministers für Finanzen, BGBl. II Nr. 102/2005, regelte einen Fall, in dem ein der Förderung von Forschung dienender Zuzug aus dem Ausland "jedenfalls" in öffentlichem Interesse liege.

Verfahrensbestimmungen enthielt diese Verordnung nicht.

12 Das StRefG 2015/2016 fügte in § 103 EStG 1988 folgenden Abs. 1a ein:

"(1a) Bei Personen, deren Zuzug aus dem Ausland der Förderung von Wissenschaft oder Forschung dient und aus diesem Grunde im öffentlichen Interesse gelegen ist, kann der Bundesminister für Finanzen, unabhängig von der Gewährung einer Begünstigung gemäß Abs. 1 aufgrund des Zuzugs für einen Zeitraum von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt des Zuzugs einen Freibetrag in Höhe von 30% der zum Tarif besteuerten Einkünfte aus wissenschaftlicher Tätigkeit festsetzen. Wird der Freibetrag gewährt, können daneben keine weiteren Betriebsausgaben, Werbungskosten oder außergewöhnliche Belastungen, die im Zusammenhang mit dem Zuzug stehen, geltend gemacht werden."

13 Zugleich wurde Abs. 2 auf die Fälle des Abs. 1a ausgedehnt und Abs. 3 wie folgt neu gefasst:

"(3) Der Bundesminister für Finanzen wird ermächtigt, das Verfahren betreffend die Erteilung der Zuzugsbegünstigung im Sinne des Abs. 1 und des Abs. 1a mit Verordnung zu regeln. Dabei ist auch näher zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen der Zuzug aus dem Ausland der Förderung von Wissenschaft, Forschung, Kunst oder Sport dient und aus diesem Grunde im öffentlichen Interesse gelegen ist. Ebenso kann die Verordnung den sachlichen Umfang und die Dauer von Zuzugsbegünstigungen im Sinne des Abs. 1 regeln. In dieser Verordnung kann festgelegt werden, dass die Beseitigung der steuerlichen Mehrbelastung im Sinne des Abs. 1 in Form der Anwendung eines Durchschnittssteuersatzes, der sich aus der tatsächlichen Steuerbelastung vor dem Zuzug ergibt, erfolgt. Dieser Steuersatz darf 15% nicht unterschreiten."

14 Eine Übergangsbestimmung enthielt das am 14. August 2015 im Bundesgesetzblatt kundgemachte StRefG 2015/2016 zu diesen Änderungen nicht.

15 In der Regierungsvorlage, 684 BlgNR 25. GP 24 ff, wurden die Änderungen u.a. wie folgt erläutert:

"Die Zuzugsbegünstigung wurde in der Vergangenheit kaum von Wissenschaftlern und Forschern in Anspruch genommen. Die Ursache dafür liegt in erster Linie darin, dass Wissenschaftler und Forscher - im Gegensatz zu Künstlern - in der überwiegenden Zahl der Fälle fast ausschließlich Inlandseinkünfte erzielen. Die bloße Möglichkeit zur Begünstigung von Auslandseinkünften konnte somit in der Regel keine Förderung des Zuzugs bewirken. (...)

Angesichts des internationalen Wettbewerbs um die ‚besten Köpfe' sollen für die Zielgruppe der Wissenschaftler und Forscher Anreize für deren Zuzug nach Österreich geschaffen werden. Ergänzend zur Beseitigung der steuerlichen Mehrbelastung der Auslandseinkünfte soll daher ein pauschaler Freibetrag vorgesehen werden, in dem der Zuzugsmehraufwand und der auf die Inlandseinkünfte entfallende Steuernachteil pauschal abgegolten werden. (...)

Über die Gewährung des Zuzugsfreibetrags wird ebenso wie bei der Zuzugsbegünstigung nach Abs. 1 auf Antrag bescheidmäßig abgesprochen. Die Gewährung eines Zuzugsfreibetrags bedarf eines gesonderten Antrags. (...)

Zweck des § 103 EStG 1988 ist der Abbau von Hindernissen, die einem Zuzug von Spitzenkräften im Bereich Wissenschaft und Forschung entgegenstehen (Zweckmäßigkeit). Die nachträgliche Vermittlung individueller Steuererleichterungen für Personen, die bereits zugezogen sind, widerspräche dieser Zielsetzung (keine Unbilligkeit). Der Zuzugsfreibetrag wird daher im Rahmen des Ermessens (§ 20 BAO) lediglich im Falle von Neuzuzügen gewährt werden können und kann somit nur solchen Personen zu Gute kommen, die ab Inkrafttreten der gegenständlichen Gesetzesänderung zuziehen, ohne dass es dazu einer ausdrücklichen Übergangsbestimmung bedürfte.

Zu den Grundsätzen einer modernen Finanzverwaltung gehören die Verfahrensökonomie und nach Möglichkeit kurze ‚Durchlaufzeiten' (rasche Entscheidungen). Wie etwa bei VO BGBl. Nr. II 474/2002 in Bezug auf § 48 BAO könnte eine umfassende Verordnung das Verfahren zur Erteilung einer Zuzugsbegünstigung wesentlich vereinfachen und beschleunigen. Durch die Einschränkung des Ermessensspielraums würden die Entscheidungen einheitlicher und transparenter. Die bisherige Verordnungsermächtigung erlaubt es dem Bundesminister für Finanzen jedoch lediglich näher zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen der Zuzug aus dem Ausland der Förderung von Wissenschaft, Forschung, Kunst oder Sport dient und aus diesem Grunde im öffentlichen Interesse gelegen ist. Die Verordnungsermächtigung soll um Kriterien (z.B. vorzulegende Nachweise), Umfang, Dauer und Verfahren betreffend Erteilung der Zuzugsbegünstigung erweitert werden, um eine rasche und effiziente Abwicklung der Anträge gewährleisten zu können. In dieser Verordnung kann auch aus Vereinfachungsgründen festgelegt werden, dass die Beseitigung der steuerlichen Mehrbelastung in Form der Anwendung eines Durchschnittssteuersatzes, der sich aus der tatsächlichen Steuerbelastung vor dem Zuzug ergibt, erfolgt. Dieser Steuersatz darf 15% nicht unterschreiten, um Verwerfungen am inländischen Arbeitsmarkt hintanzuhalten."

16 Die am 21. September 2016 in Kraft getretene ZBV 2016

lautet auszugsweise:

"Antragstellung und Bescheid

§ 1. (1) Der Bundesminister für Finanzen kann auf Antrag der zuziehenden Person die Beseitigung der steuerlichen Mehrbelastungen (§ 103 Abs. 1 EStG 1988) und einen Zuzugsfreibetrag (§ 103 Abs. 1a EStG 1988) zuerkennen. Dem Antrag ist ein Verzeichnis im Sinne des § 7 Abs. 1 samt den dazugehörigen Nachweisen beizulegen.

(2) Der Antrag ist spätestens sechs Monate nach dem Zuzug einzubringen.

(3) Ist es dem Antragsteller nicht möglich, bei der Antragstellung alle erforderlichen Unterlagen (§ 7 Abs. 1) vorzulegen, kann der Bundesminister für Finanzen auf Antrag eine Frist zur Nachreichung der Unterlagen gewähren.

(4) Der Bundesminister für Finanzen hat über einen Antrag für die gesamte Dauer der Zuzugsbegünstigung (§ 6) abzusprechen. Im Fall der Beseitigung der steuerlichen Mehrbelastungen durch Anwendung eines pauschalen Durchschnittssteuersatzes ist auch die Höhe des Durchschnittssteuersatzes im Sinne des § 5 Abs. 1 festzusetzen.

(...)

Formelle Voraussetzungen

§ 7. (1) Dem Antrag auf Zuzugsbegünstigung durch den Bundesminister für Finanzen ist ein Verzeichnis anzuschließen, das folgende Angaben zu enthalten hat:

1. Die Glaubhaftmachung, dass der Zuzug gemäß §§ 2, 3

oder 4 im öffentlichen Interesse gelegen sein wird. Belege, die

der Glaubhaftmachung dienen, sind beizulegen,

2. die Bekanntgabe des Wegzugsstaates,

3. die Bekanntgabe des Zuzugszeitpunktes,

4. die Bekanntgabe der inländischen Wohnsitze in einem

Zeitraum von zehn Jahren vor dem Zuzug und zum Antragszeitpunkt,

5. die Bekanntgabe der ausländischen Wohnsitze in einem

Zeitraum von fünf Jahren vor dem Zuzug und zum Antragszeitpunkt,

6. die Bekanntgabe der Mittelpunkte der Lebensinteressen in

einem Zeitraum von zehn Jahren vor dem Zuzug und zum

Antragszeitpunkt und

7. für Anträge auf Beseitigung der steuerlichen

Mehrbelastungen die vollständige Darstellung der Ermittlung des pauschalen Steuersatzes.

(2) Die vom Bundesminister für Finanzen zugesprochene Zuzugsbegünstigung (§ 1 Abs. 4) darf vom Finanzamt nur berücksichtigt werden, wenn vom Steuerpflichtigen als Beilage zur Steuererklärung des jeweiligen Veranlagungsjahres ein ordnungsgemäß geführtes Verzeichnis vorgelegt wird, das unter Hinweis auf die den Eintragungen zugrunde liegenden Belege folgende Angaben zu enthalten hat:

1. Die Glaubhaftmachung, dass das öffentliche Interesse am

Zuzug gemäß §§ 2, 3 oder 4 im Veranlagungsjahr vorliegt.

2. Die Bekanntgabe der ausländischen und inländischen

Wohnsitze im jeweiligen Veranlagungszeitraum.

3. Die Glaubhaftmachung, dass der Mittelpunkt der

Lebensinteressen im jeweiligen Veranlagungszeitraum in Österreich war.

(...)

Schluss- und Übergangsbestimmungen

§ 10. (1) Diese Verordnung tritt mit Ablauf des Tages der Kundmachung im Bundesgesetzblatt in Kraft.

(2) Mit dem Inkrafttreten dieser Verordnung tritt die Zuzugsbegünstigungsverordnung, BGBl. II Nr. 102/2005, außer Kraft.

(3) Erfolgte der Zuzug vor dem 15. August 2015, gelten folgende Übergangsbestimmungen:

1. Die gemäß § 2 Abs. 2 Z 3 erforderliche Mindestvergütung gilt nicht.

2. Abweichend von § 5 erfolgt die Beseitigung der durch den Zuzug eintretenden steuerlichen Mehrbelastungen bei Personen, denen bereits eine Zuzugsbegünstigung gewährt wurde, durch Anwendung der im zuletzt ergangenen Bescheid vorgesehenen Entlastungsmethode.

3. Die Zuzugsbegünstigung ist für Zeiträume nach dem

31. Dezember 2016 nicht zuzuerkennen, wenn die gesamte Dauer der Begünstigung 20 Jahre überschreiten würde.

4. § 6 Abs. 1 ist nicht anzuwenden."

17 Die Revision macht erstens geltend, das Bundesfinanzgericht habe den Abweisungsbescheid vom 8. November 2016 zu Unrecht als Zurückweisungsbescheid behandelt. Zweitens wird in der Revision die Auffassung vertreten, es entspreche "dem Wortlaut und der Absicht des Gesetzgebers", die mit Verordnung vom September 2016 eingeführte Antragsfrist auch auf einen Antrag vom März 2016 anzuwenden. Erläutert wird dies dahingehend, dass der Antrag "entsprechend der früheren Verwaltungspraxis" aus Ermessensgründen abzuweisen gewesen wäre, weil die Mitbeteiligte zugezogen sei, "ohne zuvor eine Zusage auf Gewährung einer Zuzugsbegünstigung eingeholt zu haben". Die Einräumung einer Frist durch die Verordnung stelle "eine Lockerung der bisherigen Verwaltungspraxis" bei der Ermessensübung dar und trage "dem gesetzlich eingeräumten Ermessen Rechnung", weshalb der verfristete Antrag auch ab- und nicht zurückgewiesen worden sei. Die Anwendung der Frist auf alle offenen Fälle gewährleiste "eine einheitliche Behandlung aller Zuzugsfälle ab Inkrafttreten des StRefG 2015/2016".

18 Für diese Betrachtungsweise beruft sich die Revision auf den oben wiedergegebenen Satz in der Regierungsvorlage zum StRefG 2015/2016, wonach die "nachträgliche Vermittlung individueller Steuererleichterungen für Personen, die bereits zugezogen sind," der Zielsetzung des § 103 EStG 1988 widerspräche. Dieser Satz dient in der Regierungsvorlage aber der Begründung dafür, dass der neu eingeführte Freibetrag nur bei Zuzug nach seiner Einführung wirksam werden solle. Er soll nur Personen zugutekommen, auf deren Entscheidung, den Wohnsitz nach Österreich zu verlegen, sich die neu eingeführte Begünstigung als "Anreiz" auswirken konnte. Vom Erfordernis einer zeitnahen Antragstellung oder gar einer "Zusage" vor dem Zuzug ist hier in den Erläuterungen - wie auch im Gesetz - nicht die Rede.

19 Zum Teil Ähnliches gilt für die Ausführungen von Loukota, SWI 1990, 3 (5), mit denen die behauptete Verwaltungspraxis (allerdings in Bezug auf eine frühere, noch anders ausgerichtete Fassung der Zuzugsbegünstigung) in der vorliegenden Revision auch gerechtfertigt wird. Zitiert wird der Satz, es sei "nicht im Sinn des Gesetzes gelegen, eine solche Begünstigung ‚im nachhinein' zu gewähren". Loukota bezog sich auf den Fall, dass "die Steuerbegünstigung für die Wohnsitznahme gar nicht benötigt" wird, was er - insofern im Sinne des in der Revision vertretenen Standpunktes - anzunehmen schien, wenn der Zuzug "ohne vorhergehende Zusage einer Steuerbegünstigung" erfolge. Unter "Verfahrensfragen" (a.a.O., 8; insoweit wortgleich Quantschnigg/Schuch, Einkommensteuer-Handbuch, § 103 EStG 1988 Tz 14) legte er aber nur dar, Personen, die sich vor der Wohnsitznahme "absichern" wollten, "könnten" sich die Begünstigung "zunächst schriftlich in Aussicht stellen lassen".

20 Unberücksichtigt bleibt in der Revision dabei auch das spätere Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Februar 1995, 94/13/0089, wonach eine solche Zusage erst durch das SteuerreformG 1993 im Rahmen des § 112a EStG 1988 rechtliche Bedeutung erlangt habe, und das weitere Erkenntnis vom 22. November 1995, 94/15/0081, wonach das Gesetz nicht verlange, dass der Antrag noch vor der Verlegung des Wohnsitzes nach Österreich vom Ausland aus gestellt werde. Auch vom Sinn der damaligen Regelung her wäre eine solche Auslegung "nicht dazu angetan, die Rückwanderung (...) zu begünstigen".

21 Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang schließlich noch Bescheide des revisionswerbenden Bundesministers, in denen das Ermessen ohne Zusage vor dem Zuzug im positiven Sinn geübt und dazu festgehalten wurde, dies entspreche "der in allen vergleichbaren Fällen geübten Praxis" (vgl. die Wiedergabe solcher Bescheide in den Erkenntnissen vom 20. Februar 1998, 96/15/0048, und vom 26. März 2003, 99/13/0199).

22 Kann somit schon an der Existenz der in der Revision erstmals (daher auch unter Verstoß gegen das Neuerungsverbot) behaupteten Verwaltungsübung gezweifelt werden, so träfe es jedenfalls nicht zu, dass eine solche Praxis mit dem Sinn des Gesetzes vereinbar war. Die Ausführungen in dem Erkenntnis vom 22. November 1995 wären insoweit auch auf die geltende Fassung des § 103 EStG 1988 zu übertragen.

23 Dem Standpunkt des Revisionswerbers, ohne Einführung der Antragsfrist wäre der Antrag der Mitbeteiligten schon deshalb abzuweisen gewesen, weil sie zugezogen sei, "ohne zuvor eine Zusage auf Gewährung einer Zuzugsbegünstigung eingeholt zu haben", ist daher nicht zu folgen.

24 Die in der Verordnung vom September 2016 festgelegte Frist schloss Personen, die nicht innerhalb von sechs Monaten nach dem Zuzug den Antrag stellen, vielmehr erstmals von der Zuerkennung der Begünstigung aus, wobei der revisionswerbende Bundesminister offenbar annimmt, dass die Verordnungsermächtigung dafür ausreichte, dies in der Form einer materiellrechtlichen Ausschlussfrist zu normieren, und die in der Verordnung festgesetzte Frist als solche aufzufassen sei.

25 Ob dies zutreffen kann, bedarf im vorliegenden Fall keiner weiteren Erörterung, weil auch bei Annahme einer materiellrechtlichen Frist zu beachten wäre, dass Gesetze gemäß § 5 ABGB nicht zurückwirken. Wenn eine im September 2016 in Kraft getretene Verordnung erstmals eine Frist für verfahrenseinleitende Anträge vorsieht, so kann dies mangels ausdrücklich gegenteiliger Anordnung in ihr - der das grundsätzliche Verbot rückwirkender Verordnungen entgegenstünde - daher nicht bedeuten, dass ein schon im März 2016 gestellter Antrag verfristet ist, weil zwischen ihm und einem noch weiter in der Vergangenheit liegenden Ereignis zu viel Zeit verstrich (vgl. zum Grundsatz der Nichtrückwirkung insbesondere benachteiligender Regelungen etwa Hengstschläger/Leeb, AVG § 59 Rz 83, und das dort zitierte Erkenntnis vom 6. Juni 1991, 91/09/0077; aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu rückwirkenden Verordnungen etwa VfSlg 18.037/2006 oder die Erkenntnisse vom 12. Dezember 2016, V 57/2016 u.a., V 59/2016 u.a. und V 61/2016 u.a.). Mit dem am 4. März 2016 zur Post gegebenen Antrag hatte die Mitbeteiligte die erst im September 2016 eingeführte Frist, anders als der revisionswerbende Bundesminister meint, daher auch dann nicht versäumt, wenn sie - entgegen ihrer Behauptung in der Beschwerde - schon am 1. September 2015 zugezogen war.

26 Ausgehend davon, dass die im März 2016 noch nicht eingeführte, aber schon versäumte Frist eine materiellrechtliche sei, hat der revisionswerbende Bundesminister den Antrag der Mitbeteiligten aber nicht zurück-, sondern abgewiesen. Das Bundesfinanzgericht hat dies übersehen, den Verfahrensgegenstand des Beschwerdeverfahrens daher falsch beurteilt und den vermeintlichen "Zurückweisungsbescheid" ersatzlos aufgehoben, statt selbst über den Antrag der Mitbeteiligten zu entscheiden oder mit einer Zurückverweisung der Sache an den revisionswerbenden Bundesminister vorzugehen (vgl. zur Zulässigkeit einer Zurückverweisung die Ausführungen zu Fällen einer "Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens" vor die Kontrollinstanz im Beschluss vom 31. Mai 2017, Ro 2015/13/0022).

27 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 13. September 2017

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