VwGH Ra 2016/20/0231

VwGHRa 2016/20/023126.1.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, die Hofräte Mag. Eder und Mag. Straßegger, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger sowie den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin MMag.a Ortner, in den Rechtssachen der Revisionen von 1. F H,

2. H H, 3. S H, 4. A W H, alle vertreten durch Mag. Johannes Stalzer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottenring 19, gegen die Erkenntnisse je vom 24. Juni 2016, 1) Zl. W205 2114872- 1/2E, 2) Zl. W205 2114875-1/2E, 3) Zl. W205 2114877-1/2E und

4) Zl. W205 2114879-1/2E, des Bundesverwaltungsgerichts, jeweils betreffend Versagung eines Visums nach § 35 AsylG 2005, den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §35 Abs1;
AsylG 2005 §35 Abs5;
VwRallg;
AsylG 2005 §35 Abs1;
AsylG 2005 §35 Abs5;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1 Die revisionswerbenden Parteien stellten am 25. September 2014 bei der Österreichischen Botschaft Islamabad gestützt auf § 35 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) Anträge auf Erteilung eines Visums. Sie alle sind Staatsangehörige von Afghanistan und halten sich nicht in Österreich auf.

2 Von Ihnen wurde geltend gemacht, die Erstrevisionswerberin sei die Mutter der übrigen revisionswerbenden Parteien. Ein weiterer Sohn der Erstrevisionswerberin (und Bruder der anderen revisionswerbenden Parteien) halte sich bereits in Österreich auf. Ihm sei der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden.

3 Mit den nunmehr in Revision gezogenen Entscheidungen wurde (letztlich) vom Bundesverwaltungsgericht diesen Anträgen gemäß § 35 AsylG 2005 keine Folge gegeben. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht - soweit hier entscheidungswesentlich - aus, die von den revisionswerbenden Parteien für die Visumserteilung als Bezugsperson angegebene Person sei seit März 2013 als subsidiär Schutzberechtigter zum Aufenthalt in Österreich berechtigt. Die ihm nach dem AsylG 2005 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung sei zuletzt bis 29. März 2018 verlängert worden. Die Bezugsperson sei am 1. Jänner 1997 geboren. Demnach sei diese zwar im Zeitpunkt der Antragstellung durch die revisionswerbenden Parteien noch minderjährig gewesen, jedoch sei sie seit 1. Jänner 2015 volljährig. Nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Jänner 2016, Ra 2015/21/0230 und 0231, komme es in der vorliegenden Konstellation für die Familienangehörigeneigenschaft nach § 35 Abs. 5 AsylG 2005 auf das Vorliegen der Minderjährigkeit der Bezugsperson im Entscheidungszeitpunkt an. Die Erstrevisionswerberin sei daher schon aus diesem Grund nicht als Familienangehörige der bekanntgegebenen Bezugsperson im Sinn des § 35 Abs. 1 AsylG 2005 anzusehen. Die übrigen revisionswerbenden Parteien könnten als - nach eigenen Angaben - Geschwister der Bezugsperson schon von vornherein nicht als Familienangehörige im Sinn des § 35 Abs. 5 AsylG 2005 eingestuft werden.

Feststellungen dazu, ob sämtliche angeführte Personen überhaupt in einem Verwandtschaftsverhältnis stünden (dies war im vorangegangenen behördlichen Verfahren von den involvierten Verwaltungsbehörden angezweifelt worden), traf das Bundesverwaltungsgericht vor dem Hintergrund dieser rechtlichen Beurteilung nicht. Am Boden des Vorbringens der revisionswerbenden Parteien sah das Bundesverwaltungsgericht auch keinen hinreichenden Grund, wonach es in gegenständlichen Fällen geboten sein könnte, den Familiennachzug nach dem AsylG 2005 aus Gründen des Art. 8 EMRK zulassen zu müssen. In diesem Zusammenhang verwies es die revisionswerbenden Parteien auf die Einwanderungsbestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) und die Möglichkeit einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG zu stellen. Die Revision - so das Bundesverwaltungsgericht abschließend - sei jeweils (u.a.) infolge der bereits vom Verwaltungsgerichtshof geklärten Rechtslage nicht zulässig.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Die gegenständlichen Revisionen erweisen sich als nicht zulässig.

8 Zur Zulässigkeit derselben wird geltend gemacht, es sei zwar das vom Bundesverwaltungsgericht zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes klar und bedürfe keiner weiteren Auslegung. Jedoch sei mit 1. Juni 2016 "die jüngste Änderung des Asylgesetzes (BGBl. I Nr. 24/2016) in Kraft getreten, welche auch das Einreiseverfahren gemäß § 35 AsylG" betreffe. Der Verwaltungsgerichtshof habe bislang keine Möglichkeit gehabt, das "oben genannte Erkenntnis im Lichte der aktuellen Gesetzeslage zu überprüfen". Insoweit räumen die Revisionen im Weiteren allerdings ausdrücklich ein, dass der hier vom Bundesverwaltungsgericht als Entscheidungsgrundlage herangezogene § 35 Abs. 5 AsylG 2005 im Zuge der mit BGBl. I Nr. 24/2016 erfolgten Novellierung des AsylG 2005 nicht geändert wurde. Nach Ansicht der revisionswerbenden Parteien handle "es sich bei den zitierten Erläuterungen aber nicht um eine Neuregelung durch das BGBl. I Nr. 24/2016, welche den Übergangsbestimmungen gemäß § 75 Abs. 24 unterlieg(e), sondern um eine Konkretisierung dessen, was seit jeher der Willen des Gesetzgebers" gewesen sei.

9 Damit suchen die revisionswerbenden Parteien der Sache nach aufzuzeigen, dass die bisherige Rechtsprechung unzutreffend sei und der Verwaltungsgerichtshof von dieser Rechtsprechung abgehen möge.

10 Die Ausführungen der revisionswerbenden Parteien bieten dafür allerdings keinen hinreichenden Anlass.

11 Die Revision verweist zur Stützung ihrer Ansicht auf die Erläuterungen der Regierungsvorlage zur mit BGBl. I Nr. 24/2016 erfolgten Neuschaffung des § 35 Abs. 2a AsylG 2005 (RV 996 dB

25. GP, 5 - diese finden sich wortgleich im Gesamtändernden Abänderungsantrag des Innenausschusses, 4/AUA 25. GP, 13, der zudem im Ausschussbericht, AB 1097 dB 25. GP, wörtlich wiedergegeben wurde). Diese lauten:

"Abs. 2a:

Handelt es sich bei der Bezugsperson um einen unbegleiteten minderjährigen Fremden, dem internationaler Schutz zuerkannt wurde, sollen im Falle des Familiennachzuges der Eltern des Minderjährigen die zusätzlichen Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 (Unterkunftsnachweis, Krankenversicherung sowie feste und regelmäßige Einkünfte im Sinne des § 11 Abs. 5 NAG) jedoch nicht erfüllt werden müssen. Daher ist vorgesehen, dass in solchen Fällen die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 als erfüllt gelten. Die Minderjährigkeit des zusammenführenden Fremden muss dabei im Zeitpunkt der Antragstellung des Familiennachzugs der Eltern vorliegen."

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 28. Jänner 2016, Ra 2015/21/0230 und 0231, ausführlich unter Einbeziehung der diesbezüglichen Materialien mit der - im Rahmen der mit BGBl. I Nr. 24/2016 erfolgten Novellierung des AsylG 2005 unverändert gebliebenen - Bestimmung des § 35 Abs. 5 AsylG 2005 auseinandergesetzt. Dabei hat der Verwaltungsgerichtshof auch auf die unionsrechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere die von den revisionswerbenden Parteien angesprochene Richtlinie 2003/86/EG (Familienzusammenführungsrichtlinie), Bedacht genommen. Weiters hat er darauf hingewiesen, dass der Verfassungsgerichtshof infolge eines anlässlich an ihn herangetragenen Falles offenkundig keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Bestimmung des § 35 Abs. 5 AsylG 2005 gehegt hat.

Der Verwaltungsgerichtshof ist im genannten Erkenntnis vom 28. Jänner 2016 zum Ergebnis gekommen, dass bei der Beurteilung, ob ein Einreisetitel zu den in § 35 Abs. 1 AsylG 2005 genannten Zwecken an einen Elternteil eines minderjährigen Kindes auszustellen ist, - vor dem Hintergrund, dass gemäß § 35 Abs. 1 AsylG 2005 (sowohl in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 24/2016 als auch danach) nur "Familienangehörige gemäß Abs. 5" den maßgeblichen Antrag stellen "können" - an der Relevanz der in § 35 Abs. 5 AsylG 2005 enthaltenen Definition des "Familienangehörigen" kein Zweifel bestehen kann, und dass ein Verständnis dahingehend, dass bei antragstellenden Eltern bezüglich des Kriteriums der Minderjährigkeit ihres in Österreich Asyl oder subsidiären Schutz erhalten habenden Kindes auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen wäre, nicht in Betracht kommt (vgl. insbesondere Pkt. 3 der Entscheidungsgründe des angeführten Erkenntnisses vom 28. Jänner 2016). Insbesondere hat der Verwaltungsgerichtshof auch mit näherer Begründung darauf hingewiesen, dass eine erweiternde Auslegung des § 35 Abs. 5 AsylG 2005 - sofern man sie überhaupt für möglich erachten würde - dergestalt, dass es im Verfahren nach § 35 AsylG 2005 auch bei antragstellenden Eltern eines minderjährigen Kindes für die Eigenschaft als "Familienangehöriger" hinsichtlich der Minderjährigkeit auf den Antragszeitpunkt ankomme, nicht in Betracht gezogen werden könne.

13 Die oben zitierten Erläuterungen vermögen an dieser Beurteilung nichts zu ändern, weil eine solche Auffassung mit dem Gesetz - wie im wiederholt zitierten Erkenntnis Ra 2015/21/0230 und 0231 umfassend dargelegt wurde und auf dessen Entscheidungsgründe im Einzelnen gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird - nicht im Einklang steht. Sollte der Gesetzgeber beabsichtigt haben, insoweit eine Gesetzesänderung herbeizuführen, hat eine solche in der mit BGBl. I Nr. 24/2016 erfolgten Novellierung des AsylG 2005 keinen Niederschlag gefunden.

14 Die Erstrevisionswerberin war sohin - ihr (behauptetermaßen) in Österreich lebender Sohn, dem hier der Status als subsidiär Schutzberechtigter zuerkannt worden war, war im Entscheidungszeitpunkt zweifellos (und unstrittig) nicht mehr minderjährig - nicht als Familienangehörige im Sinn des § 35 Abs. 5 AsylG 2005 anzusehen. Zudem ist das Bundesverwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass auch die (behaupteten) Geschwister der in Österreich lebenden Bezugsperson aufgrund des - insoweit von vornherein als klar einzustufenden - Gesetzeswortlautes nicht als Familienangehörige gemäß § 35 Abs. 5 AsylG 2005 gelten.

15 Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts weicht somit betreffend die Erstrevisionswerberin von der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ab. Hinsichtlich der übrigen revisionswerbenden Parteien konnte sich dieses Gericht auf eine klare Rechtslage stützen.

16 Da die Abweisung der von den revisionswerbenden Parteien gestellten Anträge schon aus den genannten Gründen zu Recht erfolgte, kommt es auf die sonst in den Revisionen aufgeworfenen Rechtsfragen nicht an. Deren Schicksal hängt - auch unter Berücksichtigung des § 75 Abs. 24 dritter und vierter Satz AsylG 2005 - von der Lösung dieser Rechtsfragen nicht weiter ab.

17 Die gegenständliche Rechtsfälle werfen sohin keine Fragen auf, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung - in einem nach § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat - zurückzuweisen.

Wien, am 26. Jänner 2017

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