VwGH Ra 2016/03/0009

VwGHRa 2016/03/000926.4.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Handstanger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der revisionswerbenden Partei Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 21. Dezember 2015, Zl LVwG-AV-130/001-2015, betreffend Verhängung eines Waffenverbots (mitbeteiligte Partei: D Z in G, vertreten durch Mag. Martin Nemec, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Berggasse 21/7), zu Recht erkannt:

Normen

StPO §259;
VwRallg;
WaffG 1996 §12 Abs1;
StPO §259;
VwRallg;
WaffG 1996 §12 Abs1;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

I. Sachverhalt und Revisionsverfahren:

1 Mit Mandatsbescheid vom 10. November 2014 erließ die Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung (BH) gegen den Mitbeteiligten ein Waffenverbot nach § 12 Waffengesetz 1996 (WaffG), das nach Vorstellung des Mitbeteiligten mit Bescheid der BH vom 15. Jänner 2015 bestätigt wurde. In der Begründung der letztgenannten Entscheidung führte die BH aus, dem Verbot liege folgender Sachverhalt zugrunde:

Laut Bericht der Polizeiinspektion P vom 18. Oktober 2014 habe der Mitbeteiligte am 10., 14., 15., 16. und 17. Oktober 2014 ein 12-jähriges Mädchen gegen ihren Willen beharrlich verfolgt, körperlich bedrängt und verängstigt. Im Zuge einer polizeilichen Amtshandlung zum Schutz des Mädchens habe er einem Polizeibeamten einen Stoß versetzt und sich damit der amtshandelnden Staatsgewalt widersetzt. Für die Behörde läge kein Anhaltspunkt dafür vor, dass die Vorfälle anders abgelaufen wären, als dies im genannten Polizeibericht dargestellt worden sei. Die angeführte Annäherung an die unmündige Minderjährige sowie der Umstand, dass der Mitbeteiligte den Polizeibeamten weggestoßen habe, werde von ihm im Wesentlichen auch nicht bestritten und es werde dieser Sachverhalt von der Behörde als erwiesen angenommen. Waffenrechtlich folge daraus, dass der Mitbeteiligte die Freiheit und psychische Gesundheit eines Kindes massiv beeinträchtigt habe. Das Wegstoßen eines Polizeibeamten, der sich zuvor ausgewiesen habe, sei ein nicht adäquates und aggressives Verhalten gewesen. Dieses Verhalten offenbare Neigungen des Mitbeteiligten, welche die Annahme rechtfertigten, dass in Bezug auf den Mitbeteiligten eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und eine Bedrohung der Gesundheit von Kindern - auch durch die missbräuchliche Verwendung einer Waffe - nicht ausgeschlossen werden könne, weshalb das Waffenverbot zu verhängen gewesen sei.

2 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG), der mit dem angefochtenen Erkenntnis Folge gegeben und der Bescheid der BH vom 15. Jänner 2015 (ersatzlos) aufgehoben wurde. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das LVwG für nicht zulässig.

Begründend führte das LVwG aus, der Mitbeteiligte sei mit Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 26. Februar 2015 schuldig gesprochen worden, am 17. Oktober 2014 in G versucht zu haben, einen namentlich genannten Polizeibeamten mit Gewalt an einer Amtshandlung zu hindern, indem er dem Polizeibeamten einen Stoß gegen den Oberkörper versetzt habe, durch den dieser einen Schritt zurückweichen habe müssen, als er im Begriff gewesen sei, den Mitbeteiligten anzuhalten und seine Identität festzustellen, nachdem dieser den Arm eines 12-jährigen Mädchens gestreichelt habe. Der Mitbeteiligte habe hierdurch das Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB begangen und er sei zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden (diese Strafe sei im Rechtsmittelverfahren mit Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 18. November 2015 unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden).

Hingegen sei der Mitbeteiligte mit dem genannten Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom (weiteren) Tatvorwurf, er habe zwischen 10. und 17. Oktober 2014 in G versucht, ein 12-jähriges Mädchen in einer Weise, die geeignet gewesen sei, sie in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, eine längere Zeit hindurch widerrechtlich beharrlich zu verfolgen, indem er sie viermal, während sie auf den Schulbus gewartet habe, angesprochen, ihr Komplimente gemacht ("Hallo meine Hübsche", "Ich mag dich"), ein kurzes Gespräch mit ihr geführt, ihr am 16. Oktober 2014 zusätzlich einen Handkuss gegeben, sie umarmt sowie am 17. Oktober 2014 ihren Arm gestreichelt, mithin ihre räumliche Nähe gesucht habe, wobei er von weiteren Tathandlungen nur durch Einschreiten der Polizei abgehalten worden sei, gemäß § 259 Z 3 StPO rechtskräftig freigesprochen worden.

Im Folgenden führte das LVwG aus, die BH habe das Waffenverbot auf eine Anzeige der Polizeiinspektion P vom 18. Oktober 2014 gestützt, wonach der Mitbeteiligte an fünf genannten Tagen ein 12-jähriges Mädchen beharrlich verfolgt und im Zuge einer Amtshandlung versucht habe, sich der Festnahme zu entziehen. Im Hinblick darauf, dass der Mitbeteiligte vom Vorwurf der versuchten beharrlichen Verfolgung nach den §§ 15, 107a Abs 1 und 2 Z 1 StGB rechtskräftig freigesprochen worden sei, hätten sowohl die BH als auch das LVwG bindend davon auszugehen, dass der Mitbeteiligte die im Zeitraum zwischen 10. und 17. Oktober 2014 angelasteten strafbaren Handlungen nicht begangen habe. Die Verurteilung des Mitbeteiligten wegen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt allein reiche nicht aus, um Grundlage für ein Waffenverbot zu sein. Der angefochtene Bescheid sei deshalb zu beheben gewesen. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof sei (insbesondere deshalb) nicht zulässig, weil die Entscheidung des LVwG nicht von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche.

3 Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Amtsrevision, in der geltend gemacht wird, dass das LVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, wonach nur im Falle eines verurteilenden Strafurteiles eine Bindung der Verwaltungsbehörde in der Frage, ob ein gerichtlich zu ahndender Tatbestand erfüllt worden sei, bestehe. Diese Bindungswirkung komme aber im Falle eines freisprechenden Urteils nicht zum Tragen. In diesem Fall habe die Verwaltungsbehörde die Frage, ob ein vom Gericht zu ahndender Tatbestand vorliege, selbständig zu beurteilen, wenn dies für die von ihr zu entscheidende Angelegenheit wesentlich sei.

Im vorliegenden Fall sei der Mitbeteiligte vom Strafgericht wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt verurteilt worden. Aufgrund dieser gerichtlichen Verurteilung sei die BH in ihrem in Rede stehenden Bescheid richtigerweise von der Erfüllung des einschlägigen Tatbestands ausgegangen. Der Freispruch in Bezug auf die übrigen Tatvorwürfe binde die Waffenbehörde und das LVwG hingegen nicht. Es sei hervorzuheben, dass die von der BH angeführten Belästigungen auch vom Strafgericht als erwiesen angenommen worden seien. Der Freispruch sei lediglich damit begründet worden, dass diese Taten nicht ausreichten, um den Tatbestand nach den §§15, 107a StGB zu erfüllen. Der Mitbeteiligte habe aber das Mädchen jedenfalls bedrängt und zweifellos verängstigt. Für das Waffenverbot sei nicht relevant, ob er dadurch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch den maßgeblichen gerichtlichen Straftatbestand erfüllt habe. Es genüge vielmehr, dass die in § 12 Abs 1 WaffG genannten Voraussetzungen - wie im vorliegenden Fall - erfüllt seien.

4 Der Mitbeteiligte hat im Revisionsverfahren keine Stellungnahme erstattet.

II. Rechtslage:

5 § 12 Abs 1 Waffengesetz 1996, BGBl I Nr 12/1997 idF

BGBl I Nr 161/2013 (WaffG), lautet:

"Waffenverbot

§ 12. (1) Die Behörde hat einem Menschen den Besitz von Waffen und Munition zu verbieten (Waffenverbot), wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß dieser Mensch durch mißbräuchliches Verwenden von Waffen Leben, Gesundheit oder Freiheit von Menschen oder fremdes Eigentum gefährden könnte.

(...)"

III. Erwägungen:

6 Die Revision ist im Sinne ihrer Zulassungsbegründung zulässig und sie ist auch begründet:

7 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dient die Verhängung eines Waffenverbotes der Verhütung einer missbräuchlichen Verwendung von Waffen. Dabei genügt es, wenn konkrete Umstände vorliegen, die die Besorgnis erwecken, dass von der Waffe ein gesetz- oder zweckwidriger ("missbräuchlicher") Gebrauch gemacht und dadurch eine Gefährdung im Sinne des § 12 Abs 1 WaffG herbeigeführt werden könnte. Hierbei ist nach dem dem WaffG allgemein innewohnenden Schutzzweck bei der Beurteilung der mit dem Besitz von Schusswaffen verbundenen Gefahr ein strenger Maßstab anzulegen. Der Verbotstatbestand des § 12 Abs 1 WaffG setzt voraus, dass auf Grund objektiver Sachverhaltsmerkmale eine qualifiziert rechtswidrige Verwendung von Waffen (nämlich durch gesetz- oder zweckwidrigen Gebrauch) zu befürchten ist. Liegt diese Voraussetzung vor, so hat die Behörde gemäß § 12 Abs 1 WaffG vorzugehen und ein Waffenverbot auszusprechen, ohne dass ein bisher untadeliges Vorleben dem entgegenstünde. Wesentlich ist, dass dem Betroffenen die missbräuchliche Verwendung von Waffen zuzutrauen ist.

8 Liegen dem Waffenverbot Tatsachen zugrunde, die auch Gegenstand eines gerichtlichen Strafverfahrens waren, so ist überdies auf folgende Leitlinien in der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Bedacht zu nehmen:

Die materielle Rechtskraft des Schuldspruches eines Strafurteiles bewirkt, dass dadurch - vorbehaltlich einer allfälligen Wiederaufnahme des Strafverfahrens - mit absoluter Wirkung, somit gegenüber jedermann, bindend festgestellt ist, dass die schuldig gesprochene Person die strafbare Handlung entsprechend den konkreten Tatsachenfeststellungen des betreffenden Urteils rechtswidrig und schuldhaft begangen hat. Im Fall einer verurteilenden Entscheidung durch ein Strafgericht besteht daher eine Bindung der Verwaltungsbehörde in der Frage, ob ein gerichtlich zu ahndender Tatbestand erfüllt wurde. Durch die gerichtliche Verurteilung wird in einer für die Verwaltungsbehörde bindenden Weise über die Begehung der Tat abgesprochen. Eine eigene Beurteilung durch die Behörde ist damit nicht mehr zulässig, diese ist verpflichtet, die so entschiedene Frage ihrem Bescheid zugrunde zu legen (vgl VwGH vom 30. Jänner 2013, 2012/03/0072, mwN). Im Falle eines freisprechenden Urteils hat die Waffenbehörde und das nachprüfende Verwaltungsgericht hingegen eigenständig zu beurteilen, ob ein Sachverhalt vorliegt, der nach den hiefür vom WaffG vorgegebenen Kriterien die Erlassung des Waffenverbots rechtfertigt (vgl etwa VwGH vom heutigen Tag, Ra 2015/03/0079, mwN).

Im vorliegenden Fall macht die Amtsrevision zu Recht geltend, dass das LVwG von dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist, indem es eine eigenständige Prüfung der Voraussetzungen für das Waffenverbot unter Hinweis auf den Freispruch des Mitbeteiligten vom Vorwurf der versuchten beharrlichen Verfolgung nach den §§ 15, 107a StGB nicht vorgenommen hat.

9 Das angefochtene Erkenntnis ist aus diesem Grund mit sekundären Feststellungsmängeln belastet, sodass es - in einem nach § 12 Abs 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben war.

10 Ein Kostenausspruch konnte gemäß § 47 Abs 4 VwGG entfallen.

Wien, am 26. April 2016

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