VwGH Ra 2016/08/0053

VwGHRa 2016/08/00532.6.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Höhl, über die Revision des Arbeitsmarktservices Steyr in 4400 Steyr, Leopold-Werndl-Straße 8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Februar 2016, Zl. L503 2120669-1/4E, betreffend Zuerkennung von Arbeitslosengeld (mitbeteiligte Partei: I B in S), zu Recht erkannt:

Normen

32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art11 Abs3 lita;
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art61;
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art62;
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art65 Abs2;
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art65 Abs5 lita;
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art11 Abs3 lita;
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art61;
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art62;
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art65 Abs2;
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art65 Abs5 lita;

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hat das Bundesverwaltungsgericht den Bescheid des revisionswerbenden Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) vom 19. Jänner 2016, mit welchem der Antrag des Mitbeteiligten vom 23. November 2015 auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld wegen Unzuständigkeit des AMS zurückgewiesen worden war, gemäß § 28 Abs. 1 und 5 VwGVG aufgehoben und ausgesprochen, dass das AMS über den Antrag nach den österreichischen Rechtsvorschriften zu entscheiden habe.

2 Der Mitbeteiligte stamme aus Rumänien, wo lediglich seine Mutter lebe. Er habe zuletzt vom 24. März bis 13. Mai 2015 und vom 18. Mai bis 20. November 2015 (befristete) arbeitslosenversicherungspflichtige Erwerbstätigkeiten in Österreich ausgeübt. Er sei seit dem 23. März 2015 durchgehend mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet. Seit dem 26. November 2015 sei er an der Adresse der Wohnung (von ca. 30 m2) des Lebensgefährten seiner Cousine gemeldet. Ungefähr drei- bis viermal pro Jahr "fuhr bzw. fährt" er nach Rumänien.

3 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, beim Mitbeteiligten handle es sich nicht um einen Grenzgänger iSd Art. 1 lit. f der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 . Sein Wohnort iSd Art. 1 lit. j der genannten Verordnung sei "möglicherweise Rumänien". Das AMS habe sich bei der Zurückweisung des Antrags auf Art. 65 Abs. 5 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gestützt. Diese Bestimmung beziehe sich aber ausschließlich auf "echte" Grenzgänger, während es für "unechte" Grenzgänger eigene Regelungen in der Verordnung gebe. Aus Art. 65 Abs. 2 dritter Satz und Abs. 5 lit. b der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 sei abzuleiten, dass der "unechte" Grenzgänger nach eigener Entscheidung in den Wohnmitgliedstaat zurückkehren oder im letzten Staat der Erwerbstätigkeit verbleiben könne. Kehre er nicht in den Wohnmitgliedstaat zurück, müsse er sich gemäß Art. 65 Abs. 3 dritter Satz der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 der Arbeitsmarktverwaltung des Beschäftigungsstaates zur Verfügung stellen und erhalte Arbeitslosengeld zu dessen Lasten. Wenn der "unechte" Grenzgänger sich später für die Rückkehr in den Wohnmitgliedstaat entscheiden sollte, so erhalte er gemäß Art. 65 Abs. 5 lit. b zunächst Leistungen nach Art. 64 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 für die Dauer von drei Monaten zu Lasten des Beschäftigungsmitgliedstaates. Der Hinweis des AMS auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Jänner 2015, Zl. 2013/08/0074, sei verfehlt, weil diesem ein "echter" Grenzgänger zu Grunde gelegen sei. Der Mitbeteiligte habe sich für einen Verbleib in Österreich entschieden, sodass er Anspruch auf Leistungen in Österreich habe. Das AMS hätte den Antrag des Mitbeteiligten auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld nicht zurückweisen dürfen.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision. Der Mitbeteiligte hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

5 Das AMS führt zur Zulässigkeit der Revision aus, Art. 65 Abs. 5 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 sehe vor, dass der Arbeitslose Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates erhalte. Diesbezüglich komme nur Rumänien in Betracht. Das Verwaltungsgericht weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, und zwar "insbesondere zur Auslegung des Art. 65 Abs. 2 dritter Satz der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 , dass der ‚unechte Grenzgänger', wenn er nicht in seinen Wohnmitgliedstaat zurückkehrt, sich der Arbeitsmarktverwaltung des Beschäftigungsstaates zur Verfügung zu stellen hat und folglich Arbeitslosengeld zu dessen Lasten erhält". Auf den vorliegenden Sachverhalt hätten jene Grundsätze Anwendung zu finden, die der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 28. Jänner 2015, 2013/08/0074, dargelegt habe. Art. 65 Abs. 2 letzter Satz der Verordnung sei nicht erfüllt, weil dieser voraussetzen würde, dass der Mitbeteiligte zum Zwecke der Beschäftigung in Österreich seinen Wohnort in Rumänien aufgegeben hätte, was hier auf Grund der familiären Bindung zu seinem Heimatstaat Rumänien nicht der Fall sei.

6 Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 2. Juni 2016, Ra 2016/08/0047, ausgeführt, dass sich ein vollarbeitsloser Nicht-Grenzgänger, der während seiner letzten Beschäftigung in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat gewohnt hat und der (vorerst) nicht in den Wohnmitgliedstaat zurückkehrt, gemäß Art. 65 Abs. 2 dritter Satz der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (zunächst) der Arbeitsverwaltung des Beschäftigungsmitgliedstaats zur Verfügung stellen und (zunächst) von diesem Leistungen nach den weiteren Regelungen der Art. 61 und 62 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 beziehen kann. Es gibt nach den vom Verwaltungsgericht festgestellten Umständen keinen Hinweis darauf, dass der Mitbeteiligte iSd genannten Erkenntnisses nach Rumänien zurückgekehrt ist. Eine Rückkehr lässt sich auch nicht aus dem in der Revision erstatteten Vorbringen des AMS ableiten, der Mitbeteiligte habe nicht dargelegt, warum er nach Ende des Dienstverhältnisses in eine 30 m2 große Wohnung des Lebensgefährten seiner Cousine gezogen sei, in der ihm kein Raum zur alleinigen Benutzung zur Verfügung stehe.

7 Der für den Mitbeteiligten zuständige Mitgliedstaat ist gem. Art. 11 Abs. 3 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 der Beschäftigungsmitgliedstaat Österreich. Über seinen Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld hat das in Österreich zuständige AMS nach österreichischen Rechtsvorschriften zu entscheiden. Das Verwaltungsgericht hat den diesen Antrag zurückweisenden Bescheid des AMS zutreffend aufgehoben.

8 Die Revision war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 2. Juni 2016

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