VwGH Ra 2016/16/0063

VwGHRa 2016/16/006323.8.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Thoma als Richter unter Beiziehung der Schriftführerin Mag. Baumann über die Revision des H B in G, vertreten durch die Jirovec & Partner Rechtsanwalts-Ges.m.b.H. in 1010 Wien, Bauernmarkt 24, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 31. März 2016, Zl. RV/7102771/2014, betreffend Haftung nach §§ 9 und 80 BAO, den Beschluss gefasst:

Normen

BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;
B-VG Art133 Abs1 Z1 idF 2012/I/051;
B-VG Art133 Abs4 idF 2012/I/051;
B-VG Art133 idF 2012/I/051;
ZPO §500;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2016160063.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber war Geschäftsführer der J GmbH in W, über deren Vermögen das Handelsgericht Wien mit Beschluss vom 23. Jänner 2003 den Konkurs eröffnete.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis bestätigte das Bundesfinanzgericht die auf den Betrag von insgesamt EUR 32.607,94 eingeschränkte Haftung des Revisionswerbers für Lohnsteuer in den Monaten August bis Dezember 2002 in jeweils näher bezifferten Beträgen. Weiters sprach das Gericht aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

3 Nach Darstellung des Verfahrensganges erwog das Gericht, soweit für die Behandlung der Revision von Belang,

"(s)oweit der Bf. vorbringt, dass zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Lohnabgaben 08/2002 und der Umsatzsteuer 07/2002 EUR 26.943,75 an das Finanzamt bezahlt worden seien, ist dem entgegenzuhalten, dass die Bezahlung eines Betrages in der Höhe von EUR 26.460,00 am 12. September 2002 erfolgte und zu einem Zeitpunkt die genannten Abgaben noch gar nicht gemeldet waren. Mangels Vorliegen einer Verrechnungsverweisung war dieser Betrag auf die dem Fälligkeitstag nach ältesten Abgabenschuldigkeiten zu verrechnen. Zum Zeitpunkt der Entrichtung hafteten am Abgabenkonto Abgabenschuldigkeiten in Höhe von EUR 125.833,22 unberichtigt aus.

Ebenso wurde der am 19. September 2002 überwiesene Betrag in Höhe von EUR 483,75 mit der dem Fälligkeitstag nach ältesten Abgabenschuld verrechnet.

Für die Abgabenbehörde bestand in der Reihenfolge der Buchungen am Abgabenkonto der Primärschuldnerin kein Wahlrecht. Die Verrechnung hat nach den Grundsätzen des § 214 BAO, und nicht nach dem ABGB zu erfolgen.

Verrechnungsweisungen der Primärschuldnerin oder des Bf. für haftungsrelevante Abgaben sind nicht aktenkundig.

Der Bf. hat im Beschwerdeverfahren vorgebracht, dass für die Monate September und Oktober 2002 gemeldeten Lohnabgaben von den vereinbarten, jedoch nicht von den tatsächlich zur Auszahlung gelangten Löhnen erfolgten.

Der Bf. legte zwar eine Berechnung der Lohnabgaben für die Monate September und Oktober 2002 vor, legte ungeachtet der diesbezüglichen Aufforderungen und der im Haftungsverfahren den Geschäftsführer treffenden qualifizierten Behauptungs- und Nachweispflicht, weil in der Regel nur dieser in die Gebarung des Vertretenen Einsicht hat, die ihm entsprechende Behauptungen und Nachweise ermöglicht (Ritz, BAO3, § 9 Tz 22), keinen Nachweis für die Richtigkeit der Berechnung vor.

Der vorgelegte Ausdruck aus der Buchhaltung betreffend das Bankkonto beinhaltet lediglich Sammelbuchungen und gibt keine Auskunft darüber, in welcher Höhe die Löhne September und Oktober 2002 ausbezahlt wurden.

Die Kassaberichte beinhalten, wie der Bf. selbst zugesteht, keine Lohnzahlungen, sind daher zur Klärung des Sachverhaltes nicht dienlich.

Weiters wurde auch trotz Aufforderung der Nachweis für die Behauptung, dass für November und Dezember 2002 keine Löhne ausbezahlt wurden, nicht erbracht. Es mag zwar zutreffen, dass der IEF Zahlungen für diese Monate getätigt hat, jedoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass von der GmbH keinerlei Zahlungen an die Dienstnehmer erfolgten.

Da der Bf. - trotz ausdrücklicher Aufforderung - keinerlei Nachweise zur Untermauerung seiner Behauptungen erbracht hat, ist davon auszugehen, dass die haftungsgegenständlichen Lohnsteuern auf tatsächlich noch ausbezahlte Löhne entfallen und diese infolge schuldhafter Pflichtverletzung des Bf. zwar gemeldet, jedoch nicht entrichtet wurden."

4 Abschließend begründete das Gericht seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit einer Revision.

5 In der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Revision erachtet sich der Revisionswerber in seinem Recht verletzt, trotz fehlender Voraussetzungen nicht nach den §§ 9 und 80 BAO zur Haftung für die Lohnsteuer für die Monate 08/2002 bis 12/2002 herangezogen zu werden; er beantragt, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

6 Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Hat das Verwaltungsgericht im Erkenntnis ausgesprochen, dass eine Revision nicht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist, hat die Revision nach § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision).

8 Soweit nicht Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes oder infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorliegt (§ 42 Abs. 2 Z. 2 und 3 VwGG), hat der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 erster Satz VwGG das angefochtene Erkenntnis oder den angefochtenen Beschluss aufgrund des vom Verwaltungsgericht angenommenen Sachverhalts im Rahmen der geltend gemachten Revisionspunkte (§ 28 Abs. 1 Z. 4) zu überprüfen.

9 Das Revisionsmodell der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 soll sich nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an jenem nach den §§ 500 ff ZPO orientieren (vgl. die ErläutRV 1618 BlgNR XXIV. GP  16). Ausgehend davon ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Einer Rechtsfrage des Verfahrensrechts kann nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung entfaltet, und setzt einen schwerwiegenden Verstoß gegen tragende Verfahrensgrundsätze voraus (vgl. etwa den Beschluss vom 25. Februar 2016, Ra 2016/16/0006, mwN).

10 Die vorliegende außerordentliche Revision sieht ihre Zulässigkeit im Wesentlichen in Bedenken gegen die Überzeugung des Gerichts über die für die Monate August und September entgegen § 78 Abs. 3 EStG nicht einbehaltene und entrichtete Lohnsteuer und in der Feststellung des Gerichts, es sei nicht nachgewiesen worden, dass in den Monaten November und Dezember keine Löhne ausbezahlt worden seien.

11 Betreffend die Monate August und September ist auf die diesbezüglichen, eingangs wiedergegebenen, von der Revision nicht bekämpften Ausführungen des Gerichts zu verweisen, wonach Zahlungen an das Finanzamt in diesem Zeitraum mangels Verrechnungsverweisung auf die aus früheren Perioden stammenden ältesten Abgabenschulden angerechnet wurden.

12 Betreffend die Monate November und Dezember 2002 legte das Gericht seine mangelnde Überzeugung vom Unterbleiben jeglicher Lohnzahlungen in der eingangs wiedergegebenen Begründung dar.

13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfährt die Haftung des Vertreters nur dann eine Einschränkung, wenn er den Nachweis erbringt, welcher Abgabenbetrag auch bei einer gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger uneinbringlich geworden wäre. Die qualifizierte Mitwirkungspflicht des Geschäftsführers bedeutet nicht, dass die Behörde von jeglicher Ermittlungspflicht entbunden wäre; hat der Geschäftsführer nicht nur ganz allgemeine, sondern einigermaßen konkrete, sachbezogene Behauptungen aufgestellt, die nicht schon von vornherein aus rechtlichen Gründen als unmaßgeblich einzustufen sind, so hat ihn die Behörde zu einer Präzisierung und Konkretisierung seines Vorbringens und zu entsprechenden Beweisanboten aufzufordern, die es ihr, nach allfälliger Durchführung eines danach erforderlichen Ermittlungsverfahrens, ermöglichen, zu beurteilen, ob der Geschäftsführer ohne Verstoß gegen die ihm obliegende Gleichbehandlungs-pflicht vorgegangen ist und ob und in welchem Ausmaß ihn deshalb eine Haftung trifft. Kommt der Geschäftsführer dieser Aufforderung nicht nach, so bleibt die Behörde zu der Annahme berechtigt, dass er seiner Verpflichtung schuldhaft nicht nachgekommen ist. Damit der Geschäftsführer seine qualifizierte Behauptungs- und Konkretisierungslast erfüllt, ist die Darstellung der konkreten finanziellen Situation der Gesellschaft und ihrer Gebarung im fraglichen Zeitpunkt erforderlich. Konsequenterweise haftet der Geschäftsführer ansonsten für die von der Haftung betroffenen Abgabenschulden zur Gänze (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 24. Juni 2010, 2009/16/0206, und vom 24. Februar 2011, 2009/16/0108, mwN).

14 Im Revisionsfall hatte das Gericht eine mündliche Verhandlung anberaumt und den Revisionswerber aufgefordert, folgende Beweismittel zur Verhandlung mitzubringen:

1. Berechnung der Lohnabgaben, die für September und Oktober 2002 gemäß den tatsächlich erfolgten Auszahlungen angefallen wären,

2. Nachweis der Richtigkeit der Aufstellung über die tatsächlich ausbezahlten Löhne für September und Oktober, sowie dafür, dass für November und Dezember 2002 keine Löhne ausbezahlt wurden,

3. Ablichtung der Auszüge des Bankkontos und des Kassabuches ab September 2002 bis zur Konkurseröffnung.

Der rechtsfreundlich vertretene Revisionswerber verzichtete in weiterer Folge auf die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung, legte seinerseits jedoch nur Ausdrucke aus dem Kassakonto und eine die Monate September bis November 2002 umfassenden Saldenaufstellung eines kontoführenden Instituts der Gesellschaft vor.

15 Damit hat das Gericht einerseits im Rahmen seiner Ermittlungspflicht den Revisionswerber zur Vorlage weiterer konkret genannter Beweismittel angeleitet und aufgefordert, andererseits im Rahmen des angefochtenen Erkenntnisses nachvollziehbar dargelegt, weshalb die letztlich vom Revisionswerber vorgelegten Urkunden nicht geeignet waren, Überzeugung vom Unterbleiben von Lohnzahlungen in den Monaten November und Dezember 2002 zu verschaffen. Einen schwerwiegenden Verstoß gegen tragende, durch die eingangs zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes näher präzisierte Verfahrensgrundsätze vermag die Revision im Rahmen der Darlegung ihrer Zulässigkeit nach § 28 Abs. 3 VwGG nicht darzutun.

16 Die vorliegende außerordentliche Revision ist daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 23. August 2016

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