VwGH Ra 2016/19/0221

VwGHRa 2016/19/022126.4.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Tanzer, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18. Juli 2016, W215 2009183-1/6E, betreffend eine Angelegenheit nach dem Asylgesetz 2005 (mitbeteiligte Partei: J O, vertreten durch Mag. Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunnerstraße 26/3), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §20 Abs1;
B-VG Art135 Abs2;
B-VG Art135 Abs3;
BVwGG 2014 §17 Abs2;
BVwGG 2014 §17 Abs3;
Geschäftsverteilung BVwG §6 Abs1 Z4;
Geschäftsverteilung BVwG §6 Abs2;
GO BVwG 2014 §17;
VwGG §42 Abs2 Z2;
ZPO §260 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts aufgehoben.

Begründung

1 Die Mitbeteiligte, eine Staatangehörige von Ghana, stellte am 26. Mai 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen im Wesentlichen damit, dass sie homosexuell sei, weshalb ihr Vater sie verprügelt und mit dem Umbringen bedroht habe. Homosexualität sei in Ghana verpönt, ihr drohe dort eine umfassende Diskriminierung.

2 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wurde der Antrag der Mitbeteiligten auf internationalen Schutz abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen und ausgesprochen, dass die Abschiebung in den Herkunftsstaat zulässig sei. Die Verwaltungsbehörde erachtete die Angaben der Mitbeteiligten als vage und widersprüchlich und ging daher von der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens aus.

3 In der dagegen erhobenen Beschwerde verwies die Mitbeteiligte unter anderem darauf, dass sie homosexuell und daher im Herkunftsland gefährdet sei. Sie sei entgegen § 20 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) nicht von der Möglichkeit, die Einvernahme durch einen männlichen Organwalter begehren zu können, informiert worden. Die einvernehmende Referentin habe nicht darauf hingewiesen, ein spezielles Training im Umgang mit homosexuellen Asylwerberinnen erhalten zu haben und die Einvernahme sei auch nicht "non offensive" gestaltet gewesen. Die Mitbeteiligte habe Hemmungen vor Frauen über ihre Sexualität zu sprechen und ersuche daher im Beschwerdeverfahren bzw. im weiteren Verfahren um Einvernahme durch männliche Richter unter Beiziehung männlicher Dolmetscher. Ihr sei es nur schwer möglich, sofort offen über sexuelle Verfolgung zu sprechen. Sie habe sich geschämt, was zu der "mageren" Erzählung geführt habe.

4 Mit dem in Revision gezogenen Beschluss hob das Bundesverwaltungsgericht den verwaltungsbehördlichen Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück. Die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für nicht zulässig erklärt.

Das Bundesverwaltungsgericht führte begründend aus, es lasse sich dem Verfahrensakt nicht entnehmen, dass die damals minderjährige Mitbeteiligte bei der Ersteinvernahme am 27. Mai 2014 vom Organwalter davon in Kenntnis gesetzt worden sei, dass die Möglichkeit bestünde, künftig von einer Organwalterin befragt zu werden. Ebensowenig sei die Mitbeteiligte bei der niederschriftlichen Einvernahme am 6. Juni 2014 von der Organwalterin gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 2005 darüber informiert worden, dass sie die Einvernahme durch einen männlichen Organwalter verlangen könne. Die Nichtbeachtung von § 20 Abs. 1 AsylG 2005 mache eine ergänzende niederschriftliche Befragung unentbehrlich, die Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde fuße auf einem mangelhaften Ermittlungsverfahren. Außerdem basierten die Feststellungen zur Homosexualität in Ghana auf Quellen vom Dezember 2011 und Jänner 2013 und seien daher im Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr hinreichend aktuell. Der vorliegende Sachverhalt sei so mangelhaft, dass weitere Ermittlungen unerlässlich erscheinen würden.

5 Gegen diesen Beschluss richtet sich die gegenständliche, vom Bundesverwaltungsgericht gemeinsam mit den Verfahrensakten vorgelegte außerordentliche Revision des BFA.

Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurück- bzw. Abweisung der Revision beantragt.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In der Revision wird zur Zulässigkeit unter anderem vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die Voraussetzungen für ein Vorgehen nach § 20 AsylG 2005 abgewichen. Tatbestandsvoraussetzung dieser Bestimmung sei, dass die Furcht vor Verfolgung auf einem Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung gründe. Die Mitbeteiligte habe aber schwerwiegende Eingriffe nichtsexueller Natur befürchtet. Sollte die Anwendbarkeit des § 20 AsylG 2005 gegeben sein, so sei zu beachten, dass die Mitbeteiligte in ihrer Beschwerde um die Einvernahme durch einen männlichen Richter ersucht habe. Durch eine "Unzuständigkeitseinrede" des Richters, dem ursprünglich die Beschwerde der Mitbeteiligten zugeteilt worden sei, und die anschließende Neuzuteilung an eine weibliche Richterin sei das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 20 Abs. 2 AsylG 2005 abgewichen. Gehe man von der Nichtanwendbarkeit des § 20 AsylG 2005 aus, sei ebenfalls zu Unrecht neu zugeteilt worden.

7 Die vorliegende Revision ist zulässig und auch begründet. 8 Art. 135 B-VG in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012 lautet

auszugsweise wie folgt:

"Artikel 135. (1) (...)

(2) Die vom Verwaltungsgericht zu besorgenden Geschäfte sind durch die Vollversammlung oder einen aus ihrer Mitte zu wählenden Ausschuss, der aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten und einer gesetzlich zu bestimmenden Zahl von sonstigen Mitgliedern des Verwaltungsgerichtes zu bestehen hat, auf die Einzelrichter und die Senate für die gesetzlich bestimmte Zeit im Voraus zu verteilen. Die vom Verwaltungsgerichtshof zu besorgenden Geschäfte sind durch die Vollversammlung oder einen aus ihrer Mitte zu wählenden Ausschuss, der aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten und einer gesetzlich zu bestimmenden Zahl von sonstigen Mitgliedern des Verwaltungsgerichtshofes zu bestehen hat, auf die Senate für die gesetzlich bestimmte Zeit im Voraus zu verteilen.

(3) Eine nach der Geschäftsverteilung einem Mitglied zufallende Sache darf ihm nur durch das gemäß Abs. 2 zuständige Organ und nur im Fall seiner Verhinderung oder dann abgenommen werden, wenn es wegen des Umfangs seiner Aufgaben an deren Erledigung innerhalb einer angemessenen Frist gehindert ist.

(4) (...)."

9 § 17 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, hat folgenden Wortlaut:

"Zuweisung und Abnahme von Rechtssachen

§ 17. (1) Jede im Bundesverwaltungsgericht anfallende Rechtssache wird dem nach der Geschäftsverteilung zuständigen Einzelrichter oder Senat zugewiesen.

(2) Zeigt der Einzelrichter oder der Vorsitzende des Senates dem Präsidenten seine Befangenheit an, ist die Rechtssache dem nach der Geschäftsverteilung ersatzweise zuständigen Mitglied zuzuweisen. Zeigt ein Beisitzer oder ein Rechtspfleger dem Präsidenten seine Befangenheit an, hat der Präsident den zuständigen Einzelrichter oder Vorsitzenden des Senates darüber zu informieren.

(3) Der Geschäftsverteilungsausschuss kann einem Einzelrichter oder Senat eine ihm zufallende Rechtssache durch Verfügung abnehmen, wenn der Einzelrichter oder Senat verhindert oder wegen des Umfangs seiner Aufgaben an deren Erledigung innerhalb einer angemessenen Frist gehindert ist."

10 § 6 der Geschäftsverteilung 2014 des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG-GV 2014) hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

"§ 6. Unzuständigkeit

(1) Eine Richterin oder ein Richter ist im Sinne dieser

Geschäftsverteilung unzuständig, wenn

1. bis 3. (...)

4. sie oder er wegen eines behaupteten Eingriffs in die

sexuelle Selbstbestimmung gemäß § 20 AsylG 2005 für die

betreffende Rechtssache nicht zuständig ist;

5. (...)

(2) Setzt die Richterin oder der Richter, deren/dessen Gerichtsabteilung die Rechtssache zugewiesen worden ist, einen außenwirksamen Akt oder erhebt sie oder er nicht rechtzeitig eine Unzuständigkeitsanzeige, so wird diese Richterin oder dieser Richter für die betreffende Rechtssache zuständig, sofern keine Unzuständigkeit iSd. Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt. Besteht eine Zuweisungssperre, so wird sie oder er erst mit ihrem Wegfall zuständig. Die Übermittlung einer Mitteilung an das BFA hinsichtlich des Einlangens einer Beschwerde nach § 16 Abs. 4 und § 22 BFA-VG stellt keinen außenwirksamen Akt im Sinne dieser Geschäftsverteilung dar. Innerhalb der Zuweisungsgruppe SUB stellen Ermittlungstätigkeiten bis zur Dauer von acht Wochen keinen außenwirksamen Akt im Sinne dieser Geschäftsverteilung dar.

(3) ...

(4) Die Wahrnehmung der Unzuständigkeit der Richterinnen und Richter und das weitere Verfahren richten sich nach den diesbezüglichen Bestimmungen der Geschäftsordnung des Bundesverwaltungsgerichtes."

11 § 17 der Geschäftsordnung des Bundesverwaltungsgerichtes (GO-BVwG) lautet:

"§ 17. Wahrnehmung der Unzuständigkeit

(1) Erachtet eine Richterin oder ein Richter, dass sie/er für die Erledigung einer zugewiesenen Rechtssache nach den Bestimmungen der Geschäftsverteilung nicht zuständig ist, so hat sie/er den betreffenden Verfahrensakt der Geschäftsstelle samt einem mit einer Begründung versehenen Aktenvermerk, warum eine Zuständigkeit nicht vorliegt, zuzuleiten, unbeachtlich dessen, ob es sich um die Zuständigkeit als Einzelrichter/-in oder als Vorsitzende/Vorsitzender eines Senates handelt (Unzuständigkeitsanzeige).

(2) Die Unzuständigkeitsanzeige hat bei Eilsachen im Sinne der Geschäftsverteilung innerhalb von zwei Arbeitstagen, andernfalls innerhalb von zwei Wochen nach erfolgter Zuweisung oder nach erlangter Kenntnis des nachträglichen Entstehens einer Unzuständigkeit zu erfolgen. Nach Ablauf dieser Frist hat eine neuerliche Zuweisung der Rechtssache wegen Unzuständigkeit nur dann zu erfolgen, wenn dies gesetzlich zwingend vorgesehen ist. Die Frist, binnen der eine Unzuständigkeit anzuzeigen ist, ruht während der gerechtfertigten Abwesenheit einer Richterin oder eines Richters.

(3) Die Geschäftsstelle hat die betreffende Rechtssache unter Bedachtnahme auf die Unzuständigkeitsanzeige nach der Geschäftsverteilung neu zuzuweisen; Fristen nach Abs. 2 beginnen nach einer neuerlichen Zuweisung erneut zu laufen.

(4) Erachtet sich die Richterin oder der Richter, der/dem eine Rechtssache auf Grund einer Unzuständigkeitsanzeige nach Abs. 3 zugewiesen wurde, ebenfalls als unzuständig, so hat diese Richterin oder dieser Richter dies ebenso nach Abs. 1 anzuzeigen. Der diese Rechtssache betreffende Verfahrensakt ist daraufhin von der Geschäftsstelle mit den beiden Unzuständigkeitsanzeigen der sich jeweils als unzuständig erachtenden Richterinnen oder Richter unverzüglich dem Präsidenten vorzulegen.

(5) Der Präsident entscheidet endgültig über die Zuständigkeit für die betreffende Rechtssache. Die Geschäftsstelle hat daraufhin in Entsprechung der Entscheidung des Präsidenten die Rechtssache endgültig zuzuweisen und die betroffenen Richterinnen und Richter darüber in Kenntnis zu setzen."

12 § 20 AsylG 2005 in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. Nr. I 68/2013 lautet:

"Einvernahmen von Opfern bei Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung

§ 20. (1) Gründet ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung, ist er von einem Organwalter desselben Geschlechts einzuvernehmen, es sei denn, dass er anderes verlangt. Von dem Bestehen dieser Möglichkeit ist der Asylwerber nachweislich in Kenntnis zu setzen.

(2) Für Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt Abs. 1 nur, wenn der Asylwerber den Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung bereits vor dem Bundesamt oder in der Beschwerde behauptet hat. Diesfalls ist eine Verhandlung von einem Einzelrichter desselben Geschlechts oder einem aus Richtern desselben Geschlechts bestehenden Senat durchzuführen. Ein Verlangen nach Abs. 1 ist spätestens gleichzeitig mit der Beschwerde zu stellen.

(Anm.: Abs. 3 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)

(4) Wenn der betroffene Asylwerber dies wünscht, ist die Öffentlichkeit von der Verhandlung eines Senates oder Kammersenates auszuschließen. Von dieser Möglichkeit ist er nachweislich in Kenntnis zu setzen. Im Übrigen gilt § 25 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013."

13 Die Mitbeteiligte begründete ihren Antrag auf internationalen Schutz damit, dass ihr Vater sie verprügelt und mit dem Umbringen bedroht habe, weil sie homosexuell sei. In der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht rügte die Mitbeteiligte unter anderem, nicht hinsichtlich § 20 Abs. 1 AsylG belehrt worden zu sein. Sie habe Hemmungen, vor Frauen über ihre Sexualität zu sprechen, weshalb sie die Einvernahme durch einen männlichen Richter und die Beiziehung eines männlichen Dolmetschers beantrage.

14 Aus dem angefochtenen Beschluss sowie aus den Verfahrensakten ergibt sich, dass der gegenständliche Fall zuerst einem männlichen Richter zugeteilt war, dieser jedoch - gestützt auf § 20 AsylG 2005 - gemäß § 17 der Geschäftsordnung des Bundesverwaltungsgerichts seine Unzuständigkeit anzeigte. Daraufhin wurde der Fall einer weiblichen Richterin zugeteilt, die sich nicht als unzuständig erachtete und das Verfahren führte.

15 Ausgehend davon kommt es auf die Frage, ob § 20 AsylG 2005 auf den vorliegenden Fall Anwendung findet, nicht an. Der nach der Geschäftsverteilung zuständige und mit der Rechtssache betraute männliche Richter hat sich angesichts der vorliegenden Sachverhaltskonstellation nämlich in jedem Fall, also unabhängig davon, ob es sich gegenständlich um einen Fall eines "Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung" handelt oder nicht, zu Unrecht für unzuständig erklärt. Wäre § 20 AsylG 2005 anwendbar, hätte die Erstzuteilung an den männlichen Richter dem in der Beschwerde der Revisionswerberin gestellten Verlangen entsprochen. Im Fall der Nichtanwendbarkeit des § 20 AsylG 2005 wäre gleichfalls kein Grund für eine Neuzuteilung vorgelegen. Die Neuzuteilung erweist sich somit unabhängig von der Beantwortung dieser Frage als rechtswidrig.

16 Für die Aufteilung der von den Verwaltungsgerichten zu besorgenden Geschäfte "auf die Einzelrichter und Senate" gilt der Grundsatz der festen Geschäftsverteilung (Art. 135 Abs. 2 B-VG). Die feste Geschäftsverteilung hat für jene Fälle, in denen eine Zuständigkeit der Einzelrichter besteht, genau zu bestimmen, welche Einzelrichter zuständig sind, darüber hinaus aber auch die Vertreter im Fall einer Verhinderung und die Reihenfolge, in der diese eintreten (vgl. Thienel, Neuordnung der Verwaltungsgerichtsbarkeit (2013) 20). Art. 135 Abs. 3 B-VG und § 17 Abs. 3 BVwGG sehen vor, dass einem Einzelrichter oder Senat eine ihm zufallende Rechtssache abgenommen werden kann, wenn der Einzelrichter oder Senat verhindert oder wegen des Umfangs seiner Aufgaben an deren Erledigung innerhalb einer angemessenen Frist gehindert ist (vgl. zur "Überlastung" eines Richters zB den hg. Beschluss vom 9. März 2016, Ra 2015/20/0275). § 17 Abs. 2 BVwGG ermöglicht zudem eine Neuzuteilung wegen Befangenheit. Die Abnahme von Sachen stellt eine ausnahmsweise Durchbrechung der von der Geschäftsverteilung für einen bestimmten Zeitraum geschaffenen festen Zuständigkeitsstruktur dar, was eine restriktive Auslegung des Art. 135 Abs. 3 B-VG gebietet (vgl. Piska, Art. 87/3 B-VG in Korinek/Holoubek (Hrsg.), Bundesverfassungsrecht Rz 29 (1999)). Keine Abnahme im Sinn des Art. 135 Abs. 3 B-VG liegt hingegen vor, wenn eine irrtümliche Zuteilung zu einem für den konkreten Fall nicht zuständigen Einzelrichter oder Senat korrigiert und die Sache dem zuständigen Richter (Senat) zugewiesen wird (vgl. Thienel, aaO, 22).

17 Da die im vorliegenden Fall erfolgte Neuzuteilung auf keinen der genannten Gründe gestützt werden kann und auch keine andere Vorschrift ersichtlich ist, welche die Neuzuteilung rechtfertigen würde, verstößt sie gegen den Grundsatz der festen Geschäftsverteilung und bewirkt somit eine Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts (vgl. Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Bundesverfassungsrecht11 (2015) Rz. 1023 und Mayer, Muzak, B-VG5 (2015) § 42 VwGG III.4).

Daran ändert auch § 6 Abs. 2 BVwG-GV 2014 nichts. Dieser sieht zwar vor, dass der Richter oder die Richterin, deren Gerichtsabteilung die Rechtssache zugewiesen worden ist, (von bestimmten Ausnahmefällen abgesehen) zuständig wird, wenn sie einen außenwirksamen Akt setzt oder nicht rechtzeitig eine Unzuständigkeitanzeige erhebt. In der Zusammenschau mit § 17 GO-BVwG ergibt sich jedoch, dass § 6 Abs. 2 BVwG-GV 2014 an die Richterinnen und Richter adressiert ist und keine nach außen wirkende und somit den Parteien gegenüber bindende Zuständigkeit begründet. Eine andere Sichtweise verbietet sich aber schon deshalb, weil ansonsten nicht zu sehen ist, in welcher gesetzlichen Vorschrift dies Deckung fände (vgl. etwa für das zivilgerichtliche Verfahren den § 260 Abs. 2 ZPO).

18 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts aufzuheben.

Wien, am 26. April 2017

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte