VwGH Ra 2016/18/0381

VwGHRa 2016/18/038119.9.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag Nedwed und die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wech, über die Revision 1. der A K, 2. des A D, und 3. des Y D, alle vertreten durch Mag. Dr. Hanno Wollmann MA LL.M., Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottenring 19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. November 2016, Zlen. W105 2135609- 1/3E (zu 1.), W105 2135606-1/3E (zu 2.), und W105 2135608-1/3E (zu 3.), betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

32013R0604 Dublin-III Art18 Abs1 litb;
32013R0604 Dublin-III Art20 Abs3;
AsylG 2005 §5 Abs1;
EURallg;
FrPolG 2005 §61 Abs2;
FrPolG 2005 §61 Abs3;
MRK Art8;
VwGG §41;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die revisionswerbenden Parteien sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige einer Familie (Eltern und Kind). Sie stellten am 14. Juni 2016 Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Die Erstrevisionswerberin war zum Zeitpunkt der Antragstellung schwanger und wurde der diesbezügliche Geburtstermin für den 20. Jänner 2017 errechnet.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies die Anträge mit Bescheiden vom 29. August 2016 gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück und erklärte Polen für die Prüfung der Anträge gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-Verordnung als zuständig, weil die revisionswerbenden Parteien in Polen erkennungsdienstlich behandelt worden seien. Gleichzeitig ordnete es gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz (FPG) die Außerlandesbringung der revisionswerbenden Parteien an und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Polen gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.

3 Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies die dagegen erhobenen Beschwerden mit dem angefochtenen Erkenntnis ab und sprach gemäß § 61 Abs. 3 FPG aus, dass die Durchführung der Außerlandesbringung der revisionswerbenden Parteien bis acht Wochen nach der Geburt des Kindes der Erstrevisionswerberin aufgeschoben werde; die Revision wurde für nicht zulässig erklärt.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit geltend gemacht wird, es fehle eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage des asyl- und fremdenrechtlichen Status des nachgeborenen Kindes, dessen bevorstehender Geburt sich das BFA und das BVwG bewusst gewesen seien. Die Revisionswerber hätten Anspruch darauf, dass die Familie durch Abschiebung nach Polen nicht zerrissen werde. Unter diesen Voraussetzungen hätte sich das BVwG damit befassen müssen, dass die Anordnung der Außerlandesbringung sich nicht auf das Neugeborene erstrecke. Auch habe Polen bislang keine Erklärung abgegeben, wonach es sich auch in Bezug auf das Neugeborene zuständig erachte. All das könne dazu führen, dass das Neugeborene von seiner Familie getrennt werde, was zwingend den Selbsteintritt der Republik Österreich für das Asylverfahren der gesamten Familie zur Folge haben müsse.

5 Die Revision erweist sich als unzulässig:

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichts die Revision für zulässig erachtet wird.

8 Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

9 Das BVwG hat seine Entscheidung an der zum Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten (vgl. VwGH vom 21. Oktober 2014, Ro 2014/03/0076).

10 Der VwGH hat in der Folge die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BVwG gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen (VwGH vom 11. November 2016, Ro 2016/12/0010, mwN). Daraus wird auch abgeleitet, dass neue Tatsachen, die im Verfahren vor dem VwGH vorgebracht werden, bei der Entscheidung über die Revision keine Berücksichtigung finden können (vgl. etwa VwGH vom 27. Juni 2017, Ra 2017/18/0005).

11 Im vorliegenden Verfahren war die Erstantragstellerin im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG zwar schwanger. Das hinderte das BVwG jedoch - auch unter Beachtung der höchstgerichtlichen Leitlinien zur Achtung des Familienlebens der Familie nach Art. 8 EMRK - nicht, die Außerlandesbringung der revisionswerbenden Parteien nach Polen anzuordnen. Zum Einwand der Revision, dies habe - vorhersehbar - zu einer Trennung vom noch ungeborenen Kind führen können, ist lediglich anzumerken, dass die Situation nachgeborener Kinder nach Art. 20 Abs. 3 Dublin III-Verordnung untrennbar mit der Situation ihrer Eltern verbunden ist und sie daher mit nach Polen reisen können, ohne dass ein neues Zuständigkeitsverfahren für diese eingeleitet werden muss.

12 Die Revision war daher wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig zurückzuweisen.

Wien, am 19. September 2017

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