Normen
ABGB §1151 Abs1;
AlVG 1977 §66a;
ASVG §35 Abs1;
ASVG §4 Abs1 Z1;
ASVG §4 Abs1 Z2;
ASVG §4 Abs2;
BAG 1969 §29 Abs2;
BAG 1969 §30 Abs8;
GewO 1859 §14b Abs3;
GewO 1859 §97;
JGG §2;
JGG §3;
JGG §4;
JGG §5 Abs1;
LAG;
ABGB §1151 Abs1;
AlVG 1977 §66a;
ASVG §35 Abs1;
ASVG §4 Abs1 Z1;
ASVG §4 Abs1 Z2;
ASVG §4 Abs2;
BAG 1969 §29 Abs2;
BAG 1969 §30 Abs8;
GewO 1859 §14b Abs3;
GewO 1859 §97;
JGG §2;
JGG §3;
JGG §4;
JGG §5 Abs1;
LAG;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse den Aufwand in Höhe von EUR 1.106,40 zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit Antrag vom 27. November 2012 begehrte der Erstmitbeteiligte die Feststellung einer Pflichtversicherung nach dem ASVG und dem AlVG im Zeitraum von Juni 1965 bis November 1966 und führte aus, er habe in diesem Zeitraum versicherungspflichtige Erwerbstätigkeiten ausgeübt. Er habe sich in einem Lehrverhältnis zur Stadt Wien befunden und in der Lehrwerkstätte der Berufsschule in Wien, K, den Lehrberuf Maler und Anstreicher erlernt. Während seiner Lehrzeit habe er kein Geld, sondern lediglich Unterkunft und Essen erhalten. Er habe jedoch einen Entgeltanspruch gehabt. Am 19. Oktober 1966 habe er die Gesellenprüfung abgelegt. In der Lehrwerkstatt K sei er nicht im Zuge eines Strafvollzugs, sondern auf Grund einer Unterbringung in einem Erziehungsheim beschäftigt worden. Während seiner Lehrzeit bei der Firma D. habe er die Berufsschule geschwänzt. Daraufhin sei ihm gekündigt worden. Er sei von der Fürsorge in das Heim eingewiesen worden, weil er ein schwer erziehbares Kind gewesen sei. Ihn habe kein Verschulden an der Unterbringung in einem Erziehungsheim getroffen. Seine Tätigkeiten hätten keinesfalls Resozialisierungszwecken gedient. Er habe Malertätigkeiten sowohl in der Anstalt als auch für Anstaltsbedienstete in einem Ausmaß verrichtet, das einer solchen Interpretation seiner Tätigkeit widerspreche. Er habe für die Erzieher auch privat ausgemalt und Fenster gestrichen. Er habe im Heim gewohnt. Es habe für alle möglichen Berufe die Lehrwerkstätten gegeben.
2. Mit Bescheid vom 15. April 2013 sprach die revisionswerbende Gebietskrankenkasse aus, dass der Erstmitbeteiligte auf Grund seiner Tätigkeit als Lehrling zur Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige in K in der Zeit vom Juni 1965 bis November 1966 in keinem die Vollversicherung und die Arbeitslosenversicherungspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnis gestanden sei. Der Erstmitbeteiligte sei als Zögling der Erziehungsanstalt K in der anstaltseigenen Werkstätte von einem angestellten Meister zum Lehrling ausgebildet worden. Es liege keine Eingliederung in einen Betrieb eines Arbeitgebers vor. Es fehle die Über- und Unterordnung zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer. Die von der Erziehungsanstalt ausgeübte Disziplinargewalt werde nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses ausgeübt, sondern liege in der Jugendfürsorge. Die Berufsausbildung könne nicht zwangsweise vorgenommen werden. Dem Zögling stehe es frei, sich einer solchen zu entziehen. Bei der genannten Berufsausbildung sei er zwar als Lehrling im Sinn der Gewerbeordnung zu betrachten, aber nicht als Lehrling in arbeits- und sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht.
3. Der Erstmitbeteiligte erhob Einspruch, indem er unter anderem ausführte, dem Gesellenbrief vom 19. Oktober 1966 sei zu entnehmen, dass er ausdrücklich als Lehrling bezeichnet worden sei. Das Lehrverhältnis habe im Rahmen der Rechtsordnung eine Regelung gefunden, weshalb es sich um ein Lehrverhältnis im Sinn des § 4 Abs. 1 Z 2 ASVG gehandelt habe. Die revisionswerbende Gebietskrankenkasse habe den Sachverhalt nicht vollständig ermittelt. Der Erstmitbeteiligte habe während seiner Zeit in K auch für Erzieher und Beamte arbeiten und deren Wohnräume ausmalen müssen. Er sei zur Lackierung von deren Autos und zur Anbringung von Unterbodenschutz auf privaten Kraftfahrzeugen verpflichtet worden. Auch im Heim seien Arbeiten zu erledigen gewesen, wie insbesondere das Ausmalen der Räumlichkeiten und das Streichen von Fenstern. Er sei zum Ausmalen von Einrichtungen der Justiz herangezogen worden. Er sei verpflichtet worden, Grabsteine zu polieren und aufzustellen. Er habe "Preisaufhänger" zu flechten gehabt. Sei das Arbeitspensum nicht erreicht worden, habe er keinen Besuch und keine Pakete erhalten dürfen. Seien die Arbeiten nicht ordnungsgemäß erledigt worden, sei er in den Keller gesperrt worden, wo ihm das Essen mit Holzlöffeln angeboten worden sei.
4. Mit Bescheid vom 7. November 2013 wies der Landeshauptmann von Wien den Einspruch als unbegründet ab und bestätigte den angefochtenen Bescheid. Unter Hinweis auf eine ältere Entscheidung dieser Behörde führte er aus, ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis setze eine Betätigung in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit auf der Basis von Leistung und Gegenleistung voraus. Der Zögling sei wohl formal Lehrling im Sinn der Gewerbeordnung, nicht aber Lehrling im Sinn des Arbeitsrechts und des Sozialversicherungsrechts. In der Sozialversicherung könnten als Lehrlinge nur solche Personen angesehen werden, welche in einem freien Beschäftigungsverhältnis in ähnlicher Weise wie Arbeiter, Gehilfen und derengleichen eingegliedert seien. Dies treffe jedoch bei einem Zögling, der auf einen durch seinen freien Willen unbeeinflussbaren, vom Gericht bestimmten Zeitraum in einer Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige untergebracht sei, nicht zu. Daher sei die Versicherungspflicht auszuschließen, wodurch sich die Klärung der Frage, wer als Dienstgeber jener Lehrlings-Zöglinge anzusehen sei, erübrige. Diese Grundsätze seien auch auf den zu beurteilenden Sachverhalt anzuwenden. Zwar erschienen einige Argumente "recht spitzfindig". Das Nichtvorliegen der Pflichtversicherung mit der mangelnden Freiwilligkeit zu begründen, erscheine "recht zynisch", entspreche jedoch der "geltenden Rechtsprechung".
5. Über die als Beschwerde zu behandelnde Berufung hat das Verwaltungsgericht mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis festgestellt, dass der Erstmitbeteiligte "aufgrund seiner im Rahmen der gerichtlich angeordneten Fürsorgeerziehung absolvierten Lehre in der Zeit seiner Unterbringung in der Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige K vom 09.06.1965 bis zum 31.12.1965 sowie vom 01.03.1966 bis zum 30.09.1966 der Voll-(Kranken-, Unfall-, Pensionsversicherung) und Arbeitslosenversicherung unterlag".
Bereits mit Beschluss des Jugendgerichtshofes vom 7. Juni 1957 sei über den Erstmitbeteiligten die Fürsorgeerziehung angeordnet worden. Er sei vom 8. Juli 1963 bis zum 14. Mai 1965 bei D. als Malerlehrling beschäftigt gewesen. Mit Beschluss des Jugendgerichtshofes Wien vom 2. Juni 1965 sei der (damals) in Untersuchungshaft befindliche Erstmitbeteiligte gemäß §§ 2, 28 und 37 JGG 1961 vorläufig in die Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige in K eingewiesen worden. Mit Urteil des Jugendgerichtshofes vom 25. August 1965 sei der Erstmitbeteiligte zu vier Monaten strengem Arrest verurteilt worden. Die Vollziehung der Strafe sei unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit vorläufig aufgeschoben worden. Die Einweisung in die Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige in K sei gemäß §§ 2, 28 JGG 1961 bestätigt worden. Der Jugendgerichtshof habe ausgeführt, dass der Erstmitbeteiligte einer konsequenten und energischen Erziehung bedürfe, weshalb die vorläufige Einweisung in die Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige zu bestätigen sei. Mit Beschluss des Jugendgerichtshofes Wien vom 28. Februar 1966 sei die Fürsorgeerziehung wegen Sicherstellung auf andere Weise (Heimaufenthalt durch Gerichtsurteil) nach § 30 Abs. 1 JGG aufgehoben worden.
Der Erstmitbeteiligte sei vom 2. Juni 1965 bis zum 28. Oktober 1966 in der Anstalt K angehalten worden. Vom 9. Juni 1965 bis zum 31. Dezember 1965 und vom 1. März 1966 bis zum 30. September 1966 habe er die erwähnte Lehre in der Lehrwerkstätte der Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige fortgesetzt. Die Berufsschule mit zweijährigem Aufbau für Maler habe er dem Abschlusszeugnis vom 1. Juli 1966 zufolge erfolgreich abgeschlossen. Ihm sei am 19. Oktober 1966 der Gesellenbrief als Maler, Anstreicher und Lackierer ausgestellt worden.
In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, es gehe "nach eingehender Beschäftigung mit den Beschlüssen und Urteilen des Jugendgerichtshofes" davon aus, dass es sich bei der genannten Einweisung um eine "Fürsorgemaßnahme" gehandelt habe. Der Aufenthalt des Erstmitbeteiligten in der Erziehungsanstalt habe nicht auf einer strafrechtlichen Verurteilung beruht, sondern es habe sich um eine Erziehungsmaßnahme gehandelt. Er sei nur zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt worden bei gleichzeitiger Verfügung der Fortsetzung des Aufenthalts in der Anstalt zu Erziehungszwecken. Der Erstmitbeteiligte sei zwar ab 2. Juni 1966 auf Verfügung des Strafgerichts in der Bundesanstalt gewesen, aber zu keiner Zeit zur Verbüßung einer Haft. Er sei daher wie eine Person zu behandeln, die während der Bewährungszeit im Arbeitsleben verbleiben könne. Die Tätigkeit sei auf Grund der Umstände mit einem "Mehr" an persönlicher Abhängigkeit behaftet als allgemein bei einem Lehrverhältnis üblich. Das allein gebe ihm aber nicht den Charakter einer Anhaltung im Sinne des Strafvollzuges.
Während seines Aufenthalts in der Anstalt sei der Erstmitbeteiligte einerseits einem Autoritätsverhältnis auf Grund der fürsorgerechtlichen Einweisung unterlegen, andererseits sei er während der Arbeitszeit der Autorität seines Berufsausbildners (Meisters) betreffend die fachliche Ausbildung und die fachliche Autorität unterlegen. Beide Ebenen seien zu trennen. Vor dem Hintergrund der Änderungen der Grundrechtslage durch die am 3. September 1958 in Kraft getretene EMRK könne die zuvor ergangene Rechtsprechung nicht unhinterfragt übernommen werden, zumal diese nicht zum ASVG, sondern zu Vorläufergesetzen (zur Reichsversicherungsordnung) ergangen seien. Beachtlich sei auch das Urteil des EGMR vom 7. Juli 2011 (Stummer gegen Österreich), in dem es um die pensionsversicherungsrechtliche Relevanz der Arbeit von Strafgegangenen gegangen sei. Unter Beachtung der Begründung dieses Urteils könne bei einer Person, die gar nicht als Strafgefangener angehalten worden sei, sondern als Fürsorgezögling (also in einem weniger intensiven Autoritätsverhältnis und diesbezüglich auch schutzwürdiger, weil nicht in diesem Maße oder gar nicht selbst verschuldet), nicht mehr damit argumentiert werden, dass bei einem Lehrling in einer Erziehungsanstalt das Wesen der Über- und Unterordnung wie bei einem Arbeitsverhältnis und die Einordnung in einen Betrieb fehle. Der Erstmitbeteiligte sei in die Lehrwerkstätte wie ein sonstiger Lehrling eingegliedert gewesen und sei in seinem arbeitsbezogenen Verhalten dem Ausbildner unterworfen gewesen. In der übrigen Zeit sei er in der Lebensgestaltung der Fürsorgeautorität unterworfen gewesen. Die Tatsache allein, dass er sich den Ausbildungsbetrieb für die Fortsetzung seiner Lehre nicht habe aussuchen können, könne ein "normales" Lehrverhältnis nicht ausschließen. Die Entgeltlichkeit der Tätigkeit gründe sich auf das Prinzip des Anspruchslohnes.
Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche bzw. es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehle. Das Erkenntnis entspreche nicht der - wenn auch seit 1957 bestehenden - Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.
6. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision. Der Erstmitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die revisionswerbende Gebietskrankenkasse bringt vor, dem Spruch des Verwaltungsgerichtes sei nicht zu entnehmen, wer als Dienstgeber bzw. als Dienstgeberin im Sinn des § 35 ASVG, der bzw. die den Erstmitbeteiligten als Lehrling beschäftigt haben sollte, anzusehen sei. Die Frage, ob jemand in einem Beschäftigungsverhältnis im Sinn des § 4 ASVG steht, könne gemäß § 35 Abs. 1 ASVG immer nur in Bezug auf eine andere Person, nämlich den Dienstgeber, beantwortet werden. Die Pflichtversicherung im Sinn des § 4 ASVG, die in § 4 Abs. 1 Z 2 ASVG auch Lehrlinge umfasse, könne nicht losgelöst von einem in Betracht kommenden Dienstgeber beurteilt werden. Sollte die Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige als Dienstgeberin in Betracht gezogen werden, werde darauf hingewiesen, dass dieser keine eigene Rechtspersönlichkeit (etwa im Rahmen einer Teilrechtsfähigkeit) zugekommen sei.
Durch das Jugendwohlfahrtsgesetz sei angeordnet worden, dass eine Berufsausbildung zu gewährleisten sei. Der vermeintliche Dienstgeber könne sich die Tatsache, ob und wen er ausbilde, nicht aussuchen. Die Zielsetzung der Tätigkeit des Erstmitbeteiligten sei zweifellos nicht eine für den Dienstgeber verwertbare Arbeitsleistung gewesen, sondern vielmehr die Ausbildung und in einem gewissen Maß auch die Resozialisierung des Erstmitbeteiligten. Es sei die Gesetzeslage des verfahrensgegenständlichen Zeitraumes zugrunde zu legen. Die Auslegung der historischen Bestimmungen habe sich im Grunde an den historischen Gegebenheiten zu orientieren.
2. Die Revision ist berechtigt.
§ 2 des Jugendgerichtsgesetzes 1961 (JGG 1961), BGBl. Nr. 278, lautete samt Überschrift:
"Erziehungsmaßnahmen
Vormundschaftsbehördliche Verfügungen
§ 2. (1) Begeht ein Unmündiger oder Jugendlicher eine mit Strafe bedrohte Handlung oder Unterlassung und war zumindest eine der Ursachen hiefür seine mangelhafte Erziehung, so sind, unabhängig davon, ob er bestraft wird oder nicht, die zur Abhilfe erforderlichen und den Umständen angemessenen vormundschaftsbehördlichen Verfügungen zu treffen, insbesondere nach § 4 dieses Bundesgesetzes, nach den §§ 177, 178, 178a, 217 oder 254 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches oder nach den §§ 26, 28, 29 oder 31 des Jugendwohlfahrtsgesetzes.
(2) Die vormundschaftsbehördlichen Verfügungen sind, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, aufzuheben, sobald ihr Zweck erreicht oder dessen Erreichung in anderer Weise sichergestellt ist oder wenn sich die Erreichung des Zwecks als voraussichtlich unmöglich erweist. Sobald der Rechtsbrecher das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat, erlöschen alle noch aufrechten vormundschaftsbehördlichen Verfügungen. Im übrigen kann die Entscheidung über vormundschaftsbehördliche Verfügungen auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel jederzeit geändert werden.
§ 3. Die Einweisung in eine Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige und die Anordnung der Fürsorgeerziehung (§ 29 des JWG.) sind neben der Verhängung einer einen Monat übersteigenden Freiheitsstrafe nur zulässig, wenn die Vollziehung der Freiheitsstrafe vorläufig aufgeschoben wird (§ 14 dieses Bundesgesetzes; §§ 1 und 2 des Gesetzes über die bedingte Verurteilung 1949).
Bundesanstalten für Erziehungsbedürftige
§ 4. (1) Für die einer Anstaltserziehung bedürftigen Rechtsbrecher sind neben den hiefür geeigneten Einrichtungen der Länder und Gemeinden Bundesanstalten für Erziehungsbedürftige zu errichten und zu erhalten. Diese Anstalten unterstehen dem Bundesministerium für Justiz.
(2) Die Bundesanstalten für Erziehungsbedürftige sind vor allem zur Aufnahme von Rechtsbrechern bestimmt, bei denen ein schwerer Erziehungsmangel vorliegt.
§ 5. (1) Die Anhaltung in den Bundesanstalten für Erziehungsbedürftige dient vor allem der Erziehung des Zöglings. Der Zögling ist aber während der Anhaltung auch in einem seinen Kenntnissen, Fähigkeiten und tunlichst auch seiner bisherigen Tätigkeit und seinen Neigungen entsprechenden Berufe auszubilden.
(2) In eine Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige kann nur aufgenommen werden, wer das zwanzigste Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Die Anhaltung in der Anstalt hat so lange zu dauern, wie es zur Erziehung des Zöglings nötig ist, keinesfalls aber länger als bis zur Vollendung seines einundzwanzigsten Lebensjahres.
(3) Die Zöglinge erhalten in den Anstalten Wohnung, Kleidung und Nahrung. Sie sind ihrer Altersstufe und womöglich ihrer Schulbildung entsprechend zu unterrichten; ihre körperliche Entwicklung ist durch Leibesübungen zu fördern.
(4) Die Lehrkräfte der Anstalten müssen nach den einschlägigen Vorschriften zum Unterrichte befähigt sein; die Erzieher sollen eine besondere Ausbildung als Heimerzieher genossen haben. Lehrer und Erzieher sollen über die wichtigsten für ihre Tätigkeit in Betracht kommenden Erkenntnisse der Psychologie und Psychiatrie unterrichtet sein.
§ 6. Alle mit der Einweisung in eine Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige und der Anhaltung darin verbundenen Kosten trägt der Bund. Die zum Unterhalt des Zöglings gesetzlich verpflichteten Angehörigen haben jedoch im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht diese Kosten zu ersetzen, wenn und soweit ihnen dies unter Berücksichtigung ihrer Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie ihrer Erziehungs- und anderen Sorgepflichten zumutbar ist."
Freiheitsentziehende Erziehungsmaßnahmen nach dem zweiten Hauptstück des JGG 1961 durch Einweisung in eine Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige (damals gab es die Anstalten K und W) konnte das Gericht verhängen, wenn Unmündige oder Jugendliche strafbare Handlungen begangen hatten. Das Gesetz brachte zum Ausdruck, dass bei der Behandlung junger Rechtsbrecher der Erziehungsgedanke gegenüber dem Strafbedürfnis in den Vordergrund treten soll. Zur begleitenden Anordnung der Fürsorgeerziehung verwies § 3 JGG 1961 auf das Jugendwohlfahrtsgesetz 1954.
§ 11 des Jugendwohlfahrtsgesetzes - JWG 1954, BGBl. Nr. 99, lautete samt Überschrift:
"B. Fürsorgeerziehung.
§ 11. (1) Die Fürsorgeerziehung (§§ 29 bis 33) ist von der Landesregierung durchzuführen. Diese bestimmt auch die Art der Fürsorgeerziehung. Die Einhaltung der vom Vormundschaftsgericht einem entlassenen Fürsorgezögling erteilten Weisungen (§ 30 Abs. 2) ist von der Bezirksverwaltungsbehörde zu überwachen.
(2) (...).
§ 12. (1) Die Länder haben für die Errichtung von Fürsorgeerziehungsheimen, die zur Durchführung der Fürsorgeerziehung notwendig sind, vorzusorgen. Soweit Heime der freien Jugendwohlfahrtspflege bestehen, sollen sie als Fürsorgeerziehungsheime verwendet werden, wenn sie als solche im Einzelfall von der Landesregierung anerkannt werden.
(2) ...
(3) Die Fürsorgeerziehung in einem Fürsorgeerziehungsheim ist nach pädagogischen Grundsätzen durchzuführen. Den Fürsorgezöglingen ist die Möglichkeit einer ihrem künftigen Fortkommen dienlichen Berufsausbildung zu bieten."
§ 4 Abs. 1 ASVG in der zeitraumbezogen anzuwendenden Fassung BGBl. Nr. 13/1962 lautet auszugsweise:
"§ 4. (1) In der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung sind auf Grund dieses Bundesgesetzes versichert (vollversichert), wenn die betreffende Beschäftigung weder gemäß den §§ 5 und 6 von der Vollversicherung ausgenommen ist, noch nach § 7 nur eine Teilversicherung begründet:
1. die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigten Dienstnehmer;
- 2. die in einem Lehrverhältnis stehenden Personen (Lehrlinge);
- 3. (...).
(2) Dienstnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes ist, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; hiezu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen.
(3) ..."
3. Zu der im damaligen Entscheidungszeitpunkt erstmals anzuwendenden Bestimmung des § 4 Abs. 2 ASVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 4. Dezember 1975, VwSlg 4.495A/1957, Zl. 1836/56, Folgendes ausgesprochen:
"Aus dem Wesen des Beschäftigungsverhältnisses als entgeltliche Unterordnungsbeziehung (vgl. A IV unten) ergibt sich, daß Dienstnehmer im Sinne des ASVG nur eine Person sein kann, an deren Arbeit ein Erwerbszweck beteiligt ist, wobei jedoch nicht die Notwendigkeit des Erwerbes der Beweggrund sein muß. Auch wer durch andere Motive - z.B. durch wissenschaftliches Interesse, durch künstlerische Intentionen, aus Gründen der körperlichen oder geistigen Konstitution aus Langeweile u. dgl. - bestimmt wird, in unselbständiger Stellung zu arbeiten, ist Dienstnehmer, wenn neben der Erreichung des angestrebten Zweckes - z.B. wissenschaftlicher Erkenntnis, künstlerischer Entfaltung, körperlicher oder geistiger Gesundung, Zerstreuung u.dgl. - auch der Erwerbserlös hingenommen und nicht abgelehnt wird. Diese die Funktion des Erwerbes nicht ausschließende Unterordnungsbeziehung Dienstnehmer - Dienstgeber zieht die Grenze gegenüber anderen Gestaltungsweisen sozialer Über- und Unterordnung. So sind z.B. die Über- und Unterordnungsbeziehungen Eltern - Kinder, Lehrer - Schüler, Erzieher - Zögling, Alter - Jugend, Aufseher - Häftling ebenso wie die der Ordensangehörigen zu ihren Oberen ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung nicht imstande, die Sozialversicherungspflicht zu begründen. Deshalb hatte der Verwaltungsgerichtshof - im Einklange mit dem Bundesgerichtshofe - schon unter der Geltung des alten Rechtes einen Fürsorgeerziehungszögling, dessen soziale Unterordnung nicht der Beziehung Meister - Lehrling, sondern der Beziehung Erzieher - Zögling entsprang, nicht als sozialversicherungspflichtig erkannt (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Juli 1957, Zl. 771/55). Aus denselben Gründen hatte der Verwaltungsgerichtshof - ebenfalls im Einklange mit dem Bundesgerichtshofe - die Sozialversicherungspflicht von Ordensangehörigen verneint, weil die - primär gemeinschaftsbetonte - Unterordnungsbeziehung des Ordensangehörigen zu seinem Oberen nicht identisch ist mit einem Beschäftigungsverhältnisse des Dienstnehmers zum Dienstgeber (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. November 1953, Zl. 2452/52 und 2453/52)."
Als Dienstgeber im Sinn des ASVG gilt nach § 35 Abs. 1 dieses Gesetzes derjenige, für dessen Rechnung der Betrieb (die Verwaltung, die Hauswirtschaft, die Tätigkeit) geführt wird, in dem der Dienstnehmer in einem Beschäftigungsverhältnis steht. Wie sich aus § 35 Abs. 1 ASVG und anderen Gesetzesstellen ergibt, hat der Gesetzgeber keinen Unterschied gemacht zwischen einem Betrieb im engeren Sinn ("technische Einheit") und anderen Lebensbereichen, in denen Dienstnehmer beschäftigt werden, so insbesondere den Haushalten. Die Begriffe des Dienstgebers und des Dienstnehmers im Sinne des ASVG gelten daher für jeden Lebensbereich, in dem entgeltliche Dienste in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit geleistet werden (vgl. nochmals das Erkenntnis VwSlg 4.495A/1957).
Ein wesentliches Merkmal der Dienstnehmereigenschaft - auch im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG - ist die Freiwilligkeit (Tomandl, Wesensmerkmale des Arbeitsvertrages in rechtsvergleichender und rechtspolitischer Sicht, 1971, S 36f; vgl. zum arbeitsverfassungsrechtlichen Aspekt Strasser, Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz Rz 2 und 7 zu § 36). Dienste auf Grund besonderer Gewaltverhältnisse beruhen auf keinem Dienstvertrag. Bei Strafgefangenen oder bei Fürsorgezöglingen, die zu Resozialisierungszwecken zu Arbeiten herangezogen werden, sind die Regeln des ABGB nicht anzuwenden (vgl. Krejci in Rummel, Kommentar zum ABGB3, Rz 16 zu § 1151). Sozialversicherungsrechtlich sind solche Tätigkeiten zwar vielfach den Dienstverhältnissen gleichgestellt (vgl. Pfeil in Schwimann Praxiskommentar zum ABGB, dritte Auflage, Rz 7 zu § 1151, mwN; vgl. z.B. die Arbeitslosenversicherungspflicht für Strafgefangene nach § 66a AlVG), ohne eine solche Gleichstellung ist aber nicht der Tatbestand einer Pflichtversicherung nach § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG erfüllt.
4. Vollversichert waren im streitgegenständlichen Zeitraum gemäß § 4 Abs. 1 Z 2 ASVG auch die in einem Lehrverhältnis stehenden Personen. Als ein Lehrverhältnis im Sinne dieser Gesetzesstelle ist ein Ausbildungsverhältnis aufzufassen, das dem Typus nach einem Lehrverhältnis, wie es heute insbesondere im Berufsausbildungsgesetz, BGBl. Nr. 142/1969, sowie im Landarbeitsgesetz und dessen Landesausführungsgesetzen geregelt ist, entspricht. Lehrlinge im Sinne des § 1 des Berufsausbildungsgesetzes sind Personen, die aufgrund eines Lehrvertrages (§ 12) zur Erlernung eines in der Lehrberufsliste (§ 7) angeführten Lehrberufes bei einem Lehrberechtigten (§ 2) fachlich ausgebildet und im Rahmen dieser Ausbildung verwendet (§ 9) werden. Dem entsprach in den wesentlichen Zügen das in den §§ 97 bis 105a Gewerbeordnung 1859 für den Bereich der Gewerbe geregelte Lehrlingsrecht. Lehrling im Sinne des § 97 der Gewerbeordnung 1859 war, wer bei einem Gewerbeinhaber zur praktischen Erlernung des Gewerbes in Verwendung tritt, ohne Unterschied, ob ein Lehrgeld vereinbart wurde oder nicht und ob für die Arbeit Lohn gezahlt wird oder nicht. Besondere Merkmale des Lehrlingsrechtes waren (schon) nach der damaligen Rechtslage die Regelung der Befugnis zur Lehrlingshaltung und des Ausschlusses von dieser, die Schriftlichkeit und Registrierungspflichtigkeit des Lehrlingsvertrages, die gesetzliche Regelung bestimmter Inhalte des Lehrlingsvertrages sowie der Beendigung des Lehrverhältnisses. Auf diese in der Rechtsordnung ausgeformte Gestaltung des Lehrverhältnisses stellte auch der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 23. Mai 1962, Zl. 0439/60, ab, wenn er sagte, unter einem Lehrverhältnis im Sinne des § 4 Abs. 1 Z. 2 ASVG sei nur ein Arbeitsverhältnis zu verstehen, das als Lehrverhältnis im Rahmen der Rechtsordnung eine Regelung gefunden habe, in der die in einem solchen Lehrverhältnis stehende Person ausdrücklich als Lehrling bezeichnet worden sei (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 15. Mai 1986, Zl. 85/08/0197, mwN).
Über den Erstmitbeteiligten wurde im Rahmen eines jugendgerichtlichen Strafverfahrens die freiheitsentziehende Einweisung in eine Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige verfügt. Er hat seine Arbeitsleistungen im Rahmen dieser Einweisung im Zusammenhang mit seiner damaligen strafrechtlichen Verurteilung verrichtet. Die Bundeserziehungsanstalt ist hiebei nicht als Arbeitgeber funktionell in Erscheinung getreten, sondern sie ist lediglich dem in § 5 Abs. 1 Jugendgerichtsgesetz 1961 normierten gesetzlichen Auftrag nachgekommen, den Zögling während der Anhaltung in einem geeigneten Beruf auszubilden. Die gesetzlich vorgesehene Berufsausbildung in deren anstaltseigener Werkstätte begründete in Ansehung des vorherrschenden Erziehungsgedankens iSd zitierten Bestimmungen des JGG 1961 und in Ermangelung einer Eingliederung des Erstmitbeteiligten in einen von einem Arbeitgeber geführten Betrieb kein Ausbildungsverhältnis, das dem Typus nach einem Lehrverhältnis entsprochen hätte, wie es in den §§ 97 bis 105a Gewerbeordnung 1859 für den Bereich der Gewerbe geregelt war (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Juli 1957, Zl. 771/55). Es fehlte auch an einer Gleichstellungsbestimmung (wie etwa nunmehr in § 30 Abs. 8 BAG für die überbetriebliche Lehrlingsausbildung). Vielmehr sind die gegenständlichen Ausbildungszeiten gemäß § 14b Abs. 3 GewO 1859 bzw. (jetzt) § 29 Abs. 2 BAG (nur) auf die Lehrzeit anzurechnen.
5. Das angefochtene Erkenntnis war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 47 VwGG.
Wien, am 24. Februar 2016
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